Wenn der Vorhang zur Seite schwingt, verabschiedet sich eine junge Schauspielerin von ihrem privaten Charakter und tritt selbstbewusst als Schneeweisschen ins Scheinwerferlicht.
Schneeweiss gekleidet steht Lara Scheuner auf der Bühne und sagt mit frecher Stimme ihren Lieblingssatz: «Tröim süess vo Suurchabis u vo Söifüess.» Ein kindhaftes Lachen raunt durch das Publikum. Im Theater National in Bern sind an diesem Samstag alle Plätze besetzt. Die farbig gestaltete Theaterbühne, die von Lara Scheuner zum Leben erweckt wird, lässt das Publikum in eine Märchenwelt eintauchen.
Die Reise zum Märchen
Seit fünf Jahren steht die 20-jährige Seeländerin immer wieder auf der Märchen Bühne. Auch jetzt sind die Scheinwerfer auf sie gerichtet: Seit dem Dezember letzten Jahres spielt Lara nämlich die Hauptrolle im Märchen «Schneeweisschen und Rosenrot».
Zum Schauspiel fand Lara Scheuner durch eine Verletzung. Vor fünf Jahren führten starke Kieferschmerzen dazu, dass die damalige Schülerin ihre Freizeit fast immer zu Hause verbrachte. Um wieder aus dem Haus zu kommen, entschied sich Lara bei einer Theatergruppe vorbeizuschauen. «Das Theater hat mir sofort gefallen, obwohl ich mich am Anfang nichts getraut habe», sagt die Schauspielerin, die jetzt vor Hunderten von Leuten spielt.
Mit Schneeweisschen verschmelzen
Lara beschreibt sich selbst als hilfsbereit, zuversichtlich und introvertiert. Wobei vor allem Letzteres in unserem Denken selten mit der Schauspielerei assoziiert wird. Dennoch spricht sie ihren Text mit lauter Stimme, begleitet von einer ausdrucksvollen Mimik. In weisse Stoffe gehüllt, tanzt sie über die Bühne, und auch der Gesang scheint ihr mühelos von den Lippen zu gleiten. Dass Lara Scheuner es liebt, auf der Bühne zu stehen, ist kein Geheimnis. Ihre Introversion umgeht sie mit einer gedanklichen Differenzierung: «Wenn ich auf der Bühne stehe, werde ich zu Schneeweisschen, denn ich als Lara habe nicht gerne Aufmerksamkeit und würde lieber nicht vor so vielen Leuten stehen.» Durch dieses Denken kann Lara in die verschiedensten Rollen schlüpfen.
Zickig und überheblich
Vor einem Jahr spielte Lara Scheuner auf der Märchen Bühne die böse Stiefschwester von Aschenbrödel. Diese war zickig, überheblich, besserwisserisch und somit das komplette Gegenteil von Laras Persönlichkeit. Aus diesem Grund wurde die Rolle der Stiefschwester zu ihrer Lieblingsrolle. Das völlige Eintauchen in böse Rollen findet Lara einfacher, da sie überhaupt nicht mit ihrer Persönlichkeit übereinstimmen. «Die meisten Schauspieler:innen träumen davon, Antagonist:innen zu spielen, da man solche Emotionen und Situationen im Alltag selten durchlebt.»
Könnte Lara frei eine Rolle erfinden, würde sie diese mit frechen Sprüchen, viel vorwitzigem Gerede und etwas Boshaftigkeit ausstatten. Obwohl die Rolle von Schneeweisschen dem kompletten Gegenteil entspricht, ist es für Lara eine Freude, die Hauptrolle zu spielen. «Mit meiner ersten Hauptrolle und den anderen verschiedenen tollen Rollen der letzten Jahre durfte ich bereits alles, was ich mir jemals wünschte, auf der Märchen Bühne spielen.“
«Wenn ich auf der Bühne stehe, werde ich zu Schneeweisschen, denn ich als Lara habe nicht gerne Aufmerksamkeit und würde lieber nicht vor so vielen Leuten stehen.»
«Egal ob hinter, unter, auf oder neben der Bühne»
Während die Zuschauer:innen nur einen kleinen Ausschnitt eines riesigen Projektes zu Gesicht bekommen, sieht Lara direkt hinter die Kulissen. Die Proben für das jährliche Märchen, welches jeweils ab Dezember aufgeführt wird, beginnen bereits im Mai. Zudem braucht es viele helfende Hände, damit die Märchen Bühne immer wieder zahlreiche Augen zum Strahlen bringen kann. Die Mitarbeit von vielen Leuten und die Vorbereitung für ein grossartiges Ergebnis lösen bei Lara ein starkes Gemeinschaftsgefühl aus. Dieses Gefühl vergleicht sie mit der Euphorie, die man als Kind hatte, wenn man mit seinen Freund:innen eine Choreografie einstudiert hat, um diese dann den Eltern vorzuführen. «Alle Leute, egal was sie machen, ob auf, hinter, unter oder neben der Bühne, arbeiten zusammen an etwas Grossem.»
Ob Licht oder Ton, ob Bühnenbild oder Kostüm, wenn der Vorhang sich öffnet, weiss Lara, dass alles funktionieren wird.
Text Jelka Zehnder
Foto Stefan Bichsel
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