Positive Doping-Tests aufgrund Mikro-Mengen verbotener Substanzen kommen immer öfter vor. Ein aktueller und prominenter Fall ist der Tennisspieler Jannik Sinner.

Die Tennis-Welt ist in Aufruhr – jüngst sorgten Dopingsperren bei Top-Spieler:innen für Aufsehen. Besonders die dreimonatige Sperre der Weltnummer 1 der Männer, Jannik Sinner, löste Diskussionen aus.

Der Fall Jannik Sinner

Der italienische Tennisspieler Jannik Sinner ist zwischen dem 9. Februar und dem 4. Mai 2025 gesperrt. Grund dafür sind zwei positive Doping-Proben, die im Frühling 2024 im Rahmen des ATP-1000-Turniers in Indian Wells (USA) gemacht wurden. Es wurde das Steroid Colestebol nachgewiesen. Sinner wurde provisorisch gesperrt, wogegen der Italiener sofort Einspruch erhob – mit Erfolg. Die Sperre wurde wieder aufgehoben. Die erreichten Punkte beim Turnier in Indian Wells, wo er das Halbfinale erreichte, wurden ihm jedoch abgesprochen. Publik wurden die positiven Tests erst im August 2024, nachdem Sinner von einem unabhängigen Gericht freigesprochen wurde.

Die nachgewiesene Menge Colestebol war weniger als ein Milliardstel eines Grammes – das ist tausendmal weniger als ein Staubkorn. Die International Tennis Integrity Agency (ITIA) leitete eine Untersuchung ein. Das Ergebnis: Sinners Physiotherapeut behandelte eine Wunde an seinem Finger mit einem Spray, der Colestebol enthielt. Diesen habe sein Athletiktrainer in einer italienischen Apotheke gekauft, wo colestebolhaltige Sprays rezeptfrei erhältlich sind. Der Physiotherapeut habe Sinner ohne Handschuhe massiert, wodurch das Colestebol über die Haut in den Körper des Athleten gelangte. Sinner hat sich mittlerweile von seinem Physiotherapeuten und seinen Athletiktrainer getrennt. Ein unabhängiges Gericht akzeptierte diese Erklärung und sprach Sinner von jeglichem Fehlverhalten frei. Dagegen erhob die World Anti-Doping Agency (WADA) Einspruch. Eine Anhörung beim internationalen Sportsgerichthof war für Mitte April 2025 geplant. Jedoch erreichten der Italiener und die WADA vorzeitig eine Einigung auf eine dreimonatige Sperre. Sinner verpasst kein Grand Slam Turnier, aber vier ATP-1000-Turniere. Er verliert aufgrund der Sperre 1600 Punkte. Pünktlich auf das Heimturnier in Rom, welches am 7. Mai beginnt, ist Sinner wieder da. Ab dem 13. April darf er bereits wieder mit dem offiziellen Training beginnen.

Kritik und Unterstützung

Die Reaktionen auf die Sperre waren gemischt. Viele Spieler:innen wollten sich nicht gross dazu äussern. Manche kritisieren jedoch den Umgang mit dem Fall Sinner und bemängeln die Sperre als zu kurz. Die WADA sprach nämlich ursprünglich von einer ein- bis zweijährigen Sperre, was der üblichen Dauer von Dopingsperren entspricht. So schrieb zum Beispiel der Schweizer Stan Wawrinka nach der Veröffentlichung der Einigung in den sozialen Medien, er glaube nicht mehr an einen sauberen Sport. Der Australier Nick Kyrgios, der Sinner seit der Veröffentlichung der positiven Resultate immer wieder kritisierte, schrieb auf X: «Schuldig oder nicht? Ein trauriger Tag für das Tennis. Fairness im Tennis existiert nicht ». Auch weitere Top-Spieler wie Novak Djokovic und Alexander Zverev übten Kritik. Andere hingegen verteidigten den Italiener. Der ehemalige Tennis-Profi Feliciano López reagierte auf Wawrinka und schreib, Sinner habe nichts getan, was seine Leistung verbessert habe. Er übernehme die volle Verantwortung für die Fehler anderer. Eine längere Sperre für Sinner hätte den Sport nicht sauberer gemacht. Toni Nadal, der Onkel von Rafael Nadal, äusserte ebenfalls Unterstützung für den Italiener. Er sagte: «Die Sanktion muss jemanden treffen, der absichtlich etwas Falsches tut und seinen eigenen Vorteil sucht. Und ich weiß, dass das bei Sinner nicht der Fall ist.»

Nicht nur Sinner direkt, auch die WADA und das Vorgehen während des gesamten Prozesses wurden kritisiert. Der Prozess sei intransparent gewesen. Zudem steht der Vorwurf einer Sonderbehandlung aufgrund Sinners Position im Ranking im Raum. Der Russe Daniil Medwedew hofft zum Beispiel, dass alle Athlet:innen sich in Zukunft besser verteidigen können. «Es wäre ein schlechtes Zeichen, wenn er der Einzige wäre, der das tun kann.»

Stellungnahme der WADA

Die WADA selbst glaubt Sinner, dass das Colestebol unbewusst in seinen Körper gelangt sei. Der Chefjurist der WADA, Ross Wenzel, sagte gegenüber BBC, dieser Fall sei «meilenweit von Doping entfernt» gewesen. Die Strafe komme daher zustande, dass jede:r Athlet:in für das eigene Team verantwortlich sei. Die Sperre komme also aufgrund der Fahrlässigkeit von Sinners Team zustande. Ebenfalls wurde kritisiert, dass die positiven Testergebnisse erst Monate später veröffentlicht wurden. Allerdings ist es nicht mehr Pflicht, vorläufige Suspendierungen sofort publik zu machen.

Auch zum Vorwurf der Sonderbehandlung nimmt die WADA Stellung. Wenzel sagt, solche Sperren seien «dem Kalender gegenüber blind». Wenn eine Einigung erreicht sei, sei diese ab sofort gültig. Dass Sinner keine Grand-Slam-Turniere verpasst und pünktlich auf sein Heimturnier in Rom zurückkehren darf, sei keine Bevorzugung. Solche Einigungen sind ausserdem keine Einzelfälle. Seit Januar 2021 sind sie im Code der WADA verankert und gelten für alle Athlet:innen. Rund 70 Mal kamen sie vor Sinner schon zum Zug.

Jannik Sinner bei den US Open 2024

Mikro-Dosierungen könnten bald erlaubt sein

Jannik Sinner ist nicht der Einzige, der aufgrund einer kleinen Dosierung einer verbotenen Substanz gesperrt wurde. Iga Swiatek, eine der besten Tennisspielerinnen der Gegenwart, wurde letzten Herbst positiv auf das Herzmittel Trimetazidin getestet. Bei ihr wurde noch eine kleinere Menge nachgewiesen als bei Sinner. Ihre Erklärung: Sie habe Medizin gegen Schlafprobleme genommen, die mit dem Mittel kontaminiert gewesen sei. Dies konnte im Medikament nachgewiesen werden, weshalb Swiatek nur einen Monat gesperrt wurde. Solche Mikro-Dosierungen an Dopingsubstanzen werden immer häufiger nachgewiesen. Die vermehrt positiven Tests kommen auch daher, dass sich die Technologie stetig verbessert. Diese kleinen Mengen wären vor ein paar Jahren noch nicht nachweisbar gewesen. Auch heute kommt es auf das Labor an, in dem der Test ausgewertet wird, ob eine solche Mikro-Dosis überhaupt nachgewiesen werden kann. Zahlreiche dieser kleinen Mengen können durch unabsichtliche Kontaminationen erklärt werden. Die schwedische Anti-Doping Agentur (ADSE) schlägt nun vor, dass positive Proben bis zu einer Konzentration von einem Nanogramm pro Milliliter im Profisport erlaubt sein sollen. Diese Grenzen haben Sinner und Swiatek beide nicht erreicht. Die ADSE argumentiert, man würde durch die Regeländerung Ressourcen sparen können. Ausserdem würden die vielen positiven Ergebnisse das Vertrauen in das Anti-Doping-System schwächen. So meinte zum Beispiel Aryna Sabalenka, eine der stärksten Konkurrentinnen von Swiatek, mehr Angst von dem System zu haben. Sie sei seit den Fällen Sinner und Swiatek vorsichtiger geworden und versuche sich besser zu schützen.

Mögliche Gefahren

Manche wehren sich aber vehement gegen die Regeländerung, zum Beispiel die Schweizer Anti-Doping-Agentur Swiss Sport Integrity (SSI). Direktor Ernst König meinte gegenüber der NZZ, es würde wissenschaftlichen Fortschritt zunichtemachen, geringen Mengen keine Beachtung zu schenken. Man müsse auch da sehr genau hinschauen. Es gäbe ausserdem Substanzen, bei denen ein paar Stunden nach Einnahme nur noch Spuren nachgewiesen werden können. Ausserdem besteht die Sorge, dass Athlet:innen bis zur Grenze bewusst dopen würden. Mikro-Doping würde legalisiert werden. Das war lange Zeit ein Problem im Radsport. Da durfte man lange noch bis zu einer Grenze verbotene Substanzen im Blut haben, was von vielen ausgenutzt wurde. Es wurde systematisch im erlaubten Bereich gedopt. Der SSI-Direktor hat nun Angst, dass sich dies wiederholen könnte, wenn der Antrag der ADSE durchkäme.

Es gibt auch weitere Vorschläge von nationalen Anti-Doping-Organisationen, wie in Zukunft mir geringen Doping-Mengen umgegangen werden soll. Es gibt auch einen Vorschlag, dass man solche Tests nicht als positiv, sondern als atypisch einstuft. Die Anti-Doping-Organisationen müssten dann beweisen, dass es sich um vorsätzliches Doping handelt. Ein Gedanke hinter dem Vorschlag ist auch der Imageschaden der Athlet:innen, der durch die Veröffentlichung eines positiven Resultats erfolgt. Ob schuldig oder nicht – in den Augen vieler Sportfans wird man sowieso als Dopingsünder:in abgestempelt.

Wie die zukünftige Regel der WADA für Mikro-Dopingmengen aussehen wird, wird sich zeigen. Klar ist, ein neues Reglement soll ab Januar 2027 in Kraft treten, und der Umgang mit Mikro-Doping könnte sich fundamental verändern.

 

Text Lina Hofmänner

Foto Hameltion via Wikimedia Commons