Zwischen Panik und Party – zum Millennium trafen Ängste vor Computerchaos und Weltuntergangsprophezeiungen auf die Euphorie des neuen Jahrtausends.
Zum Jahresende 1999 lag eine spürbare Spannung in der Luft. Die Jahrtausendwende nahte und wurde ebenso ersehnt wie gefürchtet. Während manche den Weltuntergang durch einen Absturz von sämtlichen Computersystemen voraussahen, mahnten andere zum Optimismus und feierten zuversichtlich ins Jahr 2000.
Der Y2K-Bug – Technik am Limit
Den Ängsten einer Apokalypse lag das sogenannte Y2K-Problem zugrunde. Die damaligen Computersysteme rechneten mit zweistelligen Jahreszahlen. Das bedeutet, dass Daten im Format TTMMJJ verarbeitet wurden. Für die Jahrtausendwende wechselten die Computer also von 99 auf 00. Es wurde befürchtet, dass die Systeme fälschlicherweise ins Jahr 1900 springen könnten. Letztere würden in einem solchen Fall streiken. Da bereits Ende der 1990er-Jahre Computer in vielen Bereichen des Lebens nicht mehr wegzudenken waren, hätte ein Zusammenbruch weitreichende Folgen gehabt. Das Schlimmste wurde angenommen: Stromausfälle, Flugzeugabstürze, Börsencrashs, Chaos in Spitälern und Explosionen in Atomkraftwerken. Um einem solchen Kollaps essenzieller Infrastrukturen vorzubeugen, investierten Unternehmen sowie Verwaltungen weltweit geschätzte 600 Milliarden Dollar in die Überprüfung und Anpassung ihrer IT-Systeme.
Apokalypse im Angebot
Sekten sahen in der Verunsicherung rund um die Jahrtausendwende auch die Möglichkeit, sich mit Prophezeiungen zum unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang zu profilieren. Sektenführer:innen, die sich bereits im Datum geirrt hatten, wagten erneut eine Prognose und datierten den Untergang auf Ende des Jahres 1999. Sektenanhänger:innen glaubten an die verschiedensten Szenarien: an eine Sonnenfinsternis, Dürren und Brände oder eine Verlagerung der Erdachse mit heftigen Verschiebungen der Kontinentalplatten. Manche Sektenanhänger:innen sehnten dem Ende entgegen und scheuten sich nicht davor, notfalls selbst nachzuhelfen, sollte das Szenario doch nicht eintreten. Andere Sekten wussten, wie die Apokalypse fernzuhalten war, und verkauften als Lösung metergrosse beleuchtete Kreuze, die mit ihrem Licht die Leute vor dem grossen Unheil bewahren würden. Das Weltuntergangsfieber bei diversen Sekten hatte vor allem eine hohe Alarmbereitschaft bei der Polizei zur Folge, die geplante Anschläge und Massensuizide verhindern wollte.

Countdown ins Nichts
Das Ergebnis: Hier und da fielen Bankautomaten aus oder Rechnungssysteme hatten Probleme, die aber allesamt schnell korrigiert werden konnten. Eine Katastrophe, wie sie vielfach angekündigt worden war, trat jedoch nicht ein. Trotzdem soll beispielsweise der damals amtierende Bürgermeister von New York, Rudy Giuliani, die berüchtigte Nacht unter Sicherheitsvorkehrungen in einem Bunker verbracht haben.
Nicht zuletzt spielten auch die Medien eine wichtige Rolle bei der Verbreitung einer gewissen Unruhe. Doch diese sei gemäss Expert:innen zugleich ausschlaggebend dafür gewesen, dass viele Unternehmen ihre IT-Systeme rechtzeitig modernisierten.
Auch in der Schweiz war man zum Jahrtausendwechsel in Alarmbereitschaft: Der Bund beauftragte eigens einen Jahr-2000-Delegierten, über mögliche Probleme zu informieren. An Silvester war aussergewöhnlich viel Personal auf Pikett – doch auch hierzulande funktionierte alles zuverlässig. Nur der Orkan «Lothar», der wenige Tage zuvor in der Schweiz gewütet hatte, hatte für grosse Schäden und Stromausfälle gesorgt.
Millennium und das, was blieb
Rückblickend zeigt das Y2K-Phänomen, dass die Angst vor dem Unbekannten manchmal grösser ist als die Gefahr selbst – und doch führte ebendiese Verunsicherung dazu, dass Milliarden in die Sicherheit von IT-Systemen investiert wurden. Nichtsdestoweniger ebnete die strikte Vorbereitung den reibungslosen Weg ins nächste Jahr. Die Jahrtausendwende wurde damit zu einem Lehrstück über Technik, Medien und die anhaltende Faszination für Katastrophenszenarien. Auch heute sind Erzählungen vom drohenden Ende keine Seltenheit. Sie reichen von realen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder Cyberattacken bis hin zu dystopischen Fantasien über eine KI-Rebellion. Eines zeigt sich dabei immer wieder: Panik ist selten ein guter Ratgeber – doch sie reicht oft aus, um Gesellschaften in Bewegung zu setzen.
Text Gianluca D’Andrea
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