Die Olympischen Spiele 2024 in Paris begeisterten und bewegten. Die Veranstaltung deckte jedoch soziale Ungleichheiten auf, die einen Schatten auf den Wettbewerb warfen.

Die Olympischen Spiele der Neuzeit sind neben den Fussballweltmeisterschaften der grösste globale Sportwettbewerb. Das Ziel besteht im Zusammenkommen der Welt und die Wettkämpfe stehen als Symbol für den globalen Frieden. So stellen die fünf Ringe des Logos die fünf Erdteile dar und jede Landesflagge ist mit mindestens einer Farbe in den Ringen vertreten. In den letzten Jahren rückte der Olympische Frieden jedoch in den Hintergrund und der wirtschaftliche Erfolg der Organisation hat an Bedeutung gewonnen. Politische Interessen sind trotz der angeblich neutralen Veranstaltung kaum von den Spielen zu trennen. Die folgenden vier Hintergrundgeschichten aus Paris 2024 zeigen, dass der ursprüngliche Olympiagedanke weit über Spiele hinausgeht und auf Probleme aufmerksam macht, die wir gerne ignorieren.

Hoffnungsträger für einen vergessenen Krieg

Das Basketballteam aus Südsudan begann schon vor der Olympia, ein Märchen zu schreiben: Die ostafrikanische Nation qualifizierte sich sensationell für das Olympische Turnier und brachte den späteren Olympiasieger USA in einem Vorbereitungsspiel an den Rand einer Niederlage. Die Mannschaft überzeugte im Olympiaturnier weiter und verpasste knapp die erste Qualifikation eines afrikanischen Teams für das Viertelfinale. Ihre Leistung ist umso bemerkenswerter, wenn man die Infrastruktur im Südsudan betrachtet: Die Nation besitzt keine einzige Basketballhalle. Das will Luol Deng, ehemaliger NBA-Spieler und Präsident des südsudanesischen Basketballverbandes, nun ändern und investiert mit seiner Stiftung in den Bau von Basketballinfrastruktur. Eine erste überdachte Halle soll in der Hauptstadt Juba entstehen.

Das Team rückte einen vergessenen Krieg wieder ins Blickfeld der Welt und setzte den sportlichen Erfolg an zweite Stelle. Der erst seit 2011 existierende und somit jüngste Staat der Erde gilt als eine der ärmsten Nationen der Welt und steht im UN-Entwicklungsindex auf dem zweitletzten Rang. Der von 2013 bis 2018 andauernde blutige Bürgerkrieg setzte dem Land zu. In der Gegenwart herrschen weiterhin Kämpfe, was zu Armut und Hungersnot führt. Millionen von Menschen befinden sich auf der Flucht, was durch andere Krisen und den Fokus auf teure Grossevents vergessen geht. Das südsudanesische Basketballteam besteht ausschliesslich aus Flüchtlingen, die meisten leben heute in den USA. Beispielsweise wurde der 29-jährige Leistungsträger Nuni Omot in einem Flüchtlingslager in Nairobi, Kenia, geboren. Das Durchschnittsalter des Teams beträgt sechzehn Jahre. Die Spieler stellen Hoffnungsträger für die Zukunft dar und inspirieren ein ganzes Land. Für den Coach Royal Ivey sei das Spenden von Mut der wichtigste Teil ihrer Olympiamission. Die Gruppe will ein Zusammengehörigkeitsgefühl ins Land bringen. Über 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger sollen mit Stolz die südsudanesische Fahne schwenken und geeint die Mannschaft unterstützen. So entwickeln sich Basketballspiele zu einem Hoffnungsschimmer einer ganzen Nation.

 

Verschwendung und Verdrängung

Die Stadt Paris und die französische Regierung wollten sich von der besten Seite zeigen. Um der romantischen Vorstellung der Stadt gerecht zu werden, sollten die Wettbewerbe im Freiwasserschwimmen sowie das Schwimmen im Triathlon in der Seine, der Seele der Hauptstadt, stattfinden. Ein Entscheid, der durch die ungeeigneten Wasserwerte der Seine in Zweifel geriet. Um deren Sauberkeit und Sicherheit zu beweisen, hatte sogar die Pariser Bürgermeisterin ein Bad im Fluss genommen. Die Sauberkeit der Seine kostete die Nation mehr als 1,4 Milliarden Euro und trotzdem führten die zu hohen Werte von E.coli-Bakterien zu zahlreichen Verschiebungen im Triathlon. Auch litten viele Athletinnen und Athleten nach den Wettkämpfen an Magen-Darm-Erkrankungen, weshalb Sportverbände die Entscheidung kritisierten.

Die grosse Begeisterung für die Spiele dringt nicht bis in die verarmten Banlieues durch. Viel zu teuer sind die Tickets für die dort ansässige Bevölkerung. Ein Beispiel für soziale Ungleichheit ist der Bau des olympischen Dorfes: Dieses entstand im nördlichen Departement Seine-Saint-Denis, einer der ärmsten Regionen in Frankreich mit schlechtem Ansehen. Das Quartier verkommt seit den 1970er-Jahren und kämpft mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Auf den seit Jahrzehnten unbenutzten Industrieflächen liessen die lokalen Behörden nun Sportanlagen für die Olympischen Spiele bauen und wollen dem aus mehrheitlich Sozialwohnungen bestehenden Quartier einen gewinnbringenden Anstoss verleihen. Viele Anwohnerinnen und Anwohner befürchten durch verteuerte Mieten eine Verdrängung in andere Banlieues, da Mittelständlerinnen und Mittelständler die neuen Wohnungen im Quartier belegen, die sich wiederum das Wohnen in der Innenstadt nicht mehr leisten können. Der Regierung Frankreichs ist das Renommee durch die Olympischen Spiele wichtiger als die Bedürfnisse der ärmeren Gesellschaftsschicht, was einen bitteren Beigeschmack hinterlässt.

 

 

Gleiche Anzahl, ungleiche Bedeutung

Paris brüstet sich damit, dass zum ersten Mal in der 124-jährigen olympischen Geschichte gleich viele Frauen wie Männer an den Olympischen Spielen teilnahmen. Dennoch erhalten einige Veranstaltungen noch immer grössere Beachtung bei den Männern als bei den Frauen: Der 100-Meter-Lauf, die Königsdisziplin der Leichtathletik, bietet grosse Unterhaltung. Deshalb begleitete den Wettbewerb der Männer eine umfangreiche Lichtshow mit dramatischer Musik und inszenierter Verlängerung bis zum Startschuss. Dies sah einen Tag zuvor bei den Frauen ganz anders aus: Die Lichter blieben an, die Athletinnen wurden kurz vorgestellt und das Rennen endete ohne grosse Show nach dreieinhalb Minuten. Der Final der Männer dauerte acht Minuten. So zeigen die Spiele, dass Gleichberechtigung im Sport noch immer keine Selbstverständlichkeit ist.

Der mühselige Kampf gegen Doping

Auch Jahre nach dem russischen Dopingskandal bleibt die Leistungssteigerung mittels Drogen ein Thema. Schlagzeilen verursachte an diesen Spielen China. Im Frühling 2024 wurden 23 Athletinnen und Athleten positiv auf ein verbotenes Herzmedikament kontrolliert. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) erlaubte den positiv Getesteten dennoch einen Start an Olympia, da die chinesische Anti-Doping-Agentur als Ursache Kontaminationen in einer Hotelküche angab und die WADA diese Aussage mit einer unabhängigen Untersuchung bestätigte. Dies brachte der WADA Kritik ein, und als der 20-jährige Zhanle Pan über 100 Meter Freistil mit einem unbegreiflichen Weltrekord Gold gewann, kamen Zweifel auf. Der junge Chinese gehörte nicht zu den positiv Getesteten, doch ein Misstrauen blieb. Im Gegenzug beklagte sich China, ihre Athletinnen und Athleten seien viel mehr getestet worden als Sportlerinnen und Sportler westlicher Nationen. Die Schwimmwettkämpfe spiegeln die zunehmenden Spannungen auf der ganzen Welt wider, besonders zwischen USA und China. Auch wenn das Internationale Olympische Komitee beteuert, Politik habe keinen Platz an den Spielen, nahm der Konflikt zwischen den beiden Grossmächten eine Stellung an der Veranstaltung ein.

Keine Spiele für alle

Die Olympischen Spiele in Paris begeisterten weltweit und versetzten Nationen durch Medaillenregen in Ekstase. Die Stadt präsentierte sich eindrucksvoll und sandte ein romantisches Bild Frankreichs in die ganze Welt aus. Dabei nicht aufzufinden waren die in Paris lebenden Obdachlosen, da diese nicht zur polierten Selbstdarstellung des Gastgebers passten. Diese wurden in umliegende Gebiete vertrieben. Geschichten wie diejenige des südsudanesischen Basketballteams sind selten, geht es doch vor allem um Prestige und Machtspiele. So entwickeln sich Sport und Spiel zur Hauptsache einer Nation und soziale Probleme zur Nebensache. Mit grosser Vorfreude und Hoffnung begannen die Vorbereitungen für die nächsten Spiele. Es bestehen jedoch Zweifel, ob sich das von der Vermarktung und politischem Prestige geprägte Muster der Olympischen Spiele in Los Angeles 2028 ändern wird.

 

Text Yaëlle Binggeli

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