„Wie bitte? Was willst du in Österreich?!“ Diese ungläubige Bemerkung wurde häufig geäussert, als ich von meinem Auslandssemester in Salzburg erzählte. Österreich – zugegebenermassen ein ziemlich unscheinbares Land. Ein Grund mehr, die österreichische Kultur kennenzulernen – und wo geht das besser, als in der international bekannten Mozartstadt? Ein Erlebnisbericht über die ersten Eindrücke des Studentenlebens in Salzburg.
Von Helen Dahdal
Salzburg ist eine kleine Stadt mit einer einfachen Struktur: eine hochgelegene Burg, ein Fluss und eine Hauptbrücke. Für mich, die den Orientierungssinn einer verwirrten Taube hat, ist dies ein grosser Vorteil. Der Fluss teilt die Alt- von der Neustadt und die Festung Hohensalzburg thront auf dem mächtigen Festungsberg. Für Salzburg ist die Burg das Wahrzeichen, für mich ein unschätzbarer Orientierungspunkt. Auch andere Erasmus-Studierende geben mir gegenüber ihre Schwäche zu. Also Salzburg, die Ortschaft für orientierungsschwache Menschen? Zweifellos versteckt sich mehr hinter der kleinen Stadt mit den verwirrten Tauben.
Mozart lebt!
Neben der Festung Hohensalzburg gehört Mozart zu den Pflichtattraktionen für Touristen und Neubewohner. Wer behauptet, Mozart sei von gestern, der irrt sich: In Salzburg wird das Musikgenie zum Leben erweckt. Kaum eine Strasse erinnert nicht an den jungen Komponisten. Das Geburtshaus Mozarts ist das kulturelle Zentrum der Stadt. Doch damit nicht genug: Mozartkugeln schmücken ganze Schaufenster. Erstaunte Touristen bewundern das Innenleben der Souvenirläden: Noch mehr Mozartschokolade in allen Variationen. Da würde selbst das Musikgenie über die Verwendungsvielfalt seines gedruckten Profils staunen. Ich finde heraus, dass die rot-goldene Kugel nicht einmal die originale ist. Die Bäckerei „Fürst“ des Erfinders der Mozartkugel steht ein paar Strassen weiter. Dort werden die Kugeln von zehn Konditoren in Handarbeit hergestellt. Beim Verlassen des Ladens stelle ich mir unweigerlich die Frage, wie es mir wohl erginge, wenn ich jeden Tag Mozartkugeln herstellen würde.
Unentdecktes Partyvolk
Trotz all der Tradition und der Ausrichtung der Stadt auf Tourismus und Kultur ist Salzburg wie für das Studentenleben geschaffen. Man traut der Stadt die Anziehungskraft, die sie auf Studierende ausübt, gar nicht zu. Es ist nicht nur die schöne Landschaft und ihre einfache Struktur, sondern auch ihr auf den ersten Blick nicht sichtbares Nachtleben. Schon in der Orientierungswoche werden allerlei Aktivitäten vorgestellt. Natürlich sind auch Partys dabei. Aufgeregtes Geschnatter erfüllt den Lesesaal, als diese vorgestellt werden. Hinter mir höre ich die Rufe eines Isländers „I love this guy!“, Damit meint er den Organisator der nächsten Bar-Tour. Ob auch ein Dozent im gleichen Lesesaal jemals eine vergleichbare Begeisterung auf seine Ausführungen erhalten hat?
Nach diesen Einsichten muss ich mir eingestehen, dass ich die Stadt selber unterschätzt habe – Salzburg und vielleicht ganz Österreich. Fröhlich mit ihrer Tradition und ihrem Image des Unscheinbaren, sind die Österreicher wohl im Grunde ein noch unentdecktes Partyvolk mit schlechtem Orientierungssinn. Ein Volk, das ausländischen Studierenden gleich in den ersten Wochen das Saufen zu lehren versucht. Ein seit zwei Jahren in Salzburg lebender Japaner sagte kürzlich zu mir: „Salzburg macht süchtig.“ Mit seinem verräterischen Grinsen bezweifle ich, dass er dabei nur die kulturellen Reichtümer der Stadt gemeint hat. Was Salzburg sonst für verborgene Attraktionen hat, werde ich während meines Auslandssemsters noch herausfinden.