Humorlos, ehrgeizig und verschlossen – das Bild, das die Westschweizer von uns haben, ist nicht gerade rosig. Doch was für Vorurteile herrschen eigentlich jenseits des Röstigrabens? Spectrum deckt auf, was Westschweizer über Freiburg, Freiburger über West- und Deutschschweizer denken oder glauben zu wissen. Klischees auf den Tisch!
Vorurteile gibt es überall. Innerhalb der Deutschschweiz zum Beispiel ist man sich einig, welche Dialekte hörenswert sind und welche weniger. Während sich der Berner und Bündner Dialekt hoher Beliebtheit erfreuen, klingen Thurgauer- und Sankt-Galler-Deutsch in den meisten Ohren weniger erfreulich. Westlich des Röstigrabens sind es andere Lebensbereiche, über die es Klischees gibt. Die Freiburger sagen sich selbst, den Wallisern, Neuenburgern und Jurassiern eine ziemlich ausgeprägte Trinkfreudigkeit nach. Die Berner, Aargauer und Waadtländer fahren der Freiburger Ansicht nach schlecht Auto. Bei den Bernern wird ihre Langsamkeit hinzugefügt; aber die Tatsache, dass sie es im Hockey mit Freiburg aufnehmen können, finden Freiburger natürlich wenig amüsant. Zürcher sind angeblich reich, dafür versteht man ihren Dialekt noch am besten von allen. Und die Genfer seien der Grande Nation am nächsten, hätten ein beeindruckendes Mundwerk und fühlten sich als etwas Besseres als der Rest. Den Freiburgern selbst wird von anderen Westschweizern eine eher verschlossene, bäuerlich angehauchte Mentalität nachgesagt wird. Daraus wird auch abgeleitet, dass die Freiburger nach Kuhmist stinken würden.
Der Prototyp des Deutschschweizers
Und wie sieht der von der Westschweiz konstruierte Deutschschweizer aus? Er gilt allgemein als pflichtbewusster und hält sich angeblich viel mehr an Regeln als der Westschweizer. Auch wird ihm nachgesagt, er geniesse sein Leben weniger, weil er sich mehr mit seiner Arbeit identifiziere, sei ehrlich, pünktlich und verschlossen. Er liebe Sauberkeit, die Familienstruktur sei patriarchalisch. Okay, anscheinend machen wir einfach unsere Arbeit gut. Und nur putzwütig und genussresistent sind wir auch wieder nicht. Und die Sache mit dem Ehrgeiz? Es gibt immer die Ehrgeizigen und diejenigen, die das Ganze lockerer nehmen. Ich denke nicht, dass das etwas mit dem Röstigraben zu tun hat. Beim Vorurteil Verschlossenheit hätte ich fast zugestimmt. Denn wer kennt sie nicht, die unpersönlichen Zugfahrten, wo man sich ein, zwei Stunden gegenübersitzt und sich vielleicht ein paar Mal kurz mit dem Blick streift? Andere handhaben das anders. Aber ist für all diese Phänomene wirklich die Sprachbarriere entscheidend?
Freiburg als Chance
Dieser Barriere wird schliesslich mit dem Fremdsprachenunterricht in der Schule entgegengewirkt. Dass manche Westschweizer vom Schweizerdeutschen trotzdem genervt sind, ist wohl verständlich. Jahrelang haben sie sich abgemüht mit hochdeutscher Grammatik und Aussprache. Und dann passiert ihnen in der Deutschschweiz das: Unverständliche Laute, soweit das Ohr reicht. Und die Deutschschweizer lernen zwar mit Mühe und Not Französisch zu lesen und zu schreiben – für das Sprechen fehlt jedoch oft die Praxis. Die Stadt Freiburg bietet dazu die optimale Möglichkeit: Es gibt in der Schweiz wenige Orte, die so mustergültig zweisprachig sind. Wo sonst kann man sanfter ins Französisch hineinrutschen? Die Uni ist ein Ort, an dem wir mit Leuten aus den verschiedenen Landesteilen gemeinsam im Vorlesungssaal sitzen. Hier haben wir entgegen all dieser bestehenden Vorurteile problemlos einen Draht zueinander gefunden und können über die Klischees sogar lachen. Bei einem Bier im Irish verzeihen wir es den Westschweizern gerne, dass sie uns „Bourbine“ und „Suisse-toto“ nennen.
Illustration: Clarisse Aeschlimann