Während 75 Minuten zeigt Regisseurin Soudade Kanaan, wie der ungeschminkte Alltag im Leben der vertriebenen Syrer aussieht. Im Fokus steht Ahmad, ein sechsjähriger Junge, der auf die Frage, woher er komme, immer nur eine Antwort hat: Ich weiss nicht.

Am Anfang lernen wir Ahmad als einen zutiefst traumatisierten Jungen kennen, der viel schläft, kaum ein Wort spricht und morgens als erstes weint. Im Laufe des Filmes aber kommen auch andere Facetten zum Vorschein. Nämlich solche, die zeigen, dass der  verzweifelte Wunsch nach Normalität im immerwährenden Konflikt mit den unauslöschlichen Bildern des Krieges steht.

Obscure, ein Dokumentarfilm aus Libanon, Syrien, ist am FIFF 2017 in der Kategorie zum besten Langfilm nominiert. Es ist keine leichte Kost, die der Zuschauer da zu verdauen bekommt. In einem langsamen Tempo gehalten gibt der Film uns die Möglichkeit, ganz genau hinzuschauen, uns unsere Gedanken zu machen. Bilder von Massakern wechseln sich ab mit Geschichten eines sechsjährigen Mädchens, für das es eine Selbstverständlichkeit ist, zu erzählen, wie es dabei zugesehen hatte, als Menschen ihr Kopf abgeschnitten wurde. Obwohl die Thematik unvorstellbar schwer ist, gibt es auch lichte Momente: Etwa wenn Ahmad mit seinem Freund im Treppenhaus Fussball spielt. Der Film zeigt uns eine andere Seite des Krieges, nämlich eine, die unauffälliger, aber umso zerstörerischer wirkt. Der Krieg betrifft nicht nur unmittelbar diejenigen, die daran teilnehmen. Es sind die Hinterbliebenen, Vertriebenen, Geflüchteten, die am längsten darunter zu leiden haben. Aber was tut man, wenn man keine Wahl hat, als weiterzuleben? Was tut man gegen die allgegenwärtigen Bilder der Grausamkeit im Kopf? Man vergisst. Obscure ist nicht nur eine meisterhafte Dokumentation der Realität, es ist das Zeugnis eines durch Unerträglichkeit hervorgerufenen Gedächtnisverlustes der Syrer.

Als im Kino wieder das Licht angeht, ist die Stimmung eher gedrückt. Gespräche werden vornehmlich im Flüsterton abgehalten, die Mienen sind nachdenklich und ernst. Obscure holt einen Teil der Welt, in dem unsere hoch gehaltenen Grundrechte nicht existieren, direkt in unsere Kinosäle. Es erinnert uns daran, dass es Orte gibt, in denen gerade gesamte Generationen nachhaltig traumatisiert werden. Der Film spielt nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Wir hoffen, dass Ahmad mithilfe seiner Freunde und Sozialarbeiterin Lina wieder ein Stück weit zu dem Jungen werden kann, der er einst war.

Filminfo
Originaltitel: Otmah. Lebanon, Syria (2017)