Wie steht es um den Comedy-Nachwuchs in der Schweiz? Wie wirkt Satire und welche gesellschaftliche Funktion kommt ihr zu? Und wo liegen die moralischen und geographischen Grenzen in der Komik? Spectrum hat Viktor Giacobbo zum Interview getroffen.
Viktor Giacobbo, wir befinden uns hier im Casinotheater Winterthur, das Sie 2002 als Mitbegründer eröffnet haben. Wie kam es dazu?
Früher befand sich in diesem Gebäude das Casino Winterthur, ein Versammlungslokal mit einer Beiz, wie es in vielen Städten existierte. Hinzu kam die Besonderheit, dass sich darin ein Theatersaal befand: Das ehemalige Stadttheater von Winterthur. Zusammen mit einem Freund hatte ich den naiven Gedanken, darin ein eigenes Theater zu eröffnen. Wir besprachen die Idee mit weiteren Freunden und alle fanden, cool, da sind wir dabei! Wir zogen Architekt, Anwalt, Treuhänder, Betriebswirtschafter, Spezialist für Gastronomie und wen es sonst noch braucht hinzu. Mit dieser Gruppierung baten wir die Stadt, uns das Theater günstig zu verkaufen und boten im Gegenzug ein Theater, das ohne Subventionen läuft.
Ohne Subventionen?
Es ist ein Theater-KMU, dessen Gastronomie- und Eventabteilung selbsttragend sind. So war es von Anfang an geplant. Das wäre sonst auch nie zustande gekommen. Trotzdem brauchen wir Sponsoren, denn der Theaterbetrieb ist teuer. Gleichzeitig sind wir um die Nachwuchsförderung bemüht, das kostet halt was. Unser Ehrgeiz ist, am Ende des Jahres eine fette, schwarze Null zu erzielen. Viele glauben, wir seien steinreich, weil hier so viel los ist. Ohne unsere zahlreichen Aktivitäten würden wir jedoch Defizite machen. Gleichzeitig sind wir durch die Autonomie ein Haus von Künstlern für Künstler.
Sie sprachen die Nachwuchsförderung an, was ist hier die Philosophie?
Mir hat es schon immer gefallen, Talente auf der Bühne zu sehen, egal in welchen Genres. Es bereitet mir Spass, ihnen eine Plattform zur Verfügung zu stellen. Nicht zufällig kommt die jüngste Generation von Komik- und Satireschaffenden meist aus dem Casinotheater. Etwa Hazel Brugger, Fabian Unteregger, Michael Elsener, Gabriel Vetter und andere.
Eine solche Plattform reicht aus?
Die Komiker-Szene hat den Vorteil, dass sie relativ neidfrei ist, denn die Komikerinnen und Komiker hängen nicht alle am gleichen Tropf, wie etwa in der Filmbranche. Sie sind allesamt kleine Unternehmer und das ist auch gut so. Wenn eine junge Komikerin oder ein junger Komiker ein Programm gestalten möchte, muss erst einmal investiert werden. Es muss Zeit investiert werden, um zu schreiben, um zu proben, es braucht vielleicht einen Techniker, der angestellt werden sollte; dann muss das Ganze eingespielt werden. Man trägt sowohl die unternehmerische sowie die künstlerische Verantwortung.
Es wird ja auch – Sie haben es angedeutet – von einer aufstrebenden Generation von Schweizer Komikerinnen und Komikern gesprochen. Wie erleben Sie dieses Phänomen?
Das ist richtig, das Casinotheater hat das mitgefördert. Etwa mit der „Frischlingsparade”, die bis anhin von Marco Fritsche moderiert wurde, in Zukunft wird diese Aufgabe Patti Basler übernehmen und das Format heisst dann „PattisSerie“. Mir fällt auf, dass es wieder mehr Frauen, sprich Komikerinnen gibt. Etwa 9 volt nelly, bestehend aus Jane Mumford und Lea Whitcher, die bei uns auftreten. Viele beginnen mit „Stand-up-Comedy“. Damit bekommt man ein erstes Gefühl für die Wirkung auf das Publikum und was dabei bei einem selbst passiert.
Und ausserhalb des Casinotheaters? Heute kann das Internet verwendet werden…
… ja sicher. Häufig treten aber die Leute, die über das Internet bekannt werden, gleichzeitig auf der Bühne auf. Wenn nur digital gearbeitet wird, fehlt das Gefühl für das Publikum. Ich persönlich bevorzuge einen Einstieg auf der Bühne: „Learning by Doing“. Zudem vergisst man häufig, dass die heutigen Komikerinnen und Komiker alle auch Autorinnen und Autoren sind. Selbst wenn sie sich die Programme schreiben lassen, sie sind stärker mit den Inhalten verbunden, als Schauspielerinnen und Schauspieler bei klassischen Stücken.
Haben die jungen Kunstschaffenden für die Gesellschaft eine spezielle Bedeutung?
Ich bin immer etwas misstrauisch, wenn man sagt, uh, die Satire ist wichtig für die Gesellschaft. Satire, die die Welt verändert – das ist Satire-Kitsch. Die Satire hat keine direkte politische Wirkung. Die Satire kann vielleicht „Triebabfuhr” leisten, sowohl bei denen, die sie schaffen als auch beim Publikum. Sie gibt vielen ein gutes Gefühl in ihrem Kampf für eine bessere Welt. Aber dass Satire merklich die Welt verändern würde…
Was ist dann die Funktion der Satire?
Unterhaltung! Satire ist in erster Linie eine Unterhaltungsform. Wenn sie diesen Aspekt verliert, wenn sie das Komische verliert, dann würde man besser Pamphlete schreiben oder Flugblätter oder Essays. Ich selbst bin Konsument von solchen Texten. Ich lese vorzugsweise ernsthafte Literatur, die ist für mich interessanter. Satiriker brauchen einen Standpunkt, eine eigene Meinung, die sie dann auf unterhaltende Weise gnadenlos vertreten. Ich zeige stets, was und wen ich warum nicht mag oder mag.
Bis anhin haben sie von Komik und Satire gesprochen. Spectrum hat sich in unserer Dezemberausgabe mit dem Thema Humor auseinandergesetzt. Was ist denn eigentlich Humor?
Ganz einfach! Dann, wenn man lachen muss. Ich mag das Wort Komik lieber als Humor. Humor ist schwammig, Komik ist präziser. In der Komik wiederum gibt es verschiedene Genres, politische Komik, Satire, aber auch l’art pour l’art. Dabei ist kein Genre a priori besser als ein anderes. Es gibt schlechtes Politkabarett und gutes Politkabarett, das Genre ist nicht entscheidend. Die Rezipienten sollten sich das ansehen, was ihnen gefällt. Wer politische Komik sucht, sollte sich nicht einen mit Gags beladenen Stand-up anschauen. Das ist, wie wenn jemand zum Eishockey geht und sich danach beklagt, weil er den Rasen vermisst.
Komik ist Geschmacksache.
Ja, was der eine unter aller Sau findet, dünkt den anderen gerade deshalb so gut, weil es schräg ist. Die Leute denken oft, Komik sei dann gut, wenn sie selbst lachen. Das ist aber kein allgemeiner Massstab, den es so nicht gibt.
Welche Komik gefällt Ihnen denn am besten? Wann lachen Sie?
Dann wenn es lustig ist. Ich reagiere auf Komik genau gleich wie alle anderen. Aber die Geister scheiden sich. Nehmen wir den Klassiker vom Ausrutschen auf der Bananenschale. Manche verbieten sich hier das Lachen, sagen vielleicht, das sei zu banal. Und tatsächlich, wenn einer so richtig auf die Fresse fällt, wenn sich dabei jemand arg verletzt, ist es schnell vorbei mit der Komik.
Wann hat der Spass für Sie persönlich ein Ende?
Sie deuten es schon an: Für mich persönlich! Die Grenzen sind subjektiv. Wer einen Joke macht, sollte über die Konsequenzen nachdenken, sollte wissen, wer die Zielscheibe ist und sich bewusst sein, dass es Missverständnisse geben kann. Jeder ist für seine Jokes verantwortlich. Für mich endet der Spass dort, wo jemand bereits völlig am Boden zerstört ist und man trotzdem weiter auf sie oder ihn “einschlägt”. Das ist mir zu billig. Wobei (überlegt) – manche Politikerinnen und Politiker werden grundsätzlich gebashed. Aber auch das kann innovativ gestaltet werden. Ein Schimpfwort nehmen und “Blocher” hinten anhängen, schafft jeder, das ist Mainstream. Auch stossend finde ich es, wenn jemand ins Rampenlicht gezerrt wird. Jemand, der das wirklich nicht will und es auch in keiner Weise verdient hat.
Sie schätzen ihr Gegenüber, ihre „Zielscheibe“, erst ein?
Ja, und dabei gibt es Missverständnisse. Als ich das erste Mal den Harry Hasler gespielt hatte, gab es viele Feministinnen, denen das gar nicht gefiel. Sie fragten, warum zeigst du uns einen Typen, der so abschätzig über Frauen spricht, das ist doch frauenfeindlich? Und ja, Harry Hasler ist frauenfeindlich, aber wir lachen doch nicht mit ihm, sondern über ihn. Wir lachen nicht über die Frauen, sondern über den blöden Macho. Das ist das Ziel, das ist der Dummkopf. Harry Hasler war damals auch sehr neu, niemand war sich eine derartige Figur gewohnt. Heute ist er nicht mehr so aussergewöhnlich.
Muss man dem Publikum nicht auch ein Stück entgegenkommen?
Ich habe mir bei keinem meiner Sketches überlegt, ob er dem Publikum gefällt. Bei Giacobbo/Müller gab es ein Kriterium: Was finden wir gut und lustig. Wir waren uns bewusst, dass manche Figuren nur von einer Minderheit unterhaltsam empfunden werden; Boppeler und Stark zum Beispiel. Viele waren angewidert von den beiden. Für Mike und mich sind die beiden Charaktere, den Typus, den sie darstellen, sehr interessant, fast schon unsere Lieblingsfiguren. Und wenn man an seinem eigenen Geschmack festhält, findet sich mit der Zeit das passende Stammpublikum. In dem Sinne kommen wir unseren Fans auch entgegen, denn wir alle haben einen ähnlichen Geschmack.
Unser Studierendenmagazin der Uni Freiburg ist zweisprachig. In vielen Bereichen können wir über die Sprachgrenzen diskutieren. Wie ist ihr Verhältnis zu frankophonen Kolleginnen und Kollegen?
Ich kenne sie selbstverständlich, man trifft sich auch schon einmal und ich verstehe mich gut mit ihnen. Aber der Röstigraben ist in der Komik unglaublich tief. Viele Komikerinnen und Komiker arbeiten mit Sprache, Anspielungen, Wortwitzen. Um die Pointen wirklich zu verstehen, ist eine sehr gute Sprachkenntnis Voraussetzung. Mein Französisch ist dafür komplett ungenügend. Damals, als ich mit dem Zirkus Knie auf Tournee war, habe ich lediglich in der Deutschschweiz performt. Zum Teil geht das mit meinen Figuren auch nicht. Fredi Hinz oder Debbie Mötteli, die können kein Französisch.
Und die deutsche Grenze?
Die ist ein wenig durchlässiger. Hier gibt es vor allem Kabarettistinnen und Kabarettisten, Komikerinnen und Komiker, die ein Programm nur für Deutschland gestalten. Als Schweizerin oder Schweizer eine Fernsehsendung in Deutschland zu machen, wäre dann noch ein Brocken mehr. Mich hat das nie interessiert. Ich fand immer, Satire macht man da, wo man lebt und wo man die Zwischentöne erkennt.
Könnte es für Sie beim Schweizer Fernsehen weitergehen?
Eine neue Sendung? No way! Das habe ich nun 25 Jahre gemacht. Ich werde vielleicht einmal bei einer einzelnen Show mitmachen, vielleicht auch wieder mit Mike Müller zusammen. Aber eine regelmässige Sendung, das kann man nun ausschliessen.
In der Tat, Sie sind nun schon lange im Geschäft. Wie geht es weiter, gibt es einen Zukunftsplan?
Ich habe nie eine Karriere- oder Lebensplanung gemacht. Nie. Auch nicht bevor man mich kannte. Ich habe stets getan, wozu ich Lust hatte. Nie habe ich jemanden gefragt, was ich darf. Im Zweifelsfall begann ich ein Projekt und beobachtete gleichzeitig, was daraus wird. Das ist nach wie vor meine Haltung. Ich weiss ja nicht, was die Zukunft bringt. Zurzeit habe ich fasst mehr zu tun, als damals, als Giacobbo/Müller noch lief. Ich bin glücklicherweise von kreativen Menschen umgeben. Da wird man immer wieder angestupst und angefragt, ob wir nicht zusammen ein Projekt realisieren wollen. Für solche Gelegenheiten bin ich immer zu haben. Mein grosser Vorteil ist: ich muss nichts.
Es soll ja einen Dokumentarfilm im Stile von Der grosse Kanton geben.
Ja, ich hatten die Arbeit am Dokumentarfilm sehr gemocht. Unter anderem auch ,weil wir ihn selber finanziert hatten und nicht auf die Kommissionen der Filmförderung angewiesen waren. Ich konnte also machen was ich wollte, wobei sehr auf die Kosten geachtet werden musste. Beispielsweise bin ich mit einem Billigflug und einer Kamera im Gepäck, nach Berlin geflogen, traf dort einen Kameramann und einen Toningenieur und machte dann mit denen zusammen diese Interviews mit Joschka Fischer oder Gregor Gysi. Danach packte ich wieder zusammen und flog zurück in die Schweiz, wo ich mit einem sehr guten Team zusammen das Material bearbeitete. Das gefiel mir ausserordentlich gut und niemand konnte sich irgendwie einmischen; ausser die, deren Meinung ich auch hören wollte.
Klingt nach einem Studentenerlebnis…
Ja, das ist so. Das hat mir sehr gefallen! Ein paar solcher Ideen würde ich in Zukunft gerne noch umsetzen.