Aktivist*innen vertreten heute Umweltanliegen lauter denn je. Die Ursprünge des Umweltaktivismus in der Schweiz liegen jedoch bereits in den 1970er Jahren. Spectrum hat mit zwei Frauen gesprochen, die sich in unterschiedlichen Zeiten für Umweltthemen stark gemacht haben.
Das Überleben des Menschen ist von seiner Umwelt abhängig, doch das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt hat sich seit der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts grundlegend geändert. Erstmals schien der Mensch im Stande zu sein, die Natur zu seinen Gunsten zu zähmen. Diese Entwicklung ist nicht ohne Folgen geblieben: Die Umwelt hat sich dadurch immer wieder stark verändert und spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg zeigen sich vielfältige negative Auswirkungen des menschlichen Eingreifens.
Chemie als Wundermittel
Charlotte Schmid lebt schon seit einiger Zeit in der Nähe von Basel. Der ausufernde Einsatz von chemischen Düngemitteln und Pestiziden hat sie politisiert, wie sie sagt. «Die Basler Chemiekonzerne versprachen mit grossen Tönen das Blaue vom Himmel, damit in der Landwirtschaft möglichst viele ihrer Produkte eingesetzt wurden.» Ihr habe das Angst gemacht und sie wollte nicht einsehen, weshalb Chemie für alle landwirtschaftlichen Probleme die Lösung sein sollte, erzählt sie weiter. Charlotte Schmid ist aber nicht etwa Teil der heutigen Klimajugend, sondern bereits über siebzig Jahre alt. Die Landwirtschaft veränderte sich in den 70er Jahren eher schnell. Monokulturen mit immer denselben gezüchteten Sorten gehörten zum neuen Landschaftsbild der Schweiz. «Der Verlust von so vielen Pflanzen- und Tierarten machte uns damals Sorgen.» Früher habe es in fast jedem Kanton verschiedene Mehlsorten gegeben, da ganz unterschiedliche Weizensorten angebaut worden sind. «Doch damit war es schnell vorbei.» So engagierte sich Charlotte Schmid für die Schweizerische Gesellschaft Biologischer Landbau, die heute Bio Suisse heisst. Sie nahm auch an Vorträgen, Ausflügen oder Bücherverkäufen an Messen teil. Ihre Aktionen eckten an: «Wir wurden damals als ein paar wenige Spinner abgetan», sagt Schmid. Der Konsens in der Gesellschaft habe sich klar in Richtung der konventionellen Landwirtschaft bewegt. «Angestellte der Chemiefirmen durften sich nicht bei uns an den Messeständen zeigen, das hätte ihren Chefs gar nicht gefallen.»
Die 1968er Bewegung, die zahlreiche neue soziale Bewegungen mit sich brachte, wirkte sich auch auf die Herausbildung der neuen Umweltbewegung der 70er Jahre aus. Viele von Charlotte Schmids Mitstreiter*innen waren mindestens zehn Jahre jünger als sie selbst, liefen in selbstgenähten Kleidern herum und lebten teils in alternativen Wohnformen. Charlotte Schmid, die damals bereits zwei Töchter hatte und über 30 Jahre alt war, gehörte eigentlich nicht zu den typischen Aktivist*innen. Doch einfach nur zusehen war für sie keine Option. Einige Anliegen der momentan aktiven Klimajugend unterscheiden sich kaum von denen der 1968er Aktivist*innen: «Wir machten uns auch schon Gedanken über den übermässigen Fleischkonsum», sagt Charlotte Schmid. Auch das Thema der Überbevölkerung im Zusammenhang mit Armut und dem verschwenderischen westlichen Lebensstil sei allgegenwärtig gewesen. Mobilisierungspotenzial hatten Mitte der 70er Jahre zudem auch die Anti-Atomkraft-Demonstrationen gegen den Bau des Atomkraftwerks Kaiseraugst. Auch dort war Charlotte Schmid mehrmals an Demonstrationen dabei und half mit, den Bau zu verhindern. Später in den 80er Jahren wurde sie zur Gemeinderätin gewählt und engagierte sich für eine nachhaltige Abfallpolitik. «Parteien gab es zu dieser Zeit in unserer Gemeinde noch nicht. Aber alle wussten, dass ich irgendwo zwischen den Grünen und den Sozialdemokraten politisierte.» Noch heute verfolgt sie die Debatten mit Interesse. «Es freut mich sehr, dass die jungen Leute sich mit dem Klimastreik für die Umwelt stark machen.» Das neue Engagement gebe ihr Hoffnung, sagt sie. Im gleichen Atemzug stellt sie aber schmunzelnd noch klar: «Umweltbewusstsein wurde nicht erst mit dem Klimastreik erfunden.»
Das Phänomen Klimawandel
Seit den 70er Jahren hat sich einiges getan in punkto Klimaschutz und Umweltbewusstsein. In Stockholm definierte die UNO 1972 erstmals den Begriff der Nachhaltigkeit, der fortan in all ihren Strategien auftauchte. Bücher wie «Die Grenzen des Wachstums» des Club of Rome oder «Silent Spring» von Rachel Carson thematisierten die Ressourcenknappheit und die Zerstörung der Artenvielfalt, was der Umweltbewegung weiteren Schub verlieh. In der Schweiz äusserte sich dies auch in der Gründung von grünen Parteien. 1979 sass erstmals ein Vertreter der Grünen im Nationalrat. Lange dominierten die Themen Ressourcenknappheit, Umweltzerstörung durch Chemie und Landwirtschaft sowie Atomkraft den Diskurs. Seit den 90er Jahren hat sich jedoch die Thematik der Klimaerwärmung in den Vordergrund gedrängt. Obwohl schon in den 70er Jahren Forschung und Prognosen zu einer möglichen Erwärmung des Klimas vorgenommen wurden, war dieses Thema lange nicht im Fokus. Heute sieht dies ganz anders aus: Die gegenwärtige Umweltbewegung versucht, möglichst viele Themen miteinander zu vernetzen und das grosse Ganze zu sehen: Nicht mehr nur einzelne Themen politisieren, sondern die Gefahren und Risiken, die der Klimawandel mit sich bringen kann.
Aktivismus heute: Mouvement universitaire pour le climat
Zu Beginn des Jahres haben einige Umweltaktivist* innen der Universität Freiburg sich zusammengeschlossen und das Mouvement universitaire pour le climat (MUC) gegründet. Die junge Bewegung mitbegründet hat Zarina Fäh aus Zürich, die nun im dritten Semester Sozialanthropologie und Umweltwissenschaften in Freiburg studiert. Beim Klimastreik Freiburg habe sie Gleichgesinnte getroffen, die sich ein aktiveres Engagement an der Universität gewünscht haben. «Wir sind eine noch sehr junge Bewegung, die sich für eine ökologische Transition an der Uni einsetzen will. Unser Ziel ist es, die Studierenden zu informieren und aufzuzeigen, wie sich unsere Uni in eine nachhaltige Richtung bewegen kann.»
Doch wieso braucht es neben der NEUF eine weitere Umweltorganisation an der Universität? «Wir sind eine eigenständige Gruppe, wollen aber eng mit der NEUF zusammenarbeiten.» Einige Themen könnten so mit neuem Elan angegangen werden. «Zurzeit befinden wir uns noch in der Aufbauphase, alle können mitgestalten. Wir sind motiviert, etwas zu bewegen und in der Gruppe herrscht ein sehr herzliches Klima», sagt Zarina. Doch wie kam Zarina zu ihrem Engagement? Welche Themen haben sie politisiert? «Als ich ins Gymnasium kam, hatte ich zum ersten Mal mit neuen Kreisen, anderen Hintergründen und Ansichten Kontakt. Ich begann mich mit den vielen Ungerechtigkeiten auf der Welt auseinanderzusetzten und wollte unbedingt etwas ändern.» Umweltthemen seien ihr dabei schon immer besonders wichtig gewesen. Die Klimastreikbewegung, und nun auch die MUC, bieten neue Möglichkeiten für dieses Engagement. «Beim Klimastreik hatte ich endlich das Gefühl, dass alle dem Thema Beachtung schenken», sagt Zarina.
«So kann es nicht weitergehen»
Beide Aktivistinnen sind sich in diesem Punkt einig. Obwohl seit Charlotte Schmids aktivem Engagement mehr als 40 Jahre vorbeigegangen sind, sehen beide noch erheblichen Handlungsbedarf. «Der Klimawandel muss nicht nur beachtet werden, sondern als Realität betrachtet werden. Ohne diese Anerkennung können keine sinnvollen Strategien ausgearbeitet werden», sagt Zarina. Das Thema Umweltaktivismus sei heute deshalb wichtiger denn je. Den heutigen Aktivist*innen wird die Arbeit auf jeden Fall nicht so schnell ausgehen.