Ein Interview mit Prof. Dr. Barbara Rothen-Rutishauser.
Eierstockkrebs wird oft spät erkannt. Nun hat ein Forschungsteam des Adolphe-Merkle-Instituts in Freiburg in Kooperation mit anderen Schweizer Institutionen ein neues Gewebemodell mit einer wegweisenden Technologie entwickelt. Es trägt zu einem besseren Verständnis der Krankheit bei und eröffnet zukunftsweisende Therapieansätze.
Der Ansatz, menschliches Gewebe mit Hilfe von 3-D-Bio-Druckverfahren nachzubilden, wird zurzeit rege erforscht. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Verfahren für die Erforschung von Eierstockkrebs zu wählen?
Die Initiative kam von Prof. Viola Heinzelmann-Schwarz vom Universitätsspital Basel, die uns aufgrund unserer Expertise mit komplexen Lungengeweben für eine Zusammenarbeit kontaktierte. Der Hauptgrund dafür liegt in der Beschaffenheit des Omentums (siehe Infobox). Dieses Gewebe ist sehr heterogen, sprich besteht aus ca. zehn bis fünfzehn verschiedenen Zelltypen. Um solche Strukturen in einem Zellkultursystem nachzubilden, stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung. Es war unsere Absicht, etwas Neues auszuprobieren mit einer Technologie, die zurzeit intensiv erforscht wird.
Was ist neu an diesem Verfahren?
Der Vorteil eines 3-D-Bio-Druckers besteht darin, dass Zellen präzise an der richtigen Stelle im Gewebe platziert werden können. Unser Ziel war es, das Omentum mit unserem Verfahren realistischer nachzuahmen als mit herkömmlichen Methoden. Dazu haben wir zuerst eine homogene Gewebeschicht auf eine Trägermembran aufgetragen, sodass wir in einem zweiten Schritt Zellen hineindrucken konnten. So haben wir beispielsweise die Immunzellen, die im menschlichen Omentum in Haufen angeordnet sind, ganz gezielt an der richtigen Stelle in der Gewebeschicht eingesetzt. Von Hand wäre das so gar nicht möglich.
Omentum
Dabei handelt es sich um einen Abschnitt des Bauchfells bei Menschen und anderen Säugetieren. Es ist Teil jener zweischichtigen Haut, die den Bauchraum auskleidet und so die Organe schützt und stabilisiert. Man unterscheidet zwischen Omentum majus und minus (grosses und kleines Netz). Beide sind einmal gefaltet und bilden so einen Bauchfellsack. Das Omentum majus enthält eine grosse Anzahl Immunzellen, die sich im Falle einer Entzündung vermehren und so das Bauchfell schützen.
Oftmals wird in der medizinischen Forschung an Tieren experimentiert. Welche Vorteile bringt Ihr Verfahren?
Ein grosser Vorteil liegt auf der Hand: ForscherInnen können direkt mit menschlichen anstatt tierischen Zellen experimentieren. In diesem Fall kommt hinzu, dass das Omentum bei Tieren anders aufgebaut ist als beim Menschen.
Bei diesem Projekt haben wir ausserdem menschliche Krebszellen von erkrankten Frauen, die wir von Universitätsspital in Basel erhalten haben, in das nachgebildete Gewebe eingesetzt. Auf diese Weise konnten wir eins zu eins studieren, wie sich die Krebszellen in einer realitätsnahen Umgebung verhalten.
Mit welchem Ziel?
In einem nächsten Schritt möchten wir verschiedene Chemotherapeutika mithilfe solcher 3-D-Zellmodelle testen, um zu beobachten, wie sie in einer realitätsnahen Umgebung wirken. Im Grunde genommen gehen solche Ansätze in die Richtung personalized medicine (siehe Infobox).
Personalized medicine
Mit personalisierter Medizin sind Behandlungsansätze gemeint, bei denen die persönlichen Gegebenheiten der Patienten und Patientinnen berücksichtigt werden. Dadurch wird ein höherer Behandlungserfolgs angestrebt, indem die Therapie gezielt auf die individuellen Voraussetzungen zugeschnitten werden kann.
Muss man sich einen solchen 3-D-Bio-Drucker wie einen gängigen 3-D-Drucker vorstellen, der in Büros herumsteht?
Ja, das Prinzip bleibt dasselbe wie bei einem handelsüblichen 3-D-Drucker, mit dem manch jemand zuhause seiner Kreativität freien Lauf lässt. Unsere Drucker unterscheiden sich in zweierlei Hinsicht: Erstens schwimmen die Zellen, die gedruckt werden sollen, in einer Flüssigkeit, die in etwa die Konsistenz von Honig aufweist. Anschliessend wird ebenfalls flüssig gedruckt, wie mit «Tinte» könnte man sagen. Zweitens kostet unser Drucker etwas mehr. Während sich auf Galaxus solide Geräte für 2’000 Franken finden lassen, kostet unserer zwischen 250’000 bis 500’000 Franken.
Wie lange dauert ein 3-D-Bio-Druck?
Der Druckvorgang dauert nur einige Minute. Mit jedem Tropfen Flüssigkeit werden einige Zellen im Gewebe platziert. Danach ruht das Gewebemodell drei bis fünf Tage im Inkubator, damit sich die Schichten entwickeln. Erst dann werden die Krebszellen dazu gegeben und das Modell erneut 24 bis 48 Stunden inkubiert. Dabei können verschiedene Stadien der Krebserkrankung simuliert werden. Abschliessend wird ein Chemotherapeutikum dazugegeben und dessen Wirkung beobachtet. So gelang uns der Nachweis, dass sich das Wachstum der Krebszellen verlangsamt.
Leider konnten wir die Studie aus finanziellen Gründen nicht weiterführen, doch es liegen erste vielversprechende Resultate vor, an denen wir hoffentlich anknüpfen können.
3-D-Bio-Druck
Unter diesem Verfahren (engl.: bioprinting), versteht man den 3-D-Druck von lebendem Gewebe. Das Prinzip ist dasselbe wie bei einem herkömmlichen 3-D-Drucker, nur dass in diesem Fall lebendige Zellen Schicht für Schicht aufgetragen werden.
Welche weiteren Erkenntnisse konnten Sie im Verlauf dieses Forschungsprojekts gewinnen?
Es stellte sich heraus, dass 3-D-Bio-Drucken doch nicht so einfach ist, wie teilweise propagiert wird. Die Optimierung unseres Verfahrens dauerte vier Jahre. Eine der grössten Herausforderungen bestand darin, die verschiedene Zelltypen des Omentum zusammenzubringen, damit sie gut zusammenwachsen. So wächst beispielsweise eine Fettzelle anders als eine Immunzelle. Dazu mussten wir nach und nach Anpassungen vornehmen: die Zusammensetzung des Zellkulturmediums, die Inkubationszeiten, die Schichtung des Gewebes etc.
Wie schätzen sie das Potential des 3-D-Bio-Druckverfahrens langfristig ein, sprich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren?
Zum einen können mit Hilfe solcher Verfahren Pipettierfehler verringert werden. Die grösste Chance sehe ich jedoch darin, dass menschliches Gewebe dadurch schnell reproduziert werden kann.
Sie meinen also, der industriellen Produktion von menschlichem Gewebe steht nichts mehr im Weg?
So würde ich das nicht ausdrücken, soweit sind wir noch nicht. Aber ja, wir werden in Zukunft vermutlich gewisses menschliches Gewebe relativ schnell reproduzieren können. In den USA wird zurzeit intensiv daran geforscht, Nieren- oder Lebergewebe mit dem 3-D-Bio-Drucker herzustellen. Im Universitätsspital Zürich wird bei starken Verbrennungen bereits Haut transplantiert, die auf diese Weise hergestellt wurde.
Bei diesem Forschungsprojekt hat auch eine Doktorandin, Frau Manuela Estermann, mitgearbeitet. Was raten Sie jungen Studierenden, die einen solchen Beitrag zu Forschung leisten möchten?
Am Anfang steht die Leidenschaft – eine Vision. Das ist essenziell. Denn ohne die Energie und die Willenskraft, die man daraus schöpft, würde man vermutlich auf halbem Weg aufgeben. Anschliessend folgt die Arbeit; lesen, lesen und nochmal lesen. Man muss sich gründlich in die Thematik einarbeiten, um eine klare Fragestellung formulieren zu können, die am aktuellen Forschungsstand anknüpft. Parallel dazu sucht man sich am besten eine Forschungsgruppe, die in diesem Feld tätig ist.
Wie war das bei Ihnen?
Ich habe während meiner akademischen Laufbahn immer versucht, etwas Unkonventionelles zu machen, gegen den Strom zu schwimmen. So hatte ich das Glück, dass ich vor rund zehn Jahren, als die Forschung mit 3-D-Bio-Druckern gerade aufkam, im Rahmen eines Projekts einen solchen Drucker kaufen konnte. Damit habe ich dann etwas ausprobiert, das vor mir noch niemand versucht hatte. Und ich war erfolgreich. Was ich damit sagen will: Manchmal muss man einfach den Mut haben, etwas auszuprobieren, von dem andere sagen, es gehe nicht.
Auf jeden Fall machen! Auch etwas scheinbar Unmögliches.
Text Gabriel Mateos Sánchez
Foto Conrad von Schubert
Illustration Maria Klimova
Zum Weiterlesen
https://www.netzwoche.ch/news/2019-05-20/bioprinting-wenn-der-3-d-drucker-lebende-haut-ausspuckt