Strassenzeitungen bewegen Welten: Wie der Verkauf von Zeitschriften Menschen in Not neue Hoffnung schenkt.

Seit gut 30 Jahren prägen Strassenzeitungen die Medienlandschaft weltweit.  Ob in Fribourg, in Zürich oder sogar in New York – sie sind omnipräsent. Doch was verbirgt sich hinter diesem Konzept? Mit dieser Frage beschäftigte sich die Ausstellung «Wie Strassenzeitungen Leben verändern – How Street Papers Change Lives» im Kornhausforum Bern. Menschen aus der ganzen Welt mit unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründen haben in der Ausstellung mitgewirkt. Sie teilten ihre Erfahrungen vom Verkauf von Strassenzeitungen und berichteten, wie er sich auf ihren Alltag und ihr Leben ausgewirkt hat. Ein Beispiel ist Tomislav Martić. Aufgewachsen im Südwesten Serbiens, musste er nach dem Tod seiner Eltern früh lernen, für sich selbst zu sorgen. Tomislav nahm verschiedene kleine Jobs an, doch die Einnahmen reichten nicht aus, um Miete und Lebensunterhalt zu decken. Daher verkauft er nun Strassenzeitungen. Er trifft sich oft mit anderen Verkäufer:innen auf einen Kaffee, um gemachte Erfahrungen zu teilen. Solche Zusammenkünfte würden wesentlich zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls beitragen. Die Ausstellung verdeutlichte nicht nur wie der Austausch und der Verkauf der Zeitungen das Leben der Verkäufer:innen verändert, sondern auch, wie diese Interaktionen das der Leser:innen bereichern.

Fluch oder Segen?

Viele der für die Ausstellung begleiteten Strassenzeitungsverkäufer:innen stammen aus schwierigen Verhältnissen. Schicksalsschläge in der Kindheit, Alkoholprobleme in der Jugend oder Erfahrungen von Flucht und Migration sind häufige Ursachen, weswegen es den Betroffenen schwerfällt, Zugang zum gesellschaftlichen Leben zu finden. Strassenzeitungen bieten ihnen jedoch die Möglichkeit, eine gewisse Einbindung ins soziale Netzwerk zu erlangen und sich stärker in die Gesellschaft zu integrieren.

 «Der Verkauf von Zeitungen gibt den Einkommensschwachen eine Stimme.»

Dabei ist die Interaktion mit den Passant:innen für die Verkäufer:innen wichtig. Beide Parteien hätten die Möglichkeit, Menschen kennenzulernen, die sie in ihrem alltäglichen Umfeld nie getroffen hätten. Mit dem Austausch würden Freundschaften und Beziehungen aufgebaut. Das Vertrauen der Passant:innen in die Verkäufer:innen steige. Und durch das zunehmende Selbstvertrauen der Verkäufer:innen erhöhe sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Zeitungen besser verkaufen. Wichtig dabei sei für die Händler:innen, eine positive Einstellung gegenüber ihrer Arbeit zu bewahren. Nur so könnten sie sich eine bleibende Kundschaft aufbauen und ein gesichertes Einkommen erzielen.

Der Status Quo als Hindernis

In der heutigen Gesellschaft steht die individuelle Leistungsfähigkeit im Vordergrund. Menschen werden nach ihren Fähigkeiten und Erfolgen beurteilt. Diese tief verankerte Bewertungsstruktur macht es umso schwieriger, Diskriminierung wirksam zu bekämpfen und soziale Ungleichheit zu überwinden. Menschen, die von Armut betroffen sind, haben es deshalb besonders schwer, sich in die Dynamik der Leistungsgesellschaft zu integrieren. Der Verkauf von Strassenzeitungen zielt darauf ab, diesen Status Quo zu durchbrechen. Verkäufer:innen kämpfen gegen soziale Ausgrenzung und versuchen, sich durch den Verkauf der Zeitungen eine Präsenz in der Gesellschaft und eine Zukunft für sich zu erarbeiten. Trotz den Herausforderungen und der ständigen Gefahr der sozialen Ausgrenzung geben Strassenzeitungen vielen von Armut betroffenen Menschen Hoffnung auf die Machbarkeit einer Veränderung ihres persönlichen Status Quos.

 

 

Licht am Ende des Tunnels

Der Verkauf bietet den Betroffenen die Möglichkeit, ein eigenes Einkommen zu generieren und aktiv an der Verbesserung ihrer Lebensumstände zu arbeiten. Ein zentraler Aspekt ist die Rückgewinnung der Kontrolle über ihr Arbeitsleben; die Verkäufer:innen schätzen besonders die Freiheit, sowohl den Arbeitsort als auch die Arbeitszeiten selbst festlegen zu können. Doch der Zeitungsverkauf geht über die blosse Organisation des Arbeitsalltags hinaus: Er eröffnet den Menschen die Chance ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten und selbst einen Wandel in ihrer Situation herbeizuführen.

Dank des Prinzips der Hilfe zur Selbsthilfe finden viele Verkäufer:innen wieder Zugang zum gesellschaftlichen Leben. Das Einkommen aus dem Verkauf ermöglicht es ihnen, grundlegende Ausgaben wie Miete, Krankenkasse und andere Notwendigkeiten zu decken. Für viele wird dieser Verdienst zur finanziellen Grundlage, die Stabilität und Sicherheit bietet. Dies verdeutlichte die Ausstellung im Kornhausforum unter dem Motto «Leben verändern». Darin zeigte sie auf, wie Strassenzeitungen nicht nur wirtschaftliche Unterstützung leisten, sondern auch das Leben der Verkäufer:innen nachhaltig verändern können.

 

Text und Foto Emanuelle Cohen