Im Sommer fand die Frauenfussball-Europameisterschaft in der Schweiz statt und brach jegliche Rekorde. Wie sieht nun die Zukunft des Schweizer Frauenfussballs aus?

 

Vor einem Jahr hätte mich kein Geld der Welt an einen Fussballmatch gebracht. Nun besitze ich drei Trikots und halte Ausschau nach spannenden Spielen. Der Grund: die Frauenfussball-EM 2025 in der Schweiz. Verteilt über einen Monat fanden in sechs verschiedenen Schweizer Städten Spiele der EM statt. Ab 15.- Fr konnte man schon Gruppenspiele miterleben. Aufgrund der tiefen Preise war ich im Juli dieses Jahres an sieben EM-Spielen. Und jetzt bin ich absoluter Fan, zumindest von Frauenfussball. Und ich bin weit nicht die Einzige.

Die Schweizer Nati nach ihrem Viertelfinalspiel in Bern.

Zahlen, die Geschichte schreiben

Schon vor Start der Europameisterschaft war klar: Diese EM wird einige Rekorde brechen. Die letzte EM in England 2022 konnte zwar von grösseren Stadien profitieren, doch die Besucherzahlen des diesjährigen Turniers waren höher, als es sich die UEFA erhoffen konnte. 657’291 Fans wurden von der UEFA gezählt. Die EM 2025 wurde somit die bestbesuchte Frauenfussball-EM aller Zeiten. Die mehr als 400 Millionen Fernsehzuschauer:innen machten diese EM zudem zur meist geschauten in der Geschichte des Frauenfussballs. Sieben der Nationalteams, darunter auch das Gewinnerteam England und unsere Schweizer Nationalmannschaft, wurden von Frauen gecoacht, auch eine Rekordzahl. Aus ökologischer Sicht wurden ebenfalls Rekorde gebrochen. Laut UEFA entschieden sich zwei von drei Fans dazu, mit dem ÖV anzureisen. Eine Zahl, die sicherlich dadurch unterstützt wurde, dass man mit einem Ticket am Match-Tag in der ganzen Schweiz gratis ÖV fahren konnte. Aus Zahlensicht war diese EM also ein voller Erfolg, der die Messlatte für zukünftige Meisterschaften im Frauenfussball nun sehr hoch gelegt hat.

Eine wiederum sehr niedrige Zahl, welche bei dieser EM auch Geschichte schrieb, war die Anzahl der gebrauchten Polizeieinsätze. Anders als der Ruf von Fussballspielen in der Schweiz vermuten lässt, waren keine Grosseinsätze der Polizei nötig. Während dem Turnier sagte eine Pressesprecherin für die Organisatoren der Spiele in Basel gegenüber SRF, dass die Stadtpolizei Basel keine Gewaltausschreitungen zu melden hatte. Und bis Ende der EM blieb dies auch so. Das Turnier war sehr friedlich und familienfreundlich. Zwei Wörter, die man nicht unbedingt beim Beschreiben eines Fussballturniers erwartet.

Einblick in die Fanstimmung am Viertelfinalspiel Schweiz vs Spanien.

Schweizer Frauenfussball profitiert

Für den Schweizer Frauenfussball war die EM ein Sprungbrett. Die Schweizerinnen starteten etwas schwierig ins Turnier, doch sie kamen über die Gruppenphase hinaus bis ins Viertelfinal. So weit ist zuvor noch keine Schweizer Frauen-Nati bei einer EM gekommen. Als die Schweizerinnen am 18. Juli ihr Viertelfinal-Spiel in Bern gegen die Weltmeisterinnen aus Spanien antraten, war die Spannung in der ganzen Schweiz zu spüren. Ich hatte Glück und hatte mir schon vor Start des Turniers Tickets für dieses Spiel gekauft. Dort dann wirklich unsere Nati spielen zu sehen, war unglaublich. Die Stimmung war ansteckend und als absoluter Nicht-Fussballfan vor dieser EM, muss ich ehrlich zugeben, dass spätestens dieser Match mein Fussballfieber ausgelöst hat. Das gemeinsame Mitfiebern im Stadion war einmalig.

Das Spiel entpuppte sich als nervenaufreibend. Obwohl die Schweizerinnen leider verloren haben, erweckten sie Fussballfieber in der ganzen Schweiz. Der Fanmarsch vor dem Match war mit 25’000 Fans der grösste Fanmarsch in der Geschichte des Schweizer Fussballs allgemein, nicht nur des Schweizer Frauenfussballs. Das Viertelfinal im Wankdorf Stadion war mit 29’734 Fans ausserdem das meistbesuchte Viertelfinal in der Frauenfussball-EM-Geschichte. Nach diesem Spiel konnten Schweizer Clubs wie der FC Basel 120% Zunahme von verkauften Saisontickets für ihr Frauenteam verzeichnen. Der Schweizerische Fussballverband (SFV) sah in der Fanreaktion auf die EM und vor allem auf die Schweizer Nati eine klare Chance, neue Fans für den Sport zu gewinnen. Wie diese neuen Fans die Zukunft des Frauenfussballs in der Schweiz wirklich beeinflussen werden, ist jetzt noch offen. Doch die Euphorie, die sich im Sommer gezeigt hat, geht nicht so schnell wieder weg.

Probleme verschwinden nicht über einen Sommer

Seit dem Erfolg der Schweizerinnen bei der Heim-EM entwickelten sich einige Sachen im Frauenfussball hierzulande. Länderspiele der Frauen, vor allem die Vorrunden für die 2026 anstehende WM, werden häufiger verfolgt als vorher. Es scheint auch, als ob mehr Frauenspiele vom SRF gezeigt werden. Ob dies jedoch nur so scheint, da nun mehr Menschen danach suchen als vorher, ist nicht ganz klar. Doch trotz der positiven Stimmung nach der EM in der Schweiz, gibt es noch einige grosse Probleme im Schweizer Frauenfussball. Die meisten unserer Nationalspielerinnen spielen in Clubs im Ausland. So wie Kapitänin Lia Wälti, die nach der EM von Arsenal (England) zu Juventus (Italien) gewechselt hat. Dies liegt nicht nur daran, dass die Fussballförderung in anderen Ländern stärker ausgebaut ist, sondern wohl vor allem daran, dass Frauenfussballerinnen vom Fussball nicht leben können – zumindest nicht in der Schweiz. Anders als ihre männlichen Kollegen, wie Xherdan Shaqiri beim FC Basel, könnten die Spielerinnen mit ihrem Lohn von einem Schweizer Club nicht ohne einen zweiten Job leben. So ist Alisha Lehmann bekannter für ihre Influencer-Karriere auf Social Media als für ihre Tätigkeit als Fussballerin und Nationalspielerin. Der Lohnunterschied zwischen den Männern und Frauen sorgt immer wieder für Diskussionen im Fussball national und international.

Ende Oktober gab der SFV bekannt, dass der Vertrag von Nationaltrainerin Pia Sundhage nicht verlängert wird. Eine Entscheidung, welche auf negative Reaktionen stiess. Viele Fans konnten dies nicht verstehen. Vor allem nachdem Sundhage die Nationalmannschaft an der Heim-EM zu noch nie gesehenen Erfolgen führen konnte. Einer der Gründe für die Beendung des Vertrags mit der Schwedin könnte sein, dass diese auf eine Festanstellung ihrer Assistenten bestand. Die von Sundhage geforderte Professionalisierung war wohl nicht der einzige Grund für die Trennung mit der Trainerin. Doch der Entscheid löste bei einigen Fans Unruhe bezüglich der Zukunft der Nationalmannschaft aus. Ein neuer Trainer ist aber schon bekannt. Rafael Navarro übernimmt das Ruder. Der Spanier war lange Assistenztrainer der Frauenmannschaft des FC Barcelona, eine der wohl besten Mannschaften im Frauenfussball. Die Wahl sieht also profitabel aus und fördert hoffentlich die Qualität des Frauenfussballs in der Schweiz.

Das Maskottchen der EM: Madli, benannt nach der ersten professionell anerkannten Fussballerin der Schweiz Madeleine Boll.

Trotz Erfolg bleiben Zukunftsängste

Die EM in der Schweiz war einfach großartig. Von allen Seiten gab es positive Rückmeldungen. Die Atmosphäre an den Spielen war hervorragend und machte Lust, danach wieder einmal ein Frauenfussballspiel zu besuchen. Die UEFA rühmte sich nach Abschluss des Turniers und deklarierte, dass der Frauenfussball die Welt erobern werde. Ein wünschenswerter Gedanke, dessen Realisierung wohl noch mehr Kämpfe benötigt, als erhofft. Dies zeigte sich leider sehr schnell, nachdem die Euphorie der EM abgeflacht war. In den Wochen direkt nach dem Turnier wurde in einem der grössten Clubs in Europa, dem FC Barcelona, praktisch das ganze Budget für die Frauenmannschaft gestrichen. Wieso? Kurzgefasst: Die Männermannschaft ist verschuldet und die Frauen müssen dafür büssen. Vor allem der Fakt, dass dies beim FC Barcelona passiert ist, ist schockierend. Der Club ist bekannt für seine Talentförderung von Männern und Frauen und kann mit seinem Frauenteam viele Erfolge verzeichnen. Doch jetzt ist nicht mehr klar, ob sie noch genügend Spielerinnen haben werden, um die Saison bis zum Ende durchzustehen – und dies, obwohl die Frauenmannschaft die Champions League letztes Jahr gewonnen hat. Der Frauenfussball steht daher auch in den besten Teams noch vor hohen Hürden.

Die EM 2025 hat den Frauenfussball in den Mainstream gebracht und klar gefördert. Doch nicht alle Probleme sind behoben. Wenn es aber so weitergeht, wie dieses Jahr, ist klar: Der Frauenfussball ist auf grosser Bühne angekommen und nicht mehr wegzudenken!

 

Text und Fotos Franziska Schwarz