«Taylor Swift is the music industry». Ihr Einfluss reicht weit über den Bühnenrand hinaus. Doch wo endet Authentizität und wo beginnt die Inszenierung?

Taylor Swifts Erfolg ist ihr nicht abzusprechen – ob im Radio, auf Plakaten und Tournee oder durch Hypes. Kaum ein Weg führt an der 35-jährigen US-Amerikanerin vorbei. Was hebt Taylor Swift von anderen Pop-Sternchen ab und katapultiert sie in neue Sphären?

Ein Phänomen in Zahlen und Emotionen

Über 280 Millionen Follower auf Instagram, die erfolgreichste Tournee der Musikgeschichte überhaupt und ein Hype, der ganze Länder spürbar bewegt: Taylor Swift ist längst mehr als eine Musikerin. Sie ist ein globales Phänomen. Rekorde folgen ihr, wohin sie auch geht. Es scheint, als ob die Songwriterin in ihrer eigenen Liga spielt. Kaum jemand verkörpert Popkultur, Selbstinszenierung und Markenimage so gut wie sie. Doch hinter dem Glanz aus Glitzer, Geld und medialer Omnipräsenz steckt ein präzise kalkuliertes Imperium: eines, das Fragen nach Authentizität, Kommerz und Macht aufwirft.

Foto 1: Die Frau an der Spitze der Musikindustrie: Taylor Swift.

Die Eras Tour – grösser als Musik

The Eras Tour ist eine Tournee der Superlative, die nach ihresgleichen sucht: 149 Konzerte auf fünf Kontinenten und zehn Millionen verkaufte Tickets haben rund zwei Milliarden US-Dollar in die Kasse gespült. Politische Entscheidungsträger:innen baten Swift öffentlich, weitere Konzertstopps in ihrem Land zu planen, Bürgermeister:innen der Konzertstädte begrüssten Taylor Swift herzlich mit Anspielungen auf Songtexte und Städte wurden zu Ehren der Pop-Ikone vorübergehend umbenannt. So wurde die deutsche Stadt «Gelsenkirchen» kurz zu «Swiftkirchen» umgetauft, um Taylor Swift zu begrüssen. Und die öffentliche Aufmerksamkeit scheint nicht unbegründet zu sein: Die sechs Shows in London brachten der lokalen Wirtschaft geschätzte 380 Millionen US-Dollar ein. Die «Swiftonomics» führte auch in Singapur zu sprunghaften Anstiegen der Nachfrage für eingehende Flüge oder Hotelbuchungen, wobei letztere um 462% in die Höhe schnellten. Taylor Swifts Fans, liebevoll auch «Swifties» genannt, stellten sich als sehr zahlungsbereit heraus und gaben im Schnitt pro Person zwischen 1300 und 1500 US-Dollar aus. Abgesehen von Ticketpreisen umfasste dies auch die Reisekosten, Unterkunft, Essen, speziell abgestimmte Outfits und Merchandise. Die Eras Tour ist mehr als Musik. Sie ist Gemeinschaftserlebnis, ökonomisches Phänomen und Zeitgeist zugleich. Auch die Schweiz ist dem Swift-Fieber verfallen. Die beiden Konzerte im Zürcher Letzigrund Stadion waren ausverkauft und stellten Taylor Swifts ersten Auftritt in der Schweiz dar.

The Life of a Showgirl – zwischen Kunst und Kalkül

Nach etwas mehr als einem Jahr hat das Bangen und Rätseln der Fans endlich ein Ende: Taylor Swift hat am 3. Oktober ihr zwölftes Studioalbum veröffentlicht. Dieses sieht sich hohen Anforderungen ausgesetzt, da ihr letztes Album, The Tortured Poets Department, bereits ein riesiger Hit war. Kann sie das noch übertreffen? Taylor Swift bedient sich dazu prominenter Produzenten – Max Martin und Shellback – und meint ja, sie könne das: Nach und nach verrät die Pop-Ikone mehr zur neuen Veröffentlichung und bringt zunehmend mehr glitzernde und schimmernde Vinyl-Varianten heraus. Mit Erfolg: Die ingesamt 24 extravaganten Albumvarianten in Showgirl-Allüre sind innert kurzer Zeit ausverkauft. Eine Marketing-Strategie mit Countdowns, welche die Herzen der Swifties höherschlagen lassen, funktioniert allem Anschein nach. Doch der Verkaufscoup stösst auch auf Kritik. Die Album-Varianten sind teils nur in ausgewählten US-amerikanischen Supermarktketten verfügbar, andere nur einige Stunden im Online-Shop. Der springende Punkt: Wer alle akustischen Versionen von Swifts neuen Songs hören möchte, muss mehrfach zuschlagen, da jede Album-Variante jeweils nur zwei davon enthält. Manche Fans ärgern sich, da dies früher noch optionalen Charakter hatte; heute hingegen sähe man sich durch diese Exklusivität beinahe gezwungen, mitzumachen, sofern man, denn nichts aus der Swift-Welt verpassen möchte. Mittlerweile ist klar, dass die glücklich verlobte Sängerin einmal mehr einen Rekord gebrochen hat, den man in der heutigen Zeit als fast schon unantastbar gehalten hatte. Als meistverkauftes Album in der ersten Woche nach dem Release hat das neue Album mit knapp 3.5 Millionen verkauften Exemplaren Adeles «25» abgelöst. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass heutzutage Streaming deutlich angesagter ist, und Adeles besagtes Album etwa zehn Jahre zuvor veröffentlicht wurde.

Trotz Erfolgen ist The Life of a Showgirl harscher Kritik ausgesetzt: SRF titelt beispielsweise «Taylor Swift spielt mit den Erwartungen – und erfüllt sie nicht». War der ganze Rummel also nur heisse Luft? Die Meinungen gehen auseinander: Während die einen meinen, das Album sei lyrisch nicht auf der Höhe seiner Vorgänger, sind andere Hörer:innen den Ohrwürmern längst verfallen.

Sicher ist, dass Taylor Swift ihre aktuelle Lebenssituation thematisiert – ihr aktuelles Liebesglück, ihren Verlobten Travis Kelce und die zurückgekauften Rechte ihrer Musik. Eben eine neue Ära. Ob das Album mit früheren mithalten kann, wird sich noch zeigen. Die US-Amerikanerin führt allerdings aktuell die Charts in diversen Ländern an und setzt neue Massstäbe. Vielleicht liegt gerade darin ihr Erfolgsrezept; sie schafft es, eigene Erfahrungen in Musik umzuwandeln und dabei Millionen von Menschen das Gefühl zu geben, Teil dieser Geschichte zu sein.

Taylor Swift als Marke: das Genie hinter dem Marketing

Kaum jemand beherrscht Marketing und Fanbindung wie Taylor Swift. Es ist wohlbekannt, dass die Sängerin fast überall sogenannte Easter-Eggs versteckt, sei es in ihren Outfits, Songtexten, Musikvideos oder im Bühnendesign. Sie löst damit jedes Mal eine neue Welle von im Swift-Fandom aus, auch wenn sich vermeintliche Anspielungen schlussendlich als unwahr entpuppen. Fans spekulieren allerdings nicht immer vergebens. Dass Taylor Swift weit im Voraus plant, zeigt sich etwa daran, dass sie erste Hinweise auf ihr neues Album bereits vor über einem Jahr gestreut hat. Das Marketing-Genie überlässt dabei nichts dem Zufall, sondern nimmt das Geschick selbst in die Hand. Swift ist jedoch nicht ausschliesslich Geschäftsfrau, sondern verkörpert selbst eine Marke. Wenn sie auf einem Foto posiert, sind Kleider und Schmuck, die sie darauf trägt, sofort ausverkauft. Die Cartier-Uhr, welche sie auf ihrem Verlobungsbild getragen hat, verzeichnete auf Sammler:innen-Seiten ein um über 1700% gesteigertes Suchvolumen. Dieser unbezahlte Werbepost hat für das französische Luxus-Schmuckunternehmen einen geschätzten Wert von 20 Millionen US-Dollar. Der Einfluss des Pop-Sternchens ist unbestreitbar.

Weitere Marken, die nicht in den Genuss der Gratiswerbung gekommen sind, beschliessen, selbst aktiv zu werden: Mit Wortspielen und dem unverwechselbaren orange-türkisen Look rund um das aktuelle Album haben Unternehmen durch reaktives Marketing von Reichweite profitiert. Das wäre ansonsten nur mit viel höherem Social-Media-Budget möglich gewesen. Auch Swift selbst dürfte sich darüber freuen, da sie dadurch von einer Welle kostenloser Werbung profitiert.

Auf der politischen Seite fallen Swifts Äusserungen jedoch deutlich spärlicher aus. Zur US-Präsidentschaftswahl von 2024 hat sie sich trotzdem ausgesprochen, nämlich für die Demokratin Kamala Harris. Damit zieht sie den Unmut von Donald Trump auf sich, der sich regelmässig zum Konter gezwungen fühlt, etwa indem er Swift als «childless cat lady» bezeichnet. Manche würden sich trotzdem wünschen, dass Swift ihre Reichweite und ihren Einfluss mehr nutzt, zum Beispiel indem sie es Mächtigen auch mal richtig ungemütlich macht.

Foto 2: Taylor Swift bei ihrem Konzert im Letzigrund Zürich

Inszenierung der Echtheit

Taylor Swifts Karriere zeigt, wie eng Authentizität und Inszenierung heute verflochten sind. Ihre Fans schätzen sie für ihre nahbare Art. Ein Image, das zugleich bewundert und heiss diskutiert wird: Ist sie das wirklich, wenn sie bereits einer längeren Autofahrt den Privatjet vorzieht oder Luxusimmobilien in New York City sammelt? Ihre bewusst gepflegte Bodenständigkeit wirkt im Kontrast zu einem luxuriösen Lebensstil zunehmend brüchig.

Während sie dafür negative Schlagzeilen kassiert, werden Tech-Prominente wie Eric Schmidt und Elon Musk, die Statistiken zur Privatjet-Nutzung anführen, weniger skandalisiert. Entgegen der Erwartung einiger ist die US-Amerikanerin im Jahr 2024 nur auf der Statistik anzutreffen, und dies trotz der Welttournee, durch die sie viel auf dem Globus herumgekommen ist. Dies offenbart nicht nur eine Doppelmoral, sondern auch, wie stark die öffentliche Wahrnehmung von geschlechtsspezifischer Voreingenommenheit und medialer Inszenierung geprägt ist.

Hinter dem Glitzer – die Kunst, echt zu wirken

Die Multi-Milliardärin und mehrfache Grammy-Preisträgerin kalkuliert ihr Auftreten auf und neben der Bühne. Nichtsdestotrotz bleibt Taylor Swift transparent und kommuniziert der Community ihre Entscheidungen auf Augenhöhe. Ausserdem ist eindrücklich, wie die US-Amerikanerin Album für Album neue Ären einleitet. Sie zeigt dabei jedes Mal eine neue Seite von sich selbst; im Kern bleibt Swift aber immer die Gleiche. Doch kann man im Scheinwerferlicht sowie im Zeitalter der totalen Sichtbarkeit überhaupt noch echt sein, oder ist das der Preis, den die erfolgreichste Pop-Musikerin unserer Zeit bezahlen muss?

Text Gianluca D’Andrea

Foto zum Artikel: Foto 1: Gianluca D’Andrea, Foto 2: Franziska Schwarz