Wer kürzlich durch den Freiburger Bahnhof gegangen ist, wird sie bemerkt haben: die gelben „Spéciste! Contre l’oppression des animaux“-Aufkleber auf den Plakaten, die für das Aquarium-Vivarium Aquatis in Lausanne oder für den Zirkus Knie geworben haben. Aber was genau steckt dahinter?

Die erwähnten Aufkleber sind Zeichen des Protests gegen den Speziesismus. „Anti-Speziesismus“ heisst sinnigerweise die Bewegung der Urheber dieses Protestes, die sich in einer Linie mit Anti-Faschisten, -Kapitalisten, -Sexisten und ähnlichen stark linken Gruppierungen sieht. In Freiburg werden sie zum Beispiel durch die Lokalsektion der Gruppe Pour l’égalité animale (PEA) vertreten, die im November auch Le mois végane romand in Freiburg organisierte.

Die Wurzeln und Blüten

Das theoretische Fundament der Bewegung, auf welches sich auch die PEA beruft, reicht zurück in die siebziger Jahre zum Philosophen Peter Singer und dessen Buch Animal Liberation. Der Begriff selbst stammt vom britischen Psychologen Richard Ryder. Der Anti-Speziesismus versteht sich als Teil der Tierrechtsbewegung. Von seinen Anhängern fordert er eine vegane Lebensweise, was nicht nur die Ernährung miteinschliesst. Über den Veganismus hinausgehend ist unter Anti-Speziesisten der Anspruch weit verbreitet, auf eine gegenüber Tieren diskriminierende Sprache zu verzichten. Also Ausdrücke wie „fette Sau“, „dumme Gans“ oder „affig“ nicht zu verwenden. Dies wird als die konsequente Fortführung der gemeinhin akzeptierten Forderung nach einer nichtdiskriminierenden (nicht-rassistischen, nicht-sexistischen) Sprache unter Menschen betrachtet.

Die Zurückweisung des Speziesismus wird dadurch begründet, dass die Artzugehörigkeit eines Individuums irrelevant für dessen moralischen Wert sei. Ein Huhn habe nicht weniger ethische Rechte als ein Mensch, nur weil es ein Huhn und eben kein Mensch sei. Anti-Speziesisten sehen darin eine Analogie zu Geschlecht oder Hautfarbe, die bei Menschen als arbiträr erachtet werden für deren ethische Behandlung. Die Tierbefreiung wird als Projekt in eine Linie mit jenen der Entkolonialisierung, des klassischen Feminismus oder der Emanzipation des unterdrückten Judentums gestellt.

Da die Strömung nicht vollkommen homogen ist, existieren auch andere Argumentationsmuster: Einige wollen zum Beispiel die Spezies selbst, ähnlich wie das Gender (das soziale Geschlecht), als Konstrukt entlarvt haben, gezimmert aus Herrschaftsstrukturen, die zur Aufrechterhaltung der Privilegien einer bestimmten Gruppe dienen (wobei teilweise theoretische Verknüpfungen zum historischen Materialismus von Marx gemacht werden). „Schmeissfliege“, „Hausschaf“ und „Europäisches Reh“ wären infolgedessen nicht reale Arten, deren Existenz die Arbeit der Naturwissenschaften aufgedeckt hätte, sondern etwas, was nur ein kulturell-gesellschaftliches Fundament hat und mit ihm verschwinden würde.

Kritik an der Kritik

Bei der Beschäftigung mit dem Anti-Speziesismus, seinen Ideen und Aktionen geht es einem wohl ähnlich wie bei der Beschäftigung mit anderen Ideen, die aus dieser politischen Ecke kommen: Man ist geneigt, bei gewissen Punkten zuzustimmen, bei anderen hat man Vorbehalte, teilweise ohne zu wissen, wieso. Am störendsten ist wohl die Verweigerung jeglicher partizipativen Teilnahme an Politik. Nichts ist mehr ein politischer Konflikt zwischen mündigen Individuen, alles wird zu einem Kampf gegen persönlichkeitslose soziale „Strukturen“, geführt von Individuen, die sich kraft ihres Wissens um diese Strukturen als mündig behaupten können. Daher besteht auch keine Notwendigkeit, die Unterdrückten oder die Unterdrücker miteinzubeziehen. Eine Theorie, die „kritisch“ klingt und sich mit den gängigen Attributen schmückt, ist hinreichend für Legitimation einer „subversiven Aktion“, wie zum Beispiel das Zerstören des Zaunes einer Hirschzuchtanlage im Kanton Freiburg im August 2017, das von einschlägigen Kreisen gefeiert wird, als käme es dem Lebenswerk Martin Luther Kings gleich. Und so scheint auch der Anti-Speziesismus, trotz des sicherlich lobenswerten Einstehens gegen Tierleid, vor allem eine Plattform zur Inszenierung pseudo-revolutionären Verhaltens zu sein, weit weg von einer am Konsens orientierten Realpolitik.

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