Maskiert mit Arroganz, Empathielosigkeit und Charme. Doch könnte die Maske von narzisstischen Menschen ein Schutz vor dem selbstkritischen Innenleben sein?

Ein hohes Selbstvertrauen, viele Blicke in den Spiegel oder Egoismus: zu Unrecht werden heutzutage Personen beschuldigt, «Narzist*innen» zu sein. Dabei verliert die narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) und demzufolge die Therapie die nötige Aufmerksamkeit.

 

Narziss – der Mythos

Doch woher stammt der Begriff «Narzissmus» ? In Ovids Metamorphosen besagt eine Weissagung des Sehers Teiresias, dass der wunderschöne Jüngling Narziss sehr alt werde, wenn er sich selbst niemals erkenne. Narziss wird von allen begehrt, weist aber deren Liebe stets ab. Einem Verehrer schickt er sogar ein Schwert, damit dieser sich selbst töten kann. Der Sterbende bittet die Götter, Narziss mit einer unerwiderten Liebe zu bestrafen; die Bitte wird erhört. Nichtsahnend geht Narziss zu einer einsamen Quelle und erblickt in dem Fluss sein Spiegelbild. Er verliebt sich, ohne zu wissen, dass es nur eine Widerspiegelung an der Wasseroberfläche ist. Er kann sich zwar dem Bild nähern, erreichen kann er es aber nie. Seine Tränen lassen sein Spiegelbild verschwinden und in einem kläglichen Monolog bedauert Narziss diese unerwiderte Liebe, an der er schlussendlich stirbt. An seinem Todesort ist kein Leichnam zu finden, sondern eine wunderschöne Blume, die uns als Narzisse bekannt ist.

Sigmund Freud – again

In der Psychologie kam der Begriff erstmals in einem Vortrag Sigmund Freuds auf, der den Mythos des Narziss zur Beschreibung seiner eigenen Interpretation der Selbstverliebtheit nutzte. Diese Verliebtheit in die eigene Person bildete die Grundlage des Begriffs «Narzissmus», wobei Freud dies lediglich als eine Phase der normalen Entwicklung betrachtete. In der Zwischenzeit hat sich in Bezug auf die Definition einiges geändert. Freuds «Spiegelmetapher» wird aber dennoch als eine Art Grundbedürfnis von Menschen mit einer NPS angesehen. Später fügten Otto Kernberg und Heinz Kohut die eigene Grossartigkeit, die Selbstidealisierung, das übermässige Bedürfnis nach Bewunderung, die Empathielosigkeit und den Anschein von Arroganz hinzu. Kernberg und Kohut lieferten somit die diagnostischen Grundlagen für die Kriterien der narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) nach DSM-IV-TR (siehe Ende des Beitrags).

Hypothesen – Angst vor sich selbst?

Der Narzissmus als Persönlichkeitsstörung ist empirisch noch immer nicht so gut belegt wie der Narzissmus als Persönlichkeitsmerkmal. Trotzdem gibt es einige Hypothesen, wie es zu einer NPS kommen könnte. Die meisten Ansätze haben einen gemeinsamen Nenner: die Eltern. Mögliche Ursachen sind: Kühle und gleichgültige Eltern, ungenügende emotionale Unterstützung des Kindes, Bedürfnis nach Bewunderung wird nicht genügend befriedigt und  eine Realitätsprüfung bleibt aus, sich dem Kind unterwerfende Eltern, die bei Nichterreichung der perfektionistischen Ideale mit Enttäuschung und Verachtung reagieren, Überbehütung und unrealistische Aufwertung oder negative Grundannahmen, die durch negative Erfahrungen mit Bezugspersonen entstehen und die das Kind später mittels narzisstischer Verhaltensweise versucht zu bekämpfen oder vermeiden.

Da die narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) zu sozialem Rückzug, einer depressiven Störung und Suchtverhalten führen kann, ist es umso wichtiger, ein Blick hinter die kühle und selbstverliebte Maske von Menschen mit einer NPS zu werfen.


Kriterien der narzisstischen Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV-TR

(mind. 5 müssen zutreffen)

  1. Hat ein grandioses Gefühl der Selbstwichtigkeit (z. B. übertreibt Leistungen und Talente, erwartet, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden).
  2. Beschäftigt sich mit Fantasien von unbegrenztem Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe.
  3. Glaubt, dass er oder sie „besonders“ und einzigartig ist und nur von anderen besonderen oder hochrangigen Menschen (oder Institutionen) verstanden werden kann oder mit ihnen in Verbindung gebracht werden sollte.
  4. Erfordert übermäßige Bewunderung.
  5. Hat ein Anspruchsdenken (d.h. unangemessene Erwartungen an eine besonders günstige Behandlung oder automatische Einhaltung seiner Erwartungen).
  6. Ist zwischenmenschlich ausbeuterisch (d.h. nutzt andere aus, um seine eigenen Ziele zu erreichen).
  7. Mangel an Empathie: ist nicht bereit, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren
  8. Ist oft neidisch auf andere oder glaubt, dass andere neidisch auf ihn oder sie sind.
  9. Zeigt arrogante, hochmütige Verhaltensweisen oder Einstellungen.

Text: Maria Papantuono

Illustration: Alwiya Hussein