Was wir von Ameisen über Kooperation, Konflikt und Konkurrenz lernen können – und was nicht.
ereits beim griechischen Dichter Äsop gelten Ameisen als Symbol für die Tugenden des Fleisses und der harten Arbeit. Sie leben in «Insektenstaaten» mit bis zu mehreren Millionen Individuen zusammen. Statt miteinander um Ressourcen zu konkurrieren, arbeiten sie zusammen am Erhalt der Kolonie. Gemeinsam können sie schwere Lasten tragen und jedes Mitglied der «Gesellschaft» – ob Königin, Arbeiterin oder saisonales Männchen – leistet einen Beitrag zum Erhalt ihrer Kolonie. Könnten solche Ameisengesellschaften auch uns Menschen als Vorbild für ein kooperatives Zusammenleben dienen?
Ameisen als Vorbilder
Ganz so einfach ist es nicht. Es gibt ungefähr 15’000 verschiedene Ameisenarten, die sich in ihrer Sozialstruktur stark unterscheiden. Manche leben in sehr grossen, kooperativen Kolonien, andere in kleineren, in denen die einzelnen Ameisen auch individuelle Ziele verfolgen. Prof. Adria LeBoeuf erforscht im «Social Fluids Lab» der Universität Freiburg das Sozialverhalten von Insekten. Diese Forschung lässt sich vielseitig anwenden.
Zum Beispiel in der Robotik: Die Strategie der Ameisen beim kollektiven Bewegen von Objekten hilft uns effizientere Maschinen zu entwickeln. Wie sich die Kooperation der Ameisen auf die menschliche Gesellschaft übertragen lässt, ist da schon schwieriger zu beurteilen. «Wir dürfen die Ameisen nicht vermenschlichen», sagt Prof. LeBoeuf, «aber wir können trotzdem verschiedene Strategien der Kooperation beobachten und daraus wertvolle Schlüsse ziehen.»
Gemeinsamer Stoffwechsel
Wie der Name des Labors «Social Fluids Lab» bereits andeutet, untersucht Prof. LeBoeuf insbesondere den Austausch von Flüssigkeiten zwischen sozialen Insekten. Dieser Prozess nennt sich «Trophallaxis». Er erlaubt den Ameisen Nährstoffe und Hormone von Mund zu Mund auszutauschen und benötigt viel Kooperation innerhalb einer Kolonie. «Manche Kolonien sind so kooperativ, dass man sich die individuellen Ameisen als Zellen eines einzigen Körpers vorstellen kann», erklärt Prof. LeBoeuf.
Enge Kooperation könnte einigen Ameisenarten evolutionäre Vorteile verschaffen. Die Ameisenkönigin scheint, laut der Forschung am «Social Fluids Lab», keinen eigenen Stoffwechsel zu unterhalten. Alle Nährstoffe, die sie braucht, erhält sie per Trophallaxis von ihren Arbeiterinnen. Die Zellen der Königin nutzen sich weniger schnell ab, weil die Arbeiterinnen ihr die Stoffwechselarbeit abnehmen. Sie kann daher all ihre Energie in die Fortpflanzung investieren. Dadurch wächst die Kolonie schneller, als solche deren Mitglieder mehr individuelle Ziele verfolgen. Ausserdem lebt sie dreissigmal länger als die Arbeiterinnen, deren Körper sich durch den Stoffwechsel abnutzen.
Die Kraft des Konflikts
Dr. Sanja Hakala hat in ihrer Doktorarbeit an der Universität von Helsinki Konflikte innerhalb von Ameisenkolonien erforscht. Dass Ameisen eng zusammenarbeiten müssen, bedeutet nicht, dass keine Konflikte ausbrechen können. Die Larven einer Kolonie konkurrieren um Nahrung. Manchmal auch darum, welche sich zur nächsten Königin entwickeln kann. Unterschiedliche Kolonien kämpfen miteinander um Lebensräume und Ressourcen. Dr. Hakala sagt: «Wo es einen Konflikt gibt, muss eine Lösung gefunden werden.»
Dies gilt auch für Fische, Vögel und Säugetiere – wie eben der Mensch. Je härter die Lebensbedingungen sind, desto mehr Kooperation ist nötig, um das Überleben zu sichern. Kooperation entsteht also nicht ohne Konflikte, sondern wird gerade in solchen immer wieder neu verhandelt. Das «Social Fluids Lab» untersucht Ameisenarten mit hoher Kooperation und solche mit mehr Individualität. Beides sind Modelle, die funktionieren. Es gibt offenbar nicht einen einzigen «richtigen» Weg, wie Ameisen zusammenleben sollten, so wie es vielleicht auch nicht einen einzigen «richtigen» Weg gibt, wie Menschen zusammenleben sollten. «Welche Strategie am Ende erfolgreicher ist, lässt sich nicht sagen. Es gibt in der Evolution kein Ende», sagt Prof. LeBoeuf schmunzelnd.