Notendruck in der Schule kann viel Stress und Angst bedeuten. Alternativen gibt es, doch machen diese wirklich weniger Druck?

 

„Was für eine Note hast du?“, eine Frage, die wir wohl alle schon mal gehört, oder auch gestellt haben. Ob man in der letzten Prüfung eine Vier oder eine Sechs hatte, ist wichtig. Zumindest im Vergleich zu den anderen Schüler*innen in der Klasse. Noten in der Schule sind für uns normal. Sie gehören nun mal einfach dazu. Was sie jedoch auch mit sich bringen, und daher leider Teil des regulären Schulalltags wird, ist der damit verbundene Stress. Der Notendruck in der Schule begleitet uns von Primarschule bis in die Universität und kann auch noch im Berufsleben Auswirkungen haben. Sich direkt mitanderen zu vergleichen und daran seine eigenen Leistungen zu messen, kann verschiedene, teilweise auch schwerwiegende, Konsequenzen haben. Die Diskussion rund um Schulnoten, ihre Wirkung und Aussagekraft ist immer im Gange. Alternativen zum regulären Notensystem gibt es auch.

 

Noten als Massstab der Intelligenz?

Noten sind keine klaren Indikatoren für gute Leistung oder Intelligenz. Sie sollen Schüler*innen eine Momentaufnahme ihrer Leistungen zeigen, und somit Erfolgserlebnisse generieren. Gerade die Idee, dass durch Noten die Intelligenz von Schüler*innen ermittelt werden kann, ist fehlgeleitet. Jede*r hat das schon mal erlebt: Wer an einem schlechten Tag eine Prüfung schreibt, erhält eine schlechtere Note als erhofft. Noten legen nicht fest, wie intelligent jemand ist. Trotzdem wird anhand von Noten bestimmt, in welche Oberstufe ein*e Schüler*in nach der Primarschule geht, ob eine Klasse übersprungen oder wiederholt werden muss und ob ein Abschluss bestanden wird oder nicht.

 

Die Notenvergabe ist nicht komplett objektiv. Natürlich gibt es Notenstäbe und je nach Prüfung Punkte zu erreichen, doch nichts ist in Stein gemeisselt. Je nach Lehrer*in kann sich die Notenvergabe ändern. Vor allem bei Prüfungen, die zum Beispiel mündlich sind oder in Essayform abgelegt werden, kann sich je nachdem wer die Note vergibt, unterscheiden wie jemand bewertet wird. Auch bei der gleichen Lehrperson kann sich die Notengabe verändern. Implizite Vorannahmen können zu verzerrten Noten führen. Dies bedeutet, dass Kinder aus Akademikerfamilien oftmals als besser eingeschätzt werden als andere. Kinder aus benachteiligten Umfeldern werden strenger bewertet als ihre Klassenkamerad*innen. Auch Migrationshintergrund kann dazu führen, dass Kindern weniger zugetraut wird. Gerade wenn es darum geht in die Oberstufe zu wechseln, können diese Dinge Probleme bei der fairen Notenvergabe herbeiführen. Der Vergleich, den solche Noten erzeugen, sagt daher wenig darüber aus welche*r Schüler*in nun der/die Bessere ist.

 

Stressgefühle in der Schule

Leistungsdruck ist der häufigste Grund für Schulstress bei Kindern. Dieser kann durch verschiedene Bedingungen entstehen: Druck der Eltern, der Lehrperson oder von den Kindern selbst. Dieser Leistungsdruck und Stress kann schon in der Primarschule beginnen und sich immer weiter verschlimmern, falls nichts dagegen unternommen wird. Noten haben dabei auch eine entscheidende Rolle. Wenn Eltern oder Lehrpersonen auf bessere Noten anderer Kinder in der Klasse hinweisen, fördern sie das Konkurrenzdenken in der Klasse. Oftmals steckt dahinter die Idee, ein Kind zu motivieren, belastet aber in Wirklichkeit mehr als es motiviert. In der Sekundarstufe und im Gymnasium kann sich der Notendruck auch durch eine Angst des Versagens zeigen. Viele Schüler*innen haben Angst die Eltern zu enttäuschen und den Erwartungen nicht zu entsprechen. Dies kann viele Betroffene bis ins Erwachsenenleben, an die Uni oder in den Beruf verfolgen.

 

Nervosität, Aggressivität, Schlafstörungen und Antriebslosigkeit sind nur ein paar Beispiele für die Auswirkungen des Schulstresses. Bei grossem Stressgefühl kann es ausserdem zu regelmässig auftretenden physischen Symptomen kommen. Die Häufigsten darunter sind Bauch- oder Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme oder auch Appetitlosigkeit. Problematisch werden diese Dinge vor allem dann, wenn sie Auswirkungen auf die schulischen Leistungen haben. Umfragen in Deutschland haben aufgezeigt, dass fast ein Viertel der befragten Schüler*innen im Schuljahr 2016/17 wöchentlich oder sogar häufiger mit Kopfschmerzen zu kämpfen hatten. Auch Studien in der Schweiz zeigen, dass immer mehr Schüler*innen unter Leistungsdruck leiden.

 

«Hilf mir, es selbst zu tun.»

Die Frage, ob Noten nicht eher mehr Schaden anrichten als helfen, stellt sich immer wieder. Doch wie sollen Lehrpersonen die Schüler*innen bewerten, wenn sie nicht auf Noten zurückgreifen können? Die Antwort ist eigentlich nicht schwer zu finden. Alternative Schulsysteme gibt es schon lange. Das wohl bekannteste darunter ist die Montessoripädagogik, die 1907 von der Italienerin Maria Montessori entwickelt wurde und die Montessori-Schulen bis heute anwenden. Die Leitidee der Pädagogik ist, dass Kinder ihre eigenen Lernerfahrungen machen sollen, und zwar dann, wenn sie dazu bereit und motiviert sind: «Das Kind als Baumeister seiner selbst». Dies bedeutet, dass jedes Kind individuell das Tempo, den Inhalt und die Methode des Lernens wählt. Die Kinder können sich freier bewegen und die Lehrpersonen unterstützen ihre selbstbestimmten Lernprozesse.

 

Lehrpersonen in Montessori Schulen verteilen keine Noten. Einerseits führt die Idee, dass jedes Kind individuelle Lernerfolge erlangen soll, dazu, dass Prüfungen nicht von ganzen Klassen gleichzeitig geschrieben werden. Kinder sollen selbst einschätzen, wann sie eine Prüfung ablegen wollen, was den Druck verringern kann. Andererseits werden die Bewertungen der Leistungen differenzierter an jedes Kind angepasst ohne einheitlichen Notenmassstab. Gerade in Fächern wie zum Beispiel Sport, wo die Bewertung sehr subjektiv sein kann, hat dies positive Auswirkungen. Der direkte Notenvergleich bleibt aus und kann daher nicht zu Stress oder negativen Gefühlen führen. Doch bloss, weil der direkte Vergleich durch Noten ausbleibt, heisst es nicht, dass Kinder nicht einen anderen Weg finden sich zu vergleichen und miteinander in Konkurrenz zu treten.

 

Eine Welt ohne Noten…

Das Problem von Konkurrenz in der Schule ist klar verbunden mit der Notenvergabe. Doch Noten einfach abzuschaffen, wird die Konkurrenz nicht aufheben. Noten sind in der Gesellschaft tief verankert. Jede*r versteht, dass eine Sechs super ist und eine Vier nur genügend. Jede*r kann sich im Notensystem irgendwie einfinden. Noten verstärken zwar den Vergleich, Stress und das Konkurrenzdenken in den Schulen, doch auch ohne sie kann es dazu kommen. Stress bei Leistungsnachweisen gibt es auch ausserhalb der Schule. Vergleiche zwischen unseren Mitmenschen gibt es überall, keine Noten mehr zu verteilen, würde dies nicht ändern. Doch alternative Varianten der Notenverteilung, können zu weniger Stress führen, vor allem bei Primarschüler*innen. Die Frage nach den Auswirkungen von Noten auf die physische und psychische Gesundheit der Schüler*innen wird immer wieder diskutiert und ist wichtig, um ein motivierendes Schulumfeld zu bilden. Doch allein die Abschaffung von Noten löst noch keine Probleme. Die Frage ist daher eher, wie das Konkurrenzdenken in der gesamten Gesellschaft behandelt werden sollte. Noten sind ein Beigeschmack eines Problems, das grösser ist, als ob man eine Sechs oder eine Vier in der Matheprüfung hat.

Text: Franziska Schwarz