Dadaismus fand seinen Anfang in Zürich und ist dort heute noch lebendig. Auf den Spuren eines Kunststils in der Zürcher Altstadt.
Wie bei wahrscheinlich vielen anderen ist mein Wissen über den Dadaismus auf die komischen Gedichte und schrägen Kostüme, die wir im Deutschunterricht in der Schule behandelt haben, beschränkt. Am Rand wurde dabei erwähnt, dass die Kunstrichtung ihren Anfang in der Schweiz nahm. Genauer gesagt im Zürich des Jahres 1916 im Cabaret Voltaire. Auch heute besteht dieses noch und lockt Tourist*innen, Kunstbegeisterte und Student*innen, die einen Kaffee trinken wollen, an. Um den Dadaismus und das Cabaret Voltaire zu erkunden, machte ich mich auf den Weg nach Zürich und fand Kunst, abgebrannte Tische und Absinth.
Radikalität im Unsinn
Als experimentelle Kunstform lebte der Dadaismus von schrägen Auftritten und Inszenierungen. Dada sollte mehr sein als einfach Kunst. Alles was im Namen des Dadaismus gemacht wurde und immer noch gemacht wird, zeichnet sich durch eine undefinierbare Art der Radikalität aus. Die Auftritte hatten zum Ziel, dazu anzuregen, sich mit dem noch nicht Bekannten zu befassen und neue Zukunftsideen zu finden. Eine Definition für Dadaismus zu finden, ist beinahe unmöglich. Weil Dada interdisziplinär ist und sich nicht auf eine Art des Ausdrucks beschränkt, kann eine Beschreibung nicht alle Projekte zusammenfassen. Jedoch ist klar, wo Dada vorkommt, wird es wild, unsinnig und unberechenbar.
Das Jahr 1916 wird als Geburtsjahr des Dadaismus gesehen. Hugo Ball und Emmy Hennings, zwei der bekanntesten dadaistischen Künstler*innen, haben am 5. Februar 1916 das Cabaret Voltaire eröffnet. Das Cabaret Voltaire bot Platz für Aktivitäten verschiedenster Art. Dadaist*innen trugen hier ihre ersten Lautgedichte vor. Sie waren die ersten Poetry Slammer*innen. Das Cabaret Voltaire bot experimentellen Ausdrucksweisen und radikalem Gedankenaustausch ein Zuhause. Da die Kunstrichtung während des Ersten Weltkriegs entwickelt wurde, kann sie auch als Antwort auf diesen gesehen werden. Die verrückten Projekte der Dadaist*innen sollten Zuflucht bieten und waren ein Protest gegen die Grausamkeit des Kriegs. Mit Unsinn und Witz rebellierte Dada gegen bürgerliche Normen und Werte. Das Lokal zog auch viele politische Personen an. Unter ihnen auch Lenin, dessen Exilwohnung sich nur einen kurzen Fussweg vom Cabaret Voltaire entfernt befand.
Dada wird vergessen?
Dadaismus blühte schnell auf und starb auch fast so schnell wieder. Die Bewegung fand in Kürze internationale Anerkennung und Anhänger. Dies machte die Einigung darauf, was Dada ist und was ist nicht, schwierig. Mitbegründer Hugo Ball verliess die Bewegung nach wenigen Monaten und auch sonst wichen viele Künstler*innen auf andere Kunstrichtungen aus. Bei der Entstehung des Surrealismus im Jahr 1923 gingen die letzten übriggebliebenen Dadaist*innen in die neue Kunstrichtung über. Obwohl es den Dadaismus nicht mehr in der Form gab, wie er 1916 begründet wurde, ist er nicht endgültig tot. In Zürich wird die Kunstform bis heute noch geschätzt und mit dem Cabaret Voltaire bleibt ein kleines Stücken Dada in der Zürcher Altstadt vorhanden.
Während Literaturströmungen wie die Romantik oder Klassik im Deutschunterricht ausführlich behandelt werden, wird der Unterricht über den Dadaismus eher knappgehalten. Meine schulische Exkursion in den Dadaismus begann mit einer Unterrichtslektion, in der wir das Gedicht „Karawane“ von Hugo Ball in Kleingruppen erarbeiten und vortragen mussten. An diesem Ort endete die Unterrichtseinheit auch wieder. Ob dies mit den eher zurückhaltenden Darbietungen unserer Klasse zusammenhing, bleibt unklar. Eigentlich schade, wenn bedacht wird, dass diese internationale Kunst- und Literaturrichtung in Zürich ihren Ursprung hat.
Vom Zürcher Hauptbahnhof nach Dada
Mit Google Maps bewaffnet und dem Regenschirm in der Hand gehe ich vom Zürcher Hauptbahnhof Richtung Niederdorf. An einer unscheinbaren Ecke gegenüber einer Lush-Filiale befindet sich der historische Ort, an dem Dada entstand und zelebriert wurde. Dort traf ich eine Freundin, die in Zürich Germanistik studiert, und das Cabaret Voltairebereits besucht hatte. Dies aber nicht unbedingt aus germanistischem Instinkt, der Dadaismus wird sogar an der Universität Zürich kaum behandelt, sondern um einen Kaffee zu trinken.
Einen Kaffee gab es auch an diesem Nachmittag. Die Getränkekarte bietet dazu auch noch allerlei besondere Kreationen und hauseigenen Absinth. Zuerst jedoch erkundete ich das Cabaret Voltaire. Vor allem der historische Raum beeindruckte mich. Obwohl er auf den ersten Blick nicht nach viel aussieht, ist es eindrucksvoll darüber nachzudenken, dass an diesem Ort Grundsteine für eine international angesehen Kunstform gelegt wurden. Im Gewölbekeller des Cabarets gibt es stetig wechselnde Ausstellungen. Der Eintritt in diese läuft nach dem Prinzip: «Man bezahlt so viel wie man will». Eine Auswahl an Kunstbüchern, mehrheitlich über den Dadaismus, und die historischen Texte in der sogenannten Dada-Vitrine bietet ausserdem die Möglichkeit Bildungslücken bei Bedarf zu füllen. Die Inneneinrichtung verleiht dem Ort ein gewisses Etwas, denn die Möbel in der Künstler*innenkneipe sind Teil einer Ausstellung. Für ein Jahr stehen die scheinbar angebrannten Tische in der Bar beim Eingang und erinnern an die ursprüngliche Idee des Orts, Kunst und Gastronomie zu verknüpfen.
Als es dann Zeit für den bereits erwähnten Kaffee wurde, betraten immer mehr Gäste das Cabaret Voltaire. Von Tourist*innen mit Dada-Reiseführer, über Student*innen mit Laptop in der Hand und Familien mit Kindern gab es alles. Der Platz, den wir uns am Fenster ergatterten, verhalf uns zu einer philosophischen Feststellung. Im Cabaret Voltaire sitzt man wie in einem Schaufenster. Dauernd wurden hinter uns Fotos gemacht und Blicke in das Lokal geworfen. Wie das Cabaret Voltaire selber beschreibt, wird die Tür auf die Strasse sowohl heute wie damals als Tür in die Welt ausserhalb des Dadaismus gesehen. Der Platz am Fenster lieferte uns unseren eigenen Dada-Auftritt. Das Kaffeetrinken wurde zur Darbietung im Fenster zur Aussenwelt.
Als der Tag langsam zu Ende ging, war auch der Aufenthalt im Cabaret Voltaire zu Ende. Die gesammelten Eindrücke, verhalfen dazu, eine in der Schweiz entstandene Kunstform etwas besser kennenzulernen. Ich packte meine Sachen und ging wieder zum Bahnhof Zürich, mit etwas mehr Verständnis für den Dadaismus und dem Plan wieder mal zurückzukehren. Ob es vor der Abreise einen Schluck Absinth zum Abschluss gab, bleibt vorerst geheim.