Die Formation Blond aus Chemnitz ist auf Tour und hat auch in der Schweiz einen Halt eingelegt. «Blondinators» aus der ganzen Schweiz pilgerten dafür mit knalligen Outfits und viel Glitzer im Gesicht ins KIFF nach Aarau. An dem Konzert, das neben musikalischer Ekstase auch viel Comedy und frauendominierte Moshpits bietet, wird schnell klar: Blond weiss ganz genau, wie man eine Bühne zum Glühen bringt – auch wenn diese mittlerweile ein bisschen klein wirkt für die grossangelegte Show, die Blond abliefert. Schliesslich war die Gruppe bestehend aus Lotta und Nina Kummer und Johann Bonitz bereits mit deutschen Musikgrössen wie Annenmaykantereit, Von wegen Lisbeth und Kraftklub auf Tour. Im Interview erzählt das Trio, wieso das Backstage-Leben doch nicht so geil ist, wie man es sich immer vorgestellt hat und entlarvt Mythen rund ums Musiker*innendasein.
In eurem Song «Las Vegas Glamour» geht es um die teils ernüchternde Realität des Alltags von Musiker*innen. Auf Tour gibt es jeden Tag «Reis mit Scheiss» und man übernachtet mit einem Schlafsack im Backstage. Wie glamourös gestaltet sich euer Tourleben heute?
Lotta: Mittlerweile müssen wir zum Glück nicht mehr in Motels oder Hostels unterkommen, sondern können uns richtige Hotels leisten – insofern ist es etwas glamouröserer geworden. Ebenfalls sind wir heute an einem Punkt, wo Veranstalter Rücksicht auf unseren Rider nehmen, also Essenswünsche etc. befolgen. Früher hatte man zwar diese Wunschliste, aber niemand hat sich daran gehalten.
Nina: Faktisch ist es einfach sehr schwer, mit Musik Geld zu verdienen. Um als Musikerin so glamourös leben zu können, wie man sich das vielleicht von aussen vorstellt, braucht es unglaublich viel Glück. Touren, wie wir es tun, ist gar nicht luxuriös.
Trotzdem war Musikmachen für euch – wie für viele andere – immer ein Traum.
Nina: Das stimmt, aber gerade weil man seinen Traum zum Beruf gemacht hat, ist die Gefahr der Selbstausbeutung besonders gross.
Lotta: Die Leute vergessen, dass es sich hierbei um einen Job wie jeder andere handelt, mit dem man Miete bezahlen und Essen kaufen muss. Besonders während Corona war es spannend zu sehen, wie seltsam die Wahrnehmung des Berufs ist. Viele denken, das Leben als Musikerin bestehe immer nur aus Spass und Party. Die mangelnden Hilfeleistungen haben gezeigt, dass diese Auffassung auch von der Politik geteilt wird. Applaus ist schön, aber davon kann man nicht leben. Und auch nicht von einem Kasten Bier als Auftrittsgage, wie es uns immer wieder angeboten wird. Den Leuten ist nicht bewusst, dass man zwar eine Band hat, aber mit Nebenjobs sein Geld verdient, um über die Runden zu kommen.
Johann: Der eigentliche Luxus an dem, was wir tun, ist, dass wir unsere eigenen Chefs sind und mit den Menschen zusammenarbeiten können, mit denen wir wollen. Auch wenn dies bedeutet, dass man die Crew bezahlt und sich als Band selber noch keinen Lohn auszahlen kann. Ich zum Beispiel bin zurzeit noch beim Arbeitsamt, obwohl ich natürlich viel Arbeit in die Musik stecke.
Ihr kommt aus der ostdeutschen Stadt Chemnitz, genauso wie eure Vorband Powerplush, die euch auf der Tour begleitet. Aus derselben Stadt kommt auch Kraftklub, auf deren neuen Album ihr mit dem Song «So schön» ein Feature habt. Es scheint sich bei Chemnitz um eine regelrechte Musikfabrik zu handeln. Über eure Stadt habt ihr einmal gesagt, dass sie noch nicht ganz fertig ist. Und dass es besser sei, in so einer Stadt zu wohnen, als in einer, in der es schon alles gibt. Dieses Plädoyer für Chemnitz überrascht, denn typischerweise kehren junge Leute ostdeutschen Städten eher den Rücken und ziehen in grosse Metropolen wie Berlin.
Nina: Wenn man in Chemnitz wohnt und eine Idee hat, oder etwas vermisst, dann kann man es einfach selbst machen. Viele Gebäude stehen leer und die Mieten sind billig. Zudem hat unsere Stadt neu den Titel der Kulturhauptstadt gewonnen. Somit ist nun auch Geld da, um neue Projekte zu realisieren. Das ist mit dem «nicht fertig» gemeint. Dass man als Mensch, der in dieser Stadt lebt, die Stadt selbst mitgestalten kann.
Lotta: Will ich zum Beispiel als DJ auflegen, sind in Chemnitz alle wohlwollend und lassen mich in ihrem Club auftreten und ausprobieren. Würde ich dasselbe in einer Stadt wie Berlin probieren, wäre das schwieriger, weil das dort schon jede*r macht.
In eurem neu erschienenen Lied «Männer» beklagt ihr euch darüber, dass man als Frau in der Musikbranche oft allein ist. Im Text heisst es: «Wo sind all die anderen Frauen? Für so ne Pimmelparty mit bleichen Rentnern standen wir nicht stundenlang im Proberaum.»
Nina: Der Song schildert sehr genau unsere Erfahrung. Man macht jahrelang Musik und hofft, dass man es damit irgendwann auf eine grosse Bühne schafft. Und wenn es dann endlich geklappt hat, schaust du dich im Backstage um und denkst dir: Ich bin jetzt zwar hier und spiel auf einem grossen Festival, aber wohlfühlen kann ich mich nicht so ganz, weil ausser mir nur Typen hier sind. Und diese Typen geben einem auch das Gefühl, hier nicht so ganz willkommen zu sein.
Mittlerweile kommen Festivals immer mehr in Erklärungsnot, wenn sie nicht genügend FLINTA-Personen in ihrem Line-Up haben. Diesen Sommer stand in der Schweiz beispielsweise das Moon&Stars Festival in Locarno in der Kritik, bei dem ausschliesslich Männer auf der Bühne standen. Habt ihr das Gefühl, es verändert sich etwas?
Lotta: Kleinere Festivals sind vermehrt bemüht, ein ausgeglichenes Festivalprogramm zu buchen, bei den grossen Festivals hat sich noch nicht viel getan. Wo man definitiv ein verändertes Bewusstsein feststellen kann, ist bei anderen Künstlern. Diese nehmen vermehrt auch Bands, in denen FLINTAs vertreten sind als Vorband mit auf ihre Tour. Das ist ein wichtiges Sprungbrett für junge Musikerinnen – auch uns hat diese Unterstützung von etablierten Künstlern sehr geholfen.
Was ratet ihr jungen Frauen, die es mit der Musik probieren wollen?
Lotta: Man neigt dazu, Leute zu ermutigen, es einfach durchzuziehen. Ehrlich gesagt, kann ich aber auch nachvollziehen, wenn jemand einfach keinen Bock darauf hat. Auch als wir gestartet haben, war es richtig kacke, jedes Wochenende sexistische Sprüche gedrückt zu bekommen und nicht ernst genommen zu werden.
Nina: Der Austausch mit anderen FLINTA-Personen, die ebenfalls Musik machen, hat mir immer geholfen. In diesen Gesprächen merkt man, dass man nicht allein ist. Generell braucht es mehr Vorbilder, damit man realisiert, dass man das machen kann und darf.
Neben Vorbildern braucht es auch ein gesundes Selbstvertrauen.
Nina: Ja, leider wird Frauen aufgrund ihrer Sozialisierung eher zu wenig Selbstsicherheit mitgegeben. Vielleicht hilft es, sich vor Augen zu führen, dass ständig mittelmässige Männerbands auf Festivals gebucht werden. Es ist darum nicht tragisch, wenn ich mal nicht ganz so perfekt Gitarre spiele.
Was ist euer Prozess beim Liederschreiben?
Johann: Früher haben wir uns immer alle im Proberaum getroffen und gemeinsam ausprobiert. Mittlerweile hat sich das etwas gewandelt, da ich während Corona begonnen habe, selbst zu produzieren. Seit wir mehr mit dem Computer arbeiten, sind wir nicht mehr limitiert auf die Instrumente, die wir effektiv spielen können. Das hat zur Konsequenz, dass ich teils über 10 Stunden am Computer sitze, bis mir der Kopf raucht.
Ihr seid grosse Verfechter*innen davon, dass man sich für die Bühne schick machen soll. An einem Blond-Konzert darf man schonmal mit bis zu fünf Outfitwechsel rechnen. Warum ist euch das ganze Drumherum so wichtig?
Lotta: Wir sind uns alle drei einig, dass das Projekt Blond nicht mit einem Song enden soll. Wir denken im Gesamtkonzept. Die grossen amerikanischen Bühnen- und Zaubershows sind unsere Inspiration. Dann setzen wir um, was mit unserem Budget möglich ist. Auf der nächsten Tour zu unserem neuen Album wollen wir dann kulissen-, outfit-, und lichttechnisch überall nochmal einen drauflegen.
Am 21. April 2023 kommt das neue Album «Perlen» von Blond raus.