Nach zwei Jahren Pandemie verkündet die Rektorin das Comeback des Präsenzunterrichts – doch Euphorie bleibt bei den Studierenden aus.

In ihrer traditionellen Mail zum Herbstsemesterbeginn kündigte die Rektorin voller Freude die definitive Rückkehr zu Präsenzvorlesungen nach zweijährigem Hin und Her zwischen analogem und digitalem Unterricht an. Ganz im Sinne der «Uni-Freiburg-Kultur», welche für Nähe, Überschaubarkeit und persönlichen Austausch stehe, werde man wieder zur alten Praktik zurückkehren, obgleich die Digitalisierung natürlich nicht ungenutzt bleibe. Sie schloss mit den leicht pathetischen Schlussworten: «Im Herzen und in unserem Selbstverständnis sind und bleiben wir eine Präsenzuniversität».

Die wohl von der Rektorin erwartete Euphorie trat bei den Studierenden allerdings nicht ein. Sie zeigten sich eher verwundert. Sollten sie plötzlich wieder komplett zum Präsenzunterricht zurückkehren, nachdem sie sich in den letzten zwei Jahren an die hybride Unterrichtsweise gewöhnt hatten? Auf Nachfrage von Spectrum äusserten einige Studierende und Dozierende sowie das Rektorat ihre Meinungen zu Vor- und Nachteilen des Präsenzunterrichts sowie ihre Ansichten, welchen Weg die Universität in Zukunft wählen sollte.

Konzentration, Interaktion und Motivation

Es ist nicht so, dass die Studierenden keine Vorteile im Präsenzunterricht sehen können. Im Gegenteil. So erklärt ein Student, dass gewisse Unterrichtsformen gar nicht online stattfinden können. Von solchen Unterrichtsformen nennt das Rektorat eine ganze Liste, darunter «Experimente im Chemielabor, Übungen in den Sport- und Bewegungswissenschaften, pädagogische Praktika, zahlreiche Module in der Medizin, geografische Exkursionen usw.».

Den Studierenden fällt zudem die Konzentration viel leichter im Vorlesungssaal als vor dem Bildschirm. Auch die Interaktion mit den Dozierenden und Studierenden schätzen sie am Präsenzunterricht, da diese im Onlineunterricht ebenfalls nur beschränkt möglich ist. Eine Studierende betont zum Beispiel, sie sei dankbar für «den Austausch mit den anderen Studierenden, denen ich Fragen während der Vorlesung stellen kann.» Zudem hebt ein Dozent hervor, dass der reale Kontakt mit den Studierenden «ein wichtiges Element der pädagogischen Beziehung» sei.

Nicht zuletzt ist auch hervorzuheben, dass im Präsenzunterricht weniger Chancenungleichheit herrscht aufgrund von fehlender Infrastruktur zu Hause, wie beispielsweise ein eigenes Zimmer oder Internetanschluss. Der Präsenzunterricht scheint folglich den Lernprozess sowohl durch eine erhöhte Konzentration als auch durch eine verbesserte Kommunikation für alle gleichermassen zu fördern.

Die Vorteile des Präsenzunterrichts reichen aber gemäss den Studierenden sogar über das Akademische hinaus.  Denn sie sehen im Präsenzunterricht die Chance, Kommilitonen kennenzulernen und Freunde zu finden. So berichtet eine Studierende, die während des Lockdowns an die Universität kam, von der Erschwernis, beim Onlineunterricht Kontakte zu knüpfen: «Es war schwierig, da man einfach jeden Tag in verschiedenen Zoomcalls war, oftmals auch vom Bett aus, und es fast unmöglich war, Leute kennenzulernen.»

Ähnlich betont auch das Rektorat, dass es beim Präsenzunterricht «nicht nur um den Erwerb von Wissen in engerem Sinn» gehe, sondern auch um soziale Kontakte. Diese können einen Einfluss auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit haben. Eine im Mai 2021 von der Dienststelle Uni-Social durchgeführte Onlineumfrage bei den Studierenden ab dem dritten Semester zeige, dass «das Gefühl des Alleinseins, der sozialen Isolation, des Motivationsverlusts und der Lernschwierigkeiten Auswirkungen sind, die von den Studierenden im Rahmen des Fernstudiums im Frühlingssemester 2021 häufig genannt wurden.»

Geografische und zeitliche Inflexibilität

Allerdings können die Studierenden auch viele Nachteile des Präsenzunterrichts nennen, da sie während der Coronapandemie die Vorteile des Onlineunterricht erlebt haben. Als grössten Nachteil bezeichnen sie die geografische und zeitliche Inflexibilität. So ist beispielsweise die «Vereinbarkeit von Berufsleben und Studium, Mutterschaft und Studium, Spitzensport und Studium» nicht so einfach möglich, wie das Rektorat auf Nachfrage per Mail eingesteht. Aber auch bei Kursüberschneidungen bestehe nicht die Option, den einen Kurs live und den anderen  später anzusehen. Und bei krankheitsbedingter Abwesenheit habe man nicht die Möglichkeit, den Stoff nachzuholen. Ferner braucht man Zeit für die Anfahrt an die Universität, die je nach Verkehr und Witterung zusätzlich erschwert werden kann.

Eine Studierende fügt diesen Nachteilen des Präsenzunterrichts im Vergleich mit Onlinevorlesungen den folgenden hinzu: «Der Onlineunterricht gibt den Studierenden mehr Autonomie und erlaubt es ihnen, eigene Lernmethoden auszuprobieren». Allerdings betont sie, dass diese Möglichkeit bisher noch nicht ausgeschöpft wurde, da die Dozierenden sowohl  im Präsenz- als auch  im Onlineunterricht auf dieselbe Weise gelehrt hätten. Und ein Dozent ermahnt: «Ich verstehe, dass man die Vorlesung von einem Professor, der kein grosser Pädagoge ist, lieber zu Hause während dem Kochen oder Bügeln schauen will. Allerdings darf man den Präsenzunterricht nicht aufgrund einzelner schlechter Lehrer zu schnell verurteilen.»

Eine Aurea Mediocritas als ideale Lösung?

Die Studierenden scheinen unentschlossen zu sein, ob sie lieber Präsenz- oder Onlineunterricht haben. Das Rektorat verrät, dass der oben genannten Onlineumfrage zufolge «63% der Studierenden mit den Bedingungen des Fernunterrichts zufrieden waren». Das ist keine schlechte Bilanz, aber geht da nicht noch mehr?

Auf die Frage, ob ein Mittelweg, beispielsweise mit Präsenzunterricht und paralleler Onlineübertragung oder Aufnahme, eine anstrebenswerte Lösung wäre, reagieren die Studierenden positiv. Einer meint dazu: «Das könnte ein guter Kompromiss sein, dann könnte jeder das machen, was ihm am besten passt». Auch ein Dozent findet diesen Vorschlag interessant und hält ihn auch für umsetzbar.

Allerdings glaubt er, dass einige Fragen noch zu klären wären, beispielsweise wie man  eine allfällige Anwesenheitspflicht kontrollieren, die technische Ausstattung der Vorlesungssäle optimieren und den zusätzlichen Vorbereitungsaufwand für Dozierende beim parallelen Übertragen der Präsenzvorlesung  minimieren kann.

Auch eine Studierende warnt vor möglichen Problemen. Zum Beispiel bestehe die Gefahr für Studierende, beim Anhören einer Aufnahme Wortprotokolle statt nützlicher Notizen zu schreiben. Zudem müssen sich  Dozierende ihr zufolge davor hüten, diejenigen Studierenden, die dem Unterricht online folgen, zu vergessen und nicht in den Unterricht miteinzubeziehen.

Eure Stimme soll gehört werden

Eine Studierende zeigt in ihren abschliessenden Worten Unverständnis für die definitive Rückkehr zum Präsenzunterricht: «Wir haben es geschafft, für zwei Jahre alles online zu machen, deshalb sehe ich nicht ein, warum wir wieder zum Alten zurückkehren sollen und nicht einfach beides angeboten werden kann». Die von ihr implizierte Frage scheint berechtigt: Warum soll nicht das Beste von beiden Unterrichtsformen vereint werden?

Um das zu erreichen, müssen die Studierenden sich allerdings an die Fakultäten, Departemente und Dozierenden wenden und ihnen ihre Meinungen mitteilen. Denn das Rektorat weist die Zuständigkeit für die Umsetzung solcher Forderungen von sich. Es betont: Die Umsetzung eines solchen Mittelwegs «liegt übrigens in der Verantwortung der Fakultäten und der Dozierenden, die Universität als Ganzes kann sie jedoch (technisch, didaktisch) dabei unterstützen».

Daher lautet der abschliessende Appell dieses Artikels an alle Studierenden der Universität Fribourg: «Eure Stimme soll gehört werden!» Ob für oder gegen einen Mittelweg, wenn die zuständigen Fakultäten, Departemente und Dozierenden von den Anliegen der Studierenden nichts wissen, können sie auch nicht danach handeln. Die Studierenden müssen deshalb jetzt die Chance ergreifen, ihre Bedürfnisse und Präferenzen zu äussern.

 

Text: Sophie Sele

Illustration: Emanuel Hänseberger