Von Consent, Transvestismus und Sugar Daddys hat der römische Autor Ovid schon vor 2000 Jahren geschrieben. Um Dating-Tipps zu erhalten, lohnt sich ein Blick in seine Ars Amatorianoch heute.

«Selbst die Frau will, welche nicht zu wollen scheint» (haec quoque, quam poteris credere nolle, volet, V. 274). Ein Shitstorm würde heutzutage bei dieser Aussage aus Ovids Ars Amatoria nicht lange auf sich warten lassen. Denn die #MeToo-Bewegung hat eine weltweite Debatte über sexuelle Belästigung angestossen. Deren Auswirkung ist auch in der Schweiz spürbar. So hat die Bundesversammlung das Sexualstrafrecht revidiert, um zeitgemässe Lösungen zu bestimmen.  Die oben genannte Aussage zeugt von Ovids Unkenntnis über diese jüngste Consent-Debatte. Kein Wunder, schliesslich hat der römische Autor vor über 2000 Jahren gelebt. Statt Anglizismen wurden damals noch Gräzismen als Zeichen von Bildung in die lateinische Sprache eingestreut. In der Antike bildete die sexuelle Selbstbestimmung neben den blutigen Kriegen gegen die benachbarten Völker, dem grausamen Niedermetzeln von Kriegsgefangenen in Gladiatorenkämpfen und dem florierenden Sklavenhandel wohl nicht das drängendste gesellschaftliche Problem.

 

Was bedeutet Consent auf Latein?

Trotzdem beleuchtet Ovid bei näherem Hinsehen das rücksichtlose Handeln seiner Zeitgenossen auch kritisch. Dazu erinnert er an den berühmten Mythos von Ariadne. Die Tochter des kretischen Königs Minos half dem athenischen Helden Theseus mit ihrem sprichwörtlich gewordenen Ariadnefaden, sich im von Daidalos gebauten Labyrinth zurechtzufinden und darin den Minotaurus zu töten. Als Dank versprach ihr Theseus, sie mit nach Athen zu nehmen und zu heiraten. Auf der Heimreise machten sie einen Zwischenhalt auf der Insel Naxos, wo Theseus die schlafende Ariadne zurückliess. Der Gott Dionysos kam daraufhin auf die Insel und nahm Ariadne zu seiner Frau. Dass diese Hochzeit ohne ihr Einverständnis stattfand, betont Ovid in seiner Ars Amatoria. Denn «ihr fehlte die Kraft, sich zu wehren» (neque enim pugnare valebat, V. 561). Durch diese Beobachtung des fehlenden Consent scheint Ovid seiner Zeit voraus zu sein. Denn in der Antike mussten die Frauen schlichtweg dem Willen der Männer gehorchen. Nach deren sexuellem Einverständnis zu bitten, kam gar nicht infrage.

 

«Selbst die Frau will, welche nicht zu wollen scheint»

 

Natürlich ist Ovid aber auch nur ein Mann. Er behauptet beispielsweise, Frauen würden immer das Gegenteil von dem sagen, was sie wirklich wollen (quod rogat illa, timet; quod non rogat, optat, V. 485). Aber jetzt mal ehrlich: Haben wir nicht alle schon einmal eine solche Aussage spätabends in einer Bar von der Männerrunde am Nebentisch gehört? Über Gleichstellung der Geschlechter scheint Ovid sich ebenfalls keine Gedanken zu machen. Von seiner Ars Amatoria widmet er nämlich die ersten zwei Bücher Dating-Tipps für Männer und nur das dritte Buch denjenigen für Frauen. Solange wir allerdings den Gender-Pay-Gap nicht aufgehoben haben, dürfen wir wohl auch bezüglich Sexismus nicht mit dem Finger auf Ovid zeigen.

 

Ein Mann in einem Kleid

Tatsächlich beschreibt Ovid in seiner Ars Amatoria viele Phänomene, welche wir für eine moderne Entwicklung halten. So berichtet Ovid: «Der Mann Achill versteckte sich in langem Kleid» (Achilles / veste virum longa dissimulatus erat, V. 689-690). Es handelt sich hier um einen der ersten Fälle von Transvestismus in der Literatur. Allerdings trug Achill dem Mythos zufolge das Kleid nicht aus Vergnügen. Vielmehr diente es als Tarnung. Achill gab sich nämlich als Frau aus, um der Rekrutierung für den Trojanischen Krieg zu entgehen. Für den Ausbruch dieses Kriegs zwischen den Trojanern und den Griechen wurde natürlich eine Frau verantwortlich gemacht. Die Griechin Helena wurde nämlich vom Trojaner Paris geraubt. Victim Blaming gab es somit auch schon in der Antike.

 

«Der Mann Achill versteckte sich heimlich in langem Kleid»

 

Aber zurück zu Achill: Sein Kleid diente nur als Tarnung. Seiner Mutter Thetis zuliebe versteckte er sich damit unter den Mädchen des Lykomedes. Allerdings fiel seine Verkleidung schliesslich auf und er musste in den Krieg ziehen, in welchem er sein Leben liess. Ovid bezeichnet Achills Tarnung als «schändlich» (turpe, V. 689). Dass Transvestismus in der Antike eine Seltenheit war, überrascht nicht. Im Allgemeinen herrschte damals wohl eine konservative Haltung. Diese scheint auch Ovid zu teilen. Er empfiehlt Männern nämlich, nicht zu sehr auf ihr Äusseres zu schauen: «Nachlässig schön zu sein, steht Männern» (forma viros neglecta decet, V. 509). Immerhin anerkennt Ovid die Tatsache, dass manche Männer bereits in der Antike besonderen Wert auf Mode und ihr Aussehen legten.

 

Die kommerzielle Ausschlachtung des Valentinstags

Bereits in der Antike waren Freundinnen eine teure Investition. Ovid warnt Männer in seiner Ars Amatoria davor, diesen Geschenke zum Jahrestag oder Geburtstag zu geben. Seine Warnung könnte eindringlicher nicht sein: «Die Frau beherrscht die Kunst, den Mann um seine Reichtümer zu bringen» (invenit artem / femina, qua cupidi carpat amantis opes, V. 419-420). An einer anderen Stelle versichert Ovid, dass Männer sowohl auf jüngere als auch auf ältere Frauen stehen dürfen. Die Annahme liegt folglich nahe, dass es schon in der Antike Sugar Daddys gab. Ovid hält nicht viel davon, wenn junge Frauen ältere Männer finanziell ausnützen. Die kommerzielle Ausschlachtung des Valentinstags hätte Ovid wohl verteufelt.

 

«Die Frau beherrscht die Kunst, den Mann um seine Reichtümer zu bringen»

 

Als gratis Alternative für teure Geschenke nennt Ovid Liebesbriefe. In den Nachrichten auf Wachstafeln (cera…tabellis, V. 437) sollen die Männer viele Schmeicheleien (blanditias, V. 439) und falsche Versprechen (promittas, V. 443) machen. Ovid rät Männern dazu, durch verlogene Briefe zu ihrem Ziel zu gelangen. Wie das geht, zeigt der Mythos von Acontius und Cydippe. Nachdem Cydippe das Liebesgeständnis von Acontius zurückgewiesen hatte, schrieb er ein Liebesgeständnis aus ihrer Perspektive auf einen Apfel. Er gab ihr diesen und durch das laute Vorlesen täuschte er sie dazu, ihm ihre nicht vorhandene Liebe zu verkünden (littera Cydippen pomo perlata fefellit, V. 457).

 

Bacchus als Amors Wingman

Orte zum Daten gibt es laut Ovid «wie Sand am Meer» (numero cedet harena meo, V. 254). Ins Theater (theatris, V. 89) gehen beispielsweise viele Leute, «um zu sehen und gesehen zu werden» (spectatum veniunt, veniunt spectentur ut ipsae, V. 99). Bei Pferderennen (certamen equorum, V. 135) haben Männer die Gelegenheit, mit Frauen Smalltalk zu führen. Dabei sollen sie jeden Vorwand nutzen, um diese zu berühren. Als Beispiel nennt Ovid das Wischen von imaginärem Staub aus deren Schoss (et si nullus erit pulvis, tamen excute nullum, V. 151).

Am allerbesten eignen sich allerdings Dinnerpartys zum Daten. Denn «Wein macht Herzen bereit und stimmt sie geneigt zu entbrennen» (vina parant animos faciuntque caloribus aptos, V. 237). Ovid warnt aber davor, in der Nacht die Schönheit einer Frau zu beurteilen. Stattdessen rät er: «Geht es um Gesicht und Figur, frage den Tag um Rat» (consule de facie corporibusque diem, V. 252). Wein und Liebe passen gut zusammen. Der römische Weingott Bacchus könnte folglich als Wingman des Liebesgotts Amors bezeichnet werden. Schliesslich trinken sich auch heute noch viele Männer den nötigen Mut an, um mit einer Frau zu flirten.

 

Der gefährliche Job des praeceptor amoris

Dass Ovid seine Dating-Tipps mit einem gewissen Augenzwinkern geschrieben hat, ist uns mittlerweile klar geworden. Tatsächlich bildet seine Ars Amatoria eine Satire des Lehrgedichts. Zu diesem Genre gehören beispielsweise Vergils Georgica über die Landwirtschaft. Ovid behauptet in seinem Werk, dass man das Daten wie das Bebauen von Feldern lernen kann. Er übernimmt dabei die Rolle des Lehrers in der Liebe (ego sum praeceptor Amoris, V. 17). Sein Unterricht ist in drei Schritte gegliedert: Erstens (principio, V. 35) muss ein Mann eine Frau finden, die er begehrt. Zweitens (proximus, V. 37) muss er sie verführen. Drittens (tertius, V. 38) muss er die Beziehung beibehalten. Bei diesem Lernprozess bewährt sich das seit der Antike bestehende Sprichwort «Steter Tropfen höhlt den Stein» (dura tamen molli saxa cavantur aqua, V. 476).

 

Diese Ironie hat Kaiser Augustus scheinbar nicht erkannt. Er verbannte Ovid nämlich nach Tomis am Schwarzen Meer. Als Grund dafür nennt Ovid carmen et error. Ersteres war wohl seine Ars Amatoria, welche Kaiser Augustus zufolge die Sittlichkeit Roms in Gefahr brachte. Zweiteres bezieht sich vermutlich auf dessen Tochter Julia, über deren Ehebruch Ovid scheinbar Bescheid wusste. Im Gegensatz zu Kaiser Augustus sollten wir Ovids ironisches Augenzwinkern verstehen. Wenn man nicht jeden seiner Dating-Tipps für bare Münze nimmt, kann man einiges aus seiner Ars Amatoria lernen.

 

Text: Sophie Sele

Illustration: Emanuel Hänsenberger

 


Ferienflirt gefällig?

Wer Ovids Ars Amatoria in den Sommerferien lesen möchte, findet die deutsche Übersetzung von Niklas Holzberg auf der Webseite der Sammlung Tusculum.

https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783050090610/html?lang=de