„Ökolinguistik“ – In diesem Semester leitet Diplomassistentin Franziska Keller ein Seminar mit der Frage:  Inwiefern spiegelt die Sprache unser Verhältnis zur Natur wider?

Die Linguistik befasst sich vor allem mit der Sprache an sich: Wo werden die Laute produziert, wie funktionieren verschiedene Sprachen, wie verständigen wir uns untereinander? Jetzt schlägt das Departement für Germanistik einen neuen Weg ein. Der Zweig der Ökolinguistik geht im wissenschaftlichen Kontext oft unter. Nun belebt Diplomassistentin Franziska Keller ihn an der Universität Freiburg.

Was ist an unserer Sprache ökologisch?

Die Ökolinguistik untersucht die Beziehung zwischen der Sprache und der Umwelt. Dieser Umweltbegriff ist weitgefasst und mündet so in vier grundlegende Forschungsrichtungen. Neben der biologischen Umwelt unterscheidet man die symbolische Umwelt (andere Zeichensysteme, also andere Sprachen), die soziokulturelle Umwelt (unsere Mitmenschen) und die kognitive Umwelt – letztere meint die kognitiven Voraussetzungen von Organismen zur Sprachproduktion und -rezeption.

Besonders die durch Sprache bedingten Wechselwirkungen auf die Umwelt stehen im Vordergrund der Betrachtungen. Welchen Einfluss hat unsere Wortwahl darauf, wie wir Mensch, Tier und Pflanzen wahrnehmen und behandeln?

 

Anthropozentrik als ein Beispiel von vielen

In der Sprache (nach Ferdinand de Saussure auch Langue genannt, abgrenzend von den Begriffen Langage und Parole) lässt sich eine starke Hierarchie zwischen Menschen und Tieren oder Pflanzen beobachten. Je nach Nutzen für die Menschheit, nach der Distanzierung und der «Notwendigkeit» von Euphemismen variieren unsere Bezeichnungen. Manches Kraut ist Unkraut, weil es uns keinen Nutzen bringt. Nutztiere wiederum unterscheiden sich von den Tieren, aus denen wir keinen Nutzen ziehen, beispielsweise durch ihre Milch oder ihr Fleisch. Ein toter Mensch ist eine Leiche, während ein totes Tier als Kadaver bezeichnet wird. Fleischproduktion ist ein beschönigender Begriff für das Töten von Lebewesen, um ihr Fleisch zu Nahrung zu verarbeiten.

Menschen essen, während Tiere fressen. Julia Griebel schreibt in der Zeitschrift «Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur», dass um 1200 «fressen» nur für Wildtiere benutzt wurde. Alle anderen Lebewesen «essen». Mittlerweile kann sogar in animalisierend-abwertender Weise von fressenden Menschen gesprochen werden. Gleichzeitig ist es aufwertend und humanisierend, wenn wir heutzutage Tieren das Verb «essen» zuschreiben. Selbst der Begriff «Tier» hat sich gewandelt: Was früher für wild Lebendes verwendet wurde (im Gegensatz zu Haus- und Nutztieren), bezeichnet heute eine Abgrenzung vom Menschen. Wir homo sapiens versus die Tiere, trotz dessen, dass wir selbst Säugetiere sind.

Nachhaltigkeit zeigt sich auf der Zunge

Bei der diesjährigen Nachhaltigkeitswoche präsentierte Franziska Keller bereits vor einem kleinen Publikum ihre aktuelle Lehrveranstaltung. Keller ist überzeugt: Die Hälfte der 17 Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung lassen sich mit der « Kraft » der Ökolinguistik erreichen.

Wenn wir unsere Sprache für verschiedene Menschengruppen sensibilisieren und bedenken, welche Wirkung die Begriffe erzielen, erreichen wir mehr Geschlechtergleichheit und weniger Ungleichheiten unter verschiedenen Menschengruppen. Ersetzt man «Fleischproduktion» durch «Massentötung von Tieren» und «Bäume fällen» durch «Bäume töten», könnte sich die Einschätzung des Themas verändern. Wenn dann auch noch konsequente Taten folgen, erreichen wir auf lange Frist mehr Nachhaltigkeit in allen Bereichen, so Keller.

Schon kleine Reflexionen über Worte und Gedanken können die nötigen Impulse setzen: Überquert das Reh die Strasse oder durchkreuzt die Strasse den Lebensraum des Rehs?

 

Text und Illustration Helene-Shirley Ermel


Vielen Dank an Franziska Keller für die Beispiele und zur Verfügung gestellten Kursunterlagen.