Andrew Tate sorgt mit kontroversen Aussagen regelmässig für öffentliches Aufsehen. Dabei lässt er bewusst die Grenzen zwischen Motivation und Provokation verschwimmen.

Hassreden, rassistische Äusserungen und die Diskriminierung von Frauen sind im Zeitalter von Social Media allgegenwärtige Themen. Auf Plattformen wie Instagram, Facebook oder X (vormals Twitter) finden sich unter den Posts zahlreiche Hasskommentare. Nicht nur Privatpersonen, sondern auch Influencer:innen verbreiten Hetze im Internet. Diese gewinnen seit einiger Zeit immer mehr an Aufmerksamkeit. So steigt auch die Anzahl der Follower von Andrew Tate rasant an. Der umstrittene TikToker äussert sich regelmässig frauenverachtend, homophob und rassistisch. Zu seinen Ansichten gehören, dass Depressionen «nicht real» und Opfer sexueller Belästigungen für die Übergriffe mitverantwortlich seien. Viele stufen seine Äusserungen, seine Beiträge und so auch seine Person als äusserst besorgniserregend ein.  Die folgenden Gründe haben dazu geführt.

 

Beginnen wir von vorne

Andrew Tate packte bereits in jungen Jahren den Ehrgeiz und die Siegesgewissheit. Er begann im Jahr 2005 mit dem Kickbox-Training und errang während seiner aktiven Karriere als Profisportler viermal den Weltmeistertitel. Ausserhalb dieser Szene konnte er sich vorerst keine Reputation aufbauen. 2016 erlangte Andrew Tate als Kandidat der britischen Reality-Show Big Brother erstmals grössere mediale Aufmerksamkeit. Er flog jedoch bereits nach kurzer Zeit aufgrund mehrerer obszöner Videos aus dem «Haus». In einem der Videos malträtierte Tate seine damalige Freundin wiederholt mit einem Gürtel. Offenbar schlug Tate die Frau, da sie sich «nicht seinen Vorstellungen entsprechend» benommen hatte. In einem anderen Clip forderte er eine der Frauen auf, die blauen Flecken zu zählen, die er ihr zugefügt habe. Tate erklärte später, beide Aktionen hätten einvernehmlich stattgefunden. Er und seine damalige Freundin «hätten ein Rollenspiel inszeniert». Er bezeugte, noch nie eine Frau geschlagen zu haben. Im September 2018 fiel Tate erneut negativ auf. Im Netz liess er sich zu rassistischen und homophoben Äusserungen hinreissen. Einen Monat später mischte er die «MeToo»-Bewegung auf, indem er Frauen die Mitschuld an Vergewaltigungen gab. Dies führte noch im selben Jahr zu seiner Verbannung von Instagram, Facebook und Twitter (heute X).

 

Vernichtende Kommentare zu Depressionen und anderen Krankheiten

Ende 2017 geriet Tate erneut in die Schlagzeilen. Er behauptete, dass es sich bei Depressionen nicht um eine klinische Krankheit, sondern vielmehr um einen «Umstand» handle, den «Depressive ändern müssen». Er ergänzte, dass es natürlich sei, sich manchmal depressiv zu fühlen, und verglich Depressionen mit einem Hungergefühl.

«When you’re hungry, you need to eat. When you’re depressed, something must change.»

Zu einem späteren Zeitpunkt bestritt Tate seine Aussage, Depressionen seien nicht real. Er vertrat aber die Meinung, depressive Personen seien dazu in der Lage, selbst etwas gegen ihre Depressionen zu unternehmen. Die Bestärkung der Idee, nichts gegen Depressionen tun zu können, würde die «Hilflosigkeit der Menschen» fördern. Gemäss Tate würden depressive Menschen dadurch weiter in die Abwärtsspirale getrieben.

Andrew Tate verhöhnte noch im selben Jahr den Comic-Illustrator Jon Rosenberg. Dieser hatte zu Spenden für die Operation seines zerebral gelähmten Sohnes aufgerufen. Als Antwort darauf twitterte Tate: «Fühlen Sie sich wie ein Versager, weil der Geldbetrag, den Sie benötigen, um Ihrem eigenen Sohn zu helfen, weniger als ein Viertel dessen beträgt, was ich für eines meiner fünf Autos ausgegeben habe?». Weiter kommentierte Tate, Rosenbergs Comic-Bücher hätten versagt. Tate selbst jedoch sei ein Gewinner. Er fügte hinzu, dass der Vater nett nach Geld fragen solle, um damit seinen Sohn zu retten.

 

Der selbsternannte Frauenfeind

Andrew Tate ist längstens für seine frauenfeindlichen Kommentare und Posts bekannt. So erklärt er, dass «Frauen ins Haus gehören», dass sie «nicht Auto fahren können» und dass sie «Eigentum des Mannes» seien. Er ist zudem der Überzeugung, Frauen könnten «ohne Anleitung eines Mannes nicht erfolgreich» sein. Ausserdem spricht er darüber, dass Männer es bevorzugten, mit 18- und 19-jährigen Frauen auszugehen. Dies aus dem Grund, weil junge Frauen «wahrscheinlich mit weniger Männern Geschlechtsverkehr gehabt haben». Diese Äusserungen deuten auf eine tief verankerte Frauenfeindlichkeit bei Tate hin.

«You can’t slander me because I will state right now that I am absolutely sexist and I’m absolutely a misogynist and I have «f*** you money» and you can’t take that away.»

In einem Video des YouTube-Channels BFFs: Dave Portnoy, Josh Richards & Bri Chickenfry vom Juli 2022 beschreibt Tate, weshalb er Autorität auf Frauen ausübe. Er glaube daran, für gemeinsame Restaurantbesuche zu bezahlen, der Frau stets den Vortritt zu gewähren und sie vor anderen Männern sowie in brenzligen Situationen beschützen zu müssen. Er erklärt, dass Verantwortung mit einer gewissen Autorität einhergehe. Diese These stützt Tate mit dem Vergleich des Verantwortungs- und Autoritätsverhältnisses zwischen Eltern und deren Kindern.  Seine Ideologie begründet er weiter damit, dass ein Mann für eine Frau, die ihm nicht zuhöre und ihn nicht glücklich mache, auch keine Verantwortung übernehmen könne. Und es kommt noch schlimmer: In einer weiteren Aussage vergleicht Tate die Autorität von Männern gegenüber Frauen mit derjenigen von Hundehalter:innen gegenüber ihren Hunden.

«You can’t be responsible for a dog if it doesn’t obey you, or a child who doesn’t obey you, or a woman who doesn’t obey you.»

 

Tate geht in einem nächsten Satz noch weiter. Er vergleicht die Beziehung zwischen Männern und Frauen mit der Beziehung zwischen Hausbesitzer:innen und ihren Häusern. Daraus lässt sich nur eines schliessen: Andrew Tate objektifiziert Frauen.

 

Tates Philosophie in Klassenzimmern

Verschiedene Institutionen, so auch die britische Wohltätigkeitsorganisation NSPCC (National Society for the Prevention of Cruelty to Children), stufen Andrew Tate als gefährlich und seine Äusserungen als bedenklich ein. Dies vor allem aus dem Grund, da Tate einen grossen Einfluss auf junge Männer ausübt. Studien haben herausgefunden, dass acht von zehn jungen Männern regelmässig Inhalte von Andrew Tate konsumieren. Seine Einstellungen sind vor allem bei Jugendlichen beliebt. Viele junge Männer in Grossbritannien im Alter zwischen 16 und 17 Jahren teilen die Ansichten von Andrew Tate. Sie begrüssen seine «guten Ratschläge», wie sich ein «echter» Mann zu verhalten habe. Diese Jugendlichen sehen darin eine Bestärkung ihres eigenen männerverherrlichenden Rollenbildes. Gemäss der NSPCC würden sich solche Inhalte insbesondere bei Jugendlichen negativ auf deren Entwicklung auswirken. Dies könnte mehr Gewalt gegenüber dem weiblichen Geschlecht oder generell gegenüber Minderheiten zur Folge haben.

Aufgrund des besorgniserregenden Verhaltens ihres Sohnes rief eine Mutter die Hotline von NSPCC an. Im Telefonat erwähnte sie, das Verhalten ihres Sohnes habe sich infolge der Konsumation diverser Videos von Andrew Tate massiv verändert. Sie bemerkte eine stärkere Ablehnung gegenüber Frauen. Ihr Sohn habe die Überlegenheit von Männern betont und Frauen auf übelste Weise beschimpft.

Ein 13-jähriges britisches Schulmädchen bestätigte, ein derartiges Verhalten auch bei sämtlichen Jungen ihrer Klasse festgestellt zu haben. Ihre Mitschüler hätten in einer bewundernden Art und Weise von Andrew Tate gesprochen. Die Jungen seien von seinen Äusserungen beeindruckt, was zu einem negativen Verhalten gegenüber den Mädchen führe. So kam es zu Belästigungen und zur Verspottung von Mädchen. Insbesondere hätten die Jungen befunden, dass die Mädchen nur in sogenannten «Frauenberufen» erfolgreich sein könnten.

 

Sensibilisierung auf Hassrede

An Schulen wird deswegen seit einiger Zeit über mögliche Massnahmen diskutiert, die der Beeinflussung durch Andrew Tate Einhalt gebieten sollen. Viele Schulen haben beschlossen, das Problem direkt bei den Schüler:innen anzugehen. Im Schulunterricht soll mit ihnen über die Auswirkungen von «toxischer Männlichkeit» und «Frauenfeindlichkeit» gesprochen werden. Lehrpersonen nehmen an Schulungen von Organisationen wie Men at Work teil. Ihr Gründer, der Brite Michael Conroy, gibt Ratschläge, wie Lehrer:innen konstruktive Dialoge mit Jungen und jungen Männern aufbauen können. Schulen können das Problem allerdings nicht allein bewältigen. Auch die Eltern und die Schüler:innen selbst spielen eine entscheidende Rolle. Daher verschicken die Schulen Briefe an Eltern mit Hinweisen und Ratschlägen und organisieren Workshops sowie Sensibilisierungsveranstaltungen für Schüler:innen und Eltern.

Keiner der Workshops konzentriert sich ausschliesslich auf Tates Persönlichkeit. Sie befassen sich mit Themen wie Geschlechterungleichheit oder geschlechtsspezifischer Gewalt. Andrew Tate scheint hierbei Teil eines grösseren Problems und nur die Spitze des Eisbergs zu sein.

 

Text Emanuelle Cohen

Foto @Cobratate (X)


Andrew Tate

ist ein britisch-amerikanischer Influencer und ehemaliger professioneller Kickboxer. Er erlangte 2016 erstmals grössere Aufmerksamkeit, als er in der britischen Reality-Show Big Brother auftrat. Wenig später wurde er zu einer Internetberühmtheit, die einen «ultramaskulinen» sowie «ultraluxuriösen» Lebensstil propagierte. 2017 haben Tates frauenfeindliche, rassistische und homophobe Kommentare dazu geführt, dass er auf diversen Social-Media-Plattformen gesperrt wurde.