Viele Städte sorgen aktiv dafür, dass gewisse Menschengruppen aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden. Wie sieht es in Freiburg aus?

Wer träumt denn nicht von einer sauberen Stadt, die befreit ist von Obdachlosen und Verunreinigungen? Die Stadtplanung vieler Ortschaften konzentriert sich stark auf ein makelloses Image, greift dazu jedoch oft auf Massnahmen zurück, welche die Probleme nur überschminken.

Defensive Architektur

Unter defensiver Architektur, auch bekannt unter hostile architecture, verstehen wir die Gestaltung des öffentlichen Raumes, die verhindern soll, dass beispielsweise Obdachlose sich niederlassen oder Suchterkrankte sich Drogen injizieren. In anderen Fällen dient sie dazu, gegen Aktivitäten wie Skateboardfahren oder das Sprühen von Graffiti vorzugehen. Was grundsätzlich wie eine gute Idee klingt, ist allerdings problematisch: Anstatt Obdachlosen aktiv zu helfen und Suchterkrankten Unterstützung zu bieten, werden diese lediglich aus dem Blickfeld verdrängt. Ganz unter dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.

 

 

Freiburg unter die Lupe nehmen

Wie muss man sich defensive Architektur genau vorstellen? Verschiedenste Medien haben sich diese Frage schon gestellt. Sie zählen beispielsweise öffentliche Parkbänke dazu, an denen zwischen den Sitzen Armlehnen angebracht sind. Dies soll verhindern, dass Menschen auf ihnen schlafen. Alternativ werden die Bänke auch komplett entfernt oder sie weisen keine Rückenlehne mehr auf. In vielen Städten gibt es unergonomische Sitzflächen, die auf den ersten Blick an Kunstwerke erinnern. Dennoch beugen sie einem langen Verweilen an diesen Orten vor. Einige öffentliche Plätze bedienen sich Lautsprechern mit Musik oder Sprinklern, die ungebetene Menschen wie beispielsweise Jugendliche verscheuchen sollen. Kurzum: Städte werden immer ungemütlicher. Unzählige solcher Beispiele dokumentiert der Instagram-Kanal @hostile_germany seit nunmehr zwei Jahren.

Auch hier in Freiburg finden sich Hinweise auf eine solche defensive Architektur, die kaum auffallen. Beispielsweise hat ein Laden in der Avenue de Beauregard vor seinen Schaufenstern jeweils eine Reihe metallener Zacken angebracht. Diese verhindern, dass Personen auf den Fenstersimsen sitzen können. Ein anderes Exempel sind die Toiletten im Fribourg Centre. Sie sind in blauem Licht erleuchtet, damit ein intravenöser Drogenkonsum in ihnen nicht möglich ist. Weitere negative Merkmale der Stadt sind die Mülleimer mit teils schrägen oder abgerundeten oberen Flächen, auf denen keine Gegenstände abgestellt werden können und die sich ebenso nicht als Tische nutzen lassen.

Gleichzeitig lässt sich feststellen, dass Freiburg auch einige positive Aspekte aufweist: Es gibt viele Parkbänke mit stabilen Rückenlehnen. Hervorragend schneiden die Bänke in der Rue des Ecoles ab: Sie sind sehr breit, haben keine grossen Lücken und bieten sogar eine höhergelegene gerade Fläche. Auf ihnen wäre es möglich, etwas abzustellen, zu sitzen oder sogar zu schlafen.

 

 

Befürwortung oder Ablehnung?

Eine Umfrage auf der Internetseite gutefrage.net, bei der 40 Nutzer:innen abstimmten, zeigt, dass 80% der Befragten defensive Architektur für nicht gerechtfertigt halten. Das häufigste Argument für eine solche defensive Stadtgestaltung ist, dass der öffentliche Raum der ganzen Bevölkerung gehöre. Parkbänke seien für alle da und dienten in erster Linie nicht als Schlafplätze für Menschen ohne Obdach. Es solle mehr dafür unternommen werden, dass letztere in Wohnungen untergebracht werden. Auch die Gegner:innen defensiver Architektur unterstützen Letzteres. Es sei unmenschlich, dass durch solche Entscheidungen Menschen aus dem Blickfeld verdrängt werden. Dadurch würden nur die Symptome bekämpft und nicht die Ursachen. Der Wohnraum sei zu teuer und es gebe kaum gesicherte Unterkünfte, was besonders im Winter ein grosses Problem darstelle. Dieser Umstand begünstige eine höhere Zahl von Obdachlosen nebst persönlichen oder weiteren strukturellen Gründen. Ausserdem biete die Politik nicht genügend Hilfsangebote – wie öffentliche Duschen oder genug kostenlose Toiletten – für die Menschen, denen es sowieso schon schlecht gehe. Eine solche Architektur füge ihnen nur noch mehr Leid zu.

Nicht umsonst landete der Begriff «defensive Architektur» bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2022 auf dem dritten Platz. Wie der SWR berichtete, kritisierte die Jury vor allem die «euphemistische Bezeichnung einer menschenverachtenden Bauweise, die gezielt marginalisierte Gruppen aus dem öffentlichen Raum verbannen möchte».

Nebeneffekte auf die Gesellschaft

In erster Linie sorgt ein feindlicher Baustil für ein verschönertes Stadtbild: das Zentrum bietet vorwiegend Verköstigung, Arbeit, Läden und Einkaufspassagen sowie Wohnraum für die einkommensstärksten Schichten. Diesem Traum einer perfekt anmutenden Stadt soll nichts entgegenstehen. Alle Menschen, die nicht dem Idealtypus der wohlhabenden Bevölkerung entsprechen, haben keinen Platz in der Öffentlichkeit.

Von den Auswirkungen feindlicher Architektur sind in den behandelten Fällen nicht nur Obdachlose betroffen, sondern alle. Ältere Menschen oder diejenigen mit schwachen Knien finden weniger Sitzgelegenheiten. Bei plötzlich auftretenden Kreislaufbeschwerden können sich viele Menschen nicht auf Parkbänke legen und akklimatisieren, wenn diese mit Armlehnen abgetrennt sind. Jugendliche, die in der Stadt nach Freizeitaktivitäten wie Skaten streben, können ihren Interessen nicht nachgehen. Auch werden ihnen Orte an der frischen Luft dadurch zunichtegemacht, da sie nur noch auf ein kurzzeitiges Verweilen ausgerichtet sind.

Die strukturelle Verdrängung aus dem öffentlichen Raum wirkt sich negativ auf das Sozialleben der Einwohner:innen aus. Wo früher einmal die Stadt als zentraler Treff- und Angelpunkt diente, verlagert sich der Lebensmittelpunkt immer mehr in das Private. Fast so, als unterstütze die Stadtplanung eine tiefgreifende Vereinsamung.

 

 

Wenn diese oft als Kleinigkeiten wahrgenommenen Umstände und Massnahmen verbessert würden, wäre unterm Strich noch mehr Menschengruppen als nur Obdachlosen geholfen. Es lässt sich oft beobachten, dass selbst kleine Änderungen, die primär für eine Bevölkerungsgruppe vorgenommen werden, auch für andere positive Folgen mit sich ziehen. Dieser Effekt zeigte sich zum Beispiel beim Thema Barrierefreiheit. Abgeflachte Strassenübergänge für Rollstuhlfahrende sind nicht nur für diese spezifische Gruppe von Nutzen, sondern helfen schlussendlich auch Menschen, die mit Kinderwagen unterwegs sind, und Menschen mit Rollatoren. Übergänge ohne solche Abschrägungen stellen für diese oft ein Hindernis dar. Genau ein solcher Effekt würde auch dann eintreten, wenn der öffentliche Raum für alle gestaltet wäre und Barrieren strukturell entfernt würden.

So, wie es aber momentan üblich ist, schadet defensive Architektur dem Reiz der Stadt sowie ihren Einwohner:innen, selbst wenn letztere es nicht wahrnehmen.

 

Text und Fotos Helene-Shirley Ermel