Sprachliche Begabung oder soziale Ausschliessung – welche Konsequenzen hat mehrsprachige Erziehung?

 

Die Welt wird immer multikultureller. Das beinhaltet auch, dass viele Menschen mehrsprachig aufwachsen. Für einige ist dies ein Traum. Schon seit der Kindheit beherrscht man mehrere Sprachen. Andere sehen es eher als Fluch. Mehrere Sprachen kennen, sich aber mit keiner vollkommen identifizieren können. Ist es fördernd, multilingual aufzuwachsen, oder beeinträchtig es mehr, als man denkt?

 

Multilinguale Erziehung

Viele Kinder wachsen heute multilingual auf. Ob dies ein Vorteil oder Nachteil ist, darüber wird gestritten.

Einerseits soll die frühe Auseinandersetzung mit verschiedenen Sprachen das Erlernen neuer Sprachen vereinfachen. So sollen Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, schneller neue Grammatik lernen und einen Wortschatz in neuen Sprachen aufbauen können. Dies, da bi- oder multilinguale Kinder Informationen von einer Sprache in andere übertragen können. Weiter kann im Berufsleben die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu beherrschen, klare Vorteile mit sich bringen. Vor allem, wenn diese Sprachen von Kindheit an gebraucht werden. Weiter gehen Befürworter von mehrsprachiger Erziehung davon aus, dass diese Kinder ein besseres Gespür für kulturelle Differenzen haben.

Andererseits sehen viele auch Nachteile in mehrsprachiger Erziehung. So kann ein Nachteil sein, dass Kinder mit multilingualer Erziehung keine Sprache perfekt beherrschen. Von den verschiedenen Sprachen, mit denen sie konfrontiert sind, meistern sie keine so gut wie ein nicht-mehrsprachiges Kind seine Muttersprache. Ausserdem kann Mehrsprachigkeit bei Kindern zu Sprachfehlern führen. Das Lernen richtiger Grammatik und Aussprache später in der Schule wird erschwert und ist aufwendiger. Letztlich kann Mehrsprachigkeit bei Kindern dazu führen, dass sie ausgegrenzt werden, da sie anders oder fremd auf ihre Gleichaltrigen wirken.

 

 

Früh einführen und profitieren

Wie es ist, als Kind mehrsprachig aufzuwachsen, und wie dies das Erwachsenenleben beeinflusst, erzählt Simona Savic im Gespräch mit Spectrum. Die 24-jährige Studentin ist serbisch sprechend aufgewachsen und wurde im Kindergarten erstmals mit Deutsch konfrontiert. «Als Kind war das Serbische viel präsenter für mich und das hat sich erst geändert, als ich in den Kindergarten und später in die Schule gekommen bin», so Simona über die Mehrsprachigkeit in ihrer Kindheit. In der Schule wurde sie in einen Deutschkurs für mehrsprachige Kinder geschickt. Diesen hat sie allerdings nach zwei Wochen wieder verlassen, da ihre Eltern informiert wurden, dass sie kein weiteres Förderprogramm brauche. Damals stellte Simona zum ersten Mal fest, dass ihr das Erlernen von Sprachen einfacher fiel als anderen. «Ich habe mich früh daran gewöhnt, was es heisst, in mehreren Sprachen zu denken und zu sprechen, und das war eine grosse Hilfe», schätzt Simona ihren Vorteil selbst ein. Simonas Erzählung scheint die vermeintlichen Vorteile von mehrsprachiger Erziehung klar zu befürworten. Jedoch erwähnt Simona auch, dass ihre Erfahrungen nicht unbedingt auf alle mehrsprachig aufwachsenden Kinder zutreffen: «Das stimmt vielleicht bei mir, aber es gibt auch Kinder, die von der Mehrsprachigkeit nicht profitieren können.»

 

«Ich habe mich früh daran gewöhnt, was es heisst, in mehreren Sprachen zu denken und zu sprechen, und das war eine grosse Hilfe.»

 

Die Frage nach der Muttersprache

«Für mich ist es sehr schwierig zu sagen, mit welcher Sprache ich mich stärker identifiziere», so Simona darüber, ob sie Serbisch oder Deutsch als ihre Muttersprache sehe. Ihr eigenes Verständnis dazu habe sich verändert. Als Kind sei Serbisch die Sprache gewesen, mit der sie sich mehr verbunden gefühlt habe. Jetzt denke und spreche sie hauptsächlich Deutsch und würde eher diese als Muttersprache bezeichnen. Trotzdem: «Serbisch ist und bleibt für mich meine Familiensprache». Diese Differenzierung sei für sie klar. Bei der Frage nach der Muttersprache zeigt sich, dass eine konsequente Umsetzung multilingualer Erziehung wichtig ist. Lehrer:innen beobachten, dass Kinder, die mit zu vielen verschiedenen Sprachen aufwachsen, am Ende keine Sprache können und so in der Schule auf Schwierigkeiten stossen.

Ob ein Kind von mehrsprachiger Erziehung profitiert oder nicht, ist sehr individuell. Nicht alle Eltern und Kinder werden damit zu Schlag kommen, doch die möglichen negativen Auswirkungen können bei bewusster Vorgehensweise umgangen werden. Letztlich sind es die Eltern, die entscheiden müssen, ob sie ihr Kind mehrsprachig erziehen möchten oder nicht.

 

Text Franziska Schwarz

Illustration Emanuel Hänsenberger