Toxische Männlichkeit, Bodyshaming, aber auch berührende Momente: Mirella Precek kennt alle Facetten des Reality-TV. Ihre Show Trash Paradise hat sie in die Schweiz geführt.

Youtuberin, Komikerin, Influencerin, Podcasterin, Unternehmerin, Feministin und Gesellschaftskritikerin. Mirella Precek vereint und kombiniert all diese Bezeichnungen – und das gekonnt. Über eine halbe Million Menschen schauen ihre Videos, die in regelmässigen Abständen auf YouTube hochgeladen werden. Mehrheitlich kommentiert die Nürnbergerin deutschen Reality-TV und über die Jahre hat sich eine Fangemeinschaft mit Insider-Witzen gebildet. Dazu gehören zum Beispiel die Mirella Memes. Diese zeigen Ausschnitte von besonders witzigen oder verstörenden Aussagen von Reality-TV-Kandidat:innen, die immer wieder in ihren Videos eingespielt werden. Neben Reality-TV gibt sie Einblicke in ihr Leben mit Videos wie «Heute ist nicht mein Tag und das ist ok.» oder auch «Töpfern – Learning by Doing VLOG». Seit 2023 hat Mirella nun eine eigene Tour namens Trash Paradise. Zum ersten Mal kommen ihre Fans in Echtzeit in den Genuss ihrer Witze und ihrer Kritik an toxischer Männlichkeit. Sie verlässt ihr buntes Studio und performt auf der Bühne – mit Gesang, Tanz und Humor.

Fragwürdige Dates

Das Volkshaus, ein Veranstaltungsort für Kultur und Musik, ist nur wenige Minuten vom Bahnhof Zürich entfernt. Es regnet, doch das mindert nicht die Vorfreude auf das ersehnte Treffen mit Mirella. Es ist ein seltsames Gefühl, in Kürze eine Person zu sehen, die man bisher nur vom Bildschirm kannte. Wird die Show so unterhaltsam sein wie ihre Videos? Oder eine grosse Enttäuschung? Es ist kurz vor 20 Uhr und der Saal füllt sich langsam. Auffallend ist, dass überwiegend junge Frauen anwesend sind. Das mag daran liegen, dass Mirella nicht um den heissen Brei herumredet, wenn Frauen durchs Patriarchat Unterdrückung erleiden. Das passiert in Reality-TV leider zur Genüge. Wenige Minuten nach 20 Uhr verdunkelt sich der Saal und Mirella erscheint – oder? Falsch gedacht! Ein Video wird auf der Leinwand des Volkshauses abgespielt und die Menge jubelt. Mirella stellt sich darin vor und schwärmt über Reality-TV. Die Frage stellt sich: Taucht die Youtuberin überhaupt noch auf oder schaut sich das Publikum nun zwei Stunden lang ein weiteres Video von ihr an?

Nach Ende der kurzen Selbstvorstellung via Video strömt Nebel auf die Bühne. In der Mitte neben einer rot-orangen, wellenförmigen Fassade steht ein Sarg, der Mirellas Fans nur allzu gut bekannt ist. Er ist eine Nachahmung aus einer Bachelor-Folge aus dem Jahr 2022. In dieser Folge legte sich Bachelor Dominik Stuckmann in einen Sarg, sein Gesicht bemalt mit einem Totenkopf in Anlehnung an den Día de los Muertos, und die Frauen traten nacheinander vor ihn. Dann formulierten sie – mehr oder weniger – rührende Worte, die sie dem Bachelor nach seinem Tod mitteilen würden. Eine sehr bizarre Date-Idee. So lauteten die Worte der Kandidatin Jana-Maria folgendermassen: «Ich bin froh, dass du der Bachelor bist, und ich bin froh, dass ich dich kennenlernen hab’ dürfen.» Der Bachelor daraufhin: «Ich bin auch sehr froh, dass du hier bist». Wie man sieht, die Gespräche gehen in die Tiefe. Auf jeden Fall taucht Mirella in eben jenem Sarg auf der Bühne auf, begrüsst ihre Fans und ein tosendes Klatschen und Pfeifen ertönt. Sie freue sich, zum Abschluss ihrer Show in Zürich zu sein. Danach werde sie sich Zeit nehmen für sich selbst und ihre Familie, denn ein grosser Babybauch zeichnet sich unter ihrem schwarzen Hemd ab. Schon bald erwartet Mirella ihr zweites Kind. Dazu hat sie sich auf Instagram über die Gender Reveal Partys lustig gemacht. Während viele Paare mit den Farben Rosa und Blau preisgeben, ob ihr Kind ein Mädchen oder ein Junge ist, hinterfragt Mirella in mehreren Fotos das binäre Geschlechtersystem: «Mein Kleid ist rosa, die Küche ist grün. Da ist es wohl ganz klar – it’s a boy!» Dann fügt sie hinzu: «Ich korrigiere: it’s a penis! #genderreveal aka Genitalia Reveal!» Auf dem Foto sitzt Mirella mit jenem rosa Kleid auf der Küchenoberfläche und lässt lachend eine Konfettikanone ab.

Aufdringliche Bachelors und misogyne GNTM-Juror:innen

Den Einstieg in die Live-Show schafft die Komikerin mit verschiedenen Rückblicken zu bekannten Videos wie jene des Bachelors Dominik. Sie geht auch auf den Bachelor der zehnten Staffel ein: Sebastian Preuss. Der Mann, der Mirella mit seinem Verhalten so wütend machte, dass sie sich dazu entschloss, vermehrt die Sendung Der Bachelor zu kommentieren. Auf der Leinwand des Volkshauses Zürich wird ein Gespräch eingeblendet zwischen Sebastian Preuss und einer Kandidatin im Pool. Mehrfach bittet der Bachelor die Kandidatin um einen Kuss und scheint ihre Abfuhr einfach nicht zu verstehen. Oder nicht verstehen zu wollen? Sebastian ist ein Musterbeispiel für ein fragiles männliches Ego. Aber auch das herablassende Verhalten von GNTM-Juror Thomas Hayo nimmt Mirella während ihrer Show unter die Lupe. Hier besonders spannend für ihre treuen Fans, denn über GNTM hat die Youtuberin erst wenige Videos gedreht. Thomas Hayo reagiert entsetzt, als er sieht, wie eine Kandidatin Pommes mit Ketchup und Mayo isst. Vor Heidi spricht er die Undiszipliniertheit der Kandidatin an, betreibt body shaming und erwähnt nochmals, dass sie Ketchup und Mayo gegessen habe. Kurzerhand tauft Mirella den Juroren Thomas Mayo, da er ein grosses Problem mit der Sauce zu haben scheine. Sie setzt sich in den Sessel, welcher auf der Bühne steht, schaut in die Menge und sagt: «Wiederholt laut mit mir: Wir kommentieren keine fremden Körper!» Die Menge applaudiert und die Nachricht hallt nach. Mirella lässt auch Heidi Klum nicht ungerührt davon. Sie spielt eine Szene ab von einem Foto-Shooting, bei dem Heidi der Kandidatin immer wieder «Bauch! Bauch! Bauch!» hinterherruft, in der Hoffnung, dass diese ihren Bauch einzieht. Nicht nur ist die Situation für die junge Frau im öffentlichen Fernsehen enorm unangenehm, auch können sich viele Frauen mit der Situation identifizieren. Etwa dann, wenn beim Familientreffen die Tante oder der Onkel wieder einmal Kommentare zur vermeintlichen Gewichtszu- oder -abnahme platziert. Mirella zeigt auf ihren Bauch und meint empört: «Da drin befinden sich Organe wie die Gebärmutter oder die Schleimhaut oder ein Kind oder Blähungen oder ein fetter Schiss oder alles zusammen.»

 

 

Trash TV? Lieben wir!

Im weiteren Verlauf der Show führt Mirella ihren erst kürzlich veröffentlichten Song Trash TV? Lieben wir auf. Dieser parodiert einen Song von Shirin David und handelt von vier bekannten Reality-TV-Kandidat:innen. Auf einem gigantischen, aufblasbaren Einhorn wird Mirella auf die Bühne geschoben. Eine weitere Anlehnung an ein Video von Shirin David, welches zeigt, wie ein Dutzend Menschen um sie herumschwänzeln und sie nervös nochmals nachschminken, bevor der Auftritt losgeht. «Seine Zähne sind weiß und sein Rücken ist breit. Er sucht immer Streit – lieben wir » So lautet der erste Satz des Refrains von Mirellas Parodie. Zusätzlich gibt sie ihre Tanzeinlagen zum Besten. Das Besondere an dem Text: Jede:r im Raum weiss, von welchen Schandtaten und legendären Aktionen gesprochen wird.

So beklagte sich der Temptation-Island-Kandidat Umut Tekin wegen des Hasses im Netz. Dieser ist jedoch verständlich, wenn man bedenkt, dass er seine Freundin in der Show betrogen hat. Auch auf Kim Virginias berühmtes Gürteloutfit kommt Mirella in ihrem Song zu sprechen. Die Kandidatin, welche zuletzt im Dschungel Camp auftrat, zeigte sich oben ohne BH und nur mit einem Gürtel, der ihre Nippel verdeckte. In diesem Outfit und mit einer Brille, auf der die Worte «Boss Bitch» stand, versuchte sie ein ernsthaftes Gespräch mit dem Mitkandidaten Mike zu führen. Dazu kann man nur sagen: Ein wahrer Boss-Bitch-Move!

 

Ein Format für die Schweiz

Im zweiten Teil der Live-Show wird es interaktiver. Mirella wendet sich direkt an das Publikum und stellt eine Reality-TV-Show für die Schweiz zusammen. Verschiedene Punkte machen eine gute Show aus: Fragwürdige Kandidat:innen, spannende Herausforderungen mit einem entsprechenden Preis, ein guter Schauplatz und natürlich sollten die Komponenten auf eine spezifische Zielgruppe ausgerichtet sein. Das Resultat der Diskussion lautet folgendermassen: Eine Sendung mit zwölf maskulinen Männern, die eine Therapie gewinnen können. Diese bekommen sie, indem sie dekorieren, fleissig aufräumen und still sind. Logischerweise lautet der Titel der Sendung «Halt endlich dein Maul!». Das Spektakel würde in der Schweiz spielen, bei der Zielgruppe handelt es sich um maskuline Frauen und moderiert wird das Ganze natürlich von der grossartigen Mirella Precek. Ob diese Sendung erfolgreich sein würde, steht in den Sternen. Das Anliegen für ein solches Format resultiert wohl aus frustrierenden Szenen, welche im Reality-TV genügend zu sehen sind. Vor allem dann, wenn Männer den Frauen den Satz abschneiden oder ihnen die Möglichkeit nehmen, überhaupt zu Wort zu kommen. Mirella kommentiert Reality-TV aus einer feministischen Perspektive, und das kommt nicht bei allen gut an. Aber dazu meint sie während der Show: «Manche werfen mir vor, dass ich zu sehr die Seite der Frauen ergreife und zu sehr gegen die Männer hetze. Aber irgendwer muss das doch tun?»

Zum Schluss tanzt und singt die Komikerin ihren bekannten Song Ein Strauss Chlamydien. Das Publikum steht auf und klatscht. Mirella hat es geschafft: Sie hat die digitale Wand durchbrochen und begeistert ihre Fans auch live.

 

Text Amélie Oberson

Foto © MIRELLA PRECEK 2023