Denkfaul, notenfixiert, risikoscheu und verwöhnt. Die Bonner Politikdozentin Christiane Florin holt in der Streitschrift « Warum unsere Studenten so angepasst sind » zur Generalabrechnung aus. Ist es in Freiburg auch so schlimm? Spectrum hörte sich um.
Text von Niklas Zimmermann, Illustration von Clarisse Aeschlimann
« Sie rennen bei mir offene Türen ein », sind die ersten Worte von Siegfried Weichlein, als er mit den Thesen Florins konfrontiert wird. Der Freiburger Professor für Zeitgeschichte sieht ebenfalls eine völlig angepasste Studierendengeneration am Werke, der es an intellektueller wie politischer Streitlust mangle. Das hat zunächst strukturelle Gründe. Das freilich ineffiziente Vor-Bologna-System erlaubte den Studierenden mehr Freiraum zur Entfaltung, da sie erst bei der Abschlussprüfung wirklich glänzen mussten. Mit dem neuen Modulsystem geht es in jeder Veranstaltung um scheinbar alles. Auch auf die Dozierenden herrsche permanenter Druck, will man nicht derjenige sein, der mit einer schlechten Note die Aufnahme in den Traum-Master verhindert. Weichlein sieht aber auch einen generationellen Wandel. Oberstes Ziel sei es heute, keine Fehler zu machen, während man sich in einer Diskussion per se exponiert und angreifbar macht. Um dennoch lebhafte Debatten herzustellen, setzt Weichlein auf einen interaktiven Lehrstil und verpflichtet die Studierenden zur schriftlichen Zusammenfassung der gelesenen Texte.
Auch mal etwas abverlangen
Schon wegen ihrem jungen Alter liegt es Magdalena Solska fern, die guten alten Zeiten zu romantisieren. Doch auch die Lektorin der Freiburger Politikwissenschaft stellt fest, dass es ohne Zwang nicht geht. Im Seminar fordert sie von den Referenten, Diskussionsfragen vorzubereiten, welche in Gruppen und nicht immer von denselben drei bis vier Engagierten bearbeitet werden. Das funktioniere gut und viele seien gesprächsfreudiger, wenn die Fragen von den KollegInnen statt von der Dozentin kommen. Hinsichtlich der Notenskala sieht Solska keinen Zwang, sich durch grösstmögliche Milde beliebt zu machen. Mit dem von Florin beklagten studentischen Formalismus (« Wie lange brauchen Sie für die Bewertung? Wie gross muss der Zeilenabstand sein? ») ist Solska als Studienberaterin auch konfrontiert. Doch für die Studienanfänger ist wirklich vieles neu und ein revidierter Studienplan sorgte auch bei erfahrenen Semestern für Verwirrung. Unter dem Motto « everyone fights his own battle » macht Solska dennoch allen zu Studienbeginn klar, dass sie immer auf Hilfe und Entgegenkommen der Dozentin zählen können, aber ohne Eigenverantwortung und Eigeninitiative letztendlich nichts geht.
Die studentische Sichtweise
« Vieles im Buch liest sich für mich, als wäre es aus der verletzten Eitelkeit einer frustrierten Professorin entstanden, die in den von Studierenden ausgefüllten Evaluationsbögen schlecht abgeschnitten hat », so die Reaktion einer Sprachstudentin der Uni Freiburg. Sie kennt das Gefühl der peinlichen Stille, wenn niemand etwas sagen will. Doch das hänge sowohl von der Motivation der Studierenden wie auch von der Qualität der Diskussionsleitung ab. Die Bachelorstudentin hat schon sehr engagierte und interessante Debatten erlebt und findet Diskussionen dann wirklich sinnvoll, wenn sie ein ansprechendes Thema behandeln und den Studierenden die Möglichkeit gegeben wird, sich darauf vorzubereiten.
Nicht jammern. Zeigen, was man drauf hat!
Was die grösste Errungenschaft von Florins Streitschrift ist: Endlich hält jemand den Studierenden den Spiegel vor, ohne gleich alle Schuld auf Bologna und überhaupt die heutige Gesellschaft zu schieben. Wir sind keine Opfer der widrigen Verhältnisse, sondern helle Köpfe, welche die Verantwortung für unser Handeln selbst übernehmen. Der Schlüssel liegt im Bewusstsein, dass die Uni mehr ist als zwei Stunden in einer Vorlesung zu sitzen und dann schnellsten Weges ins heimische St. Gallen, Schwyz oder Lugano zu fahren. Auch in Freiburg gibt es zahlreiche Möglichkeiten, zu einem blühenden Unileben beizutragen. Doch auch viele « angepasste Dozierende » haben sich im formalen Klein-Klein bequem eingerichtet. Hier wie dort gilt: Engagement zeigen, dann zahlt es die Gegenseite entsprechend zurück.