Freiburg ist eine Studentenstadt – zumindest während des Semesters. Im Stadtbild stechen die vielen jungen Erwachsenen kaum mehr hervor. Und doch fällt den Dagebliebenen während der vorlesungsfreien Zeit auf, dass sie fehlen.
Von Melanie Bösiger / Foto Catherine Waibel
Semesterferien sind dann, wenn ich mir einen Wecker stellen muss. Meine Mitbewohner sind sonst zuverlässig vor mir wach und irgendein Geräusch von einer Dusche, klappernden Tellern oder zuschlagenden Türen erinnert mich während des Semesters daran, dass die Sonne aufgegangen ist (oder bald aufgehen wird, je nach Jahreszeit) und ich aufstehen sollte. Aber wenn die Mitbewohner in den Semesterferien ausfliegen und ich die Wohnung für mich habe, muss mir der Wecker auf die Sprünge helfen, sonst verschlafe ich diese „vorlesungsfreie Zeit“. Ausschlafen wäre ein Phänomen für die Semesterferien – da diese aber nur zum Schein so heissen, muss ich raus aus den Federn, mich selber unter die Dusche stellen, mit den Tellern klappern und die Tür zuschlagen – ab an die Uni.
An der Bushaltestelle ist alles wie immer. Ein Mann mit Kinderwagen, eine Frau mit Rollkoffer, zwei Oberstufenschüler. Ich wohne nicht in einem Studentenviertel, der Kalender ist in unserem Quartier nicht geteilt in Vorlesungs- und vorlesungsfreie Zeit. Der Bus ist schon voll und es herrscht ein Gedränge wie jeden Tag. Am Bahnhof steige ich aus und spaziere durch die Fussgängerzone zur Uni. Irgendetwas ist anders als sonst. Ich mustere die mir Entgegenkommenden lange. Erst jetzt fällt es mir auf: Freiburg ist älter geworden als ich und gleichzeitig jünger; meine Altersgruppe fehlt. Die 20- bis 25-Jährigen sind im Wallis, in der Ostschweiz, in Deutschland, in Bern oder sonst irgendwo, aber nicht mehr hier. Das Bild auf den Strassen ähnelt einem ständigen Sonntag, ausser dass die Geschäfte geöffnet sind. Familien mit Kindern, Mittdreissiger, -vierziger und so weiter, Teenager. Fallen die vielen Studierenden sonst kaum auf, staune ich, wie sehr ihre Abwesenheit mich plötzlich irritiert. Für eine, die unsere Studentenstadt nicht kennt, ist es wohl ein durchschnittliches Stadtbild. Für eine, die nie im Ancienne Gare war und es nicht zu schätzen weiss, dass sie dort abends auswählen kann zwischen gleich vier freien Tischen. Sonst scharen sich um diese immer mehr Studierende beim Feierabendbier oder -tee, als der Platz zuliesse.
Ich trinke meinen Kaffee sowieso lieber an der Uni. Um kurz nach zehn morgens sind die Gänge dort leer, die Türen zu den Vorlesungssälen geschlossen. Keine Dozentin hat ihre Vorlesung abgeschlossen, keine Studierenden werden aus den Seminarräumen herausgespült und in die Cafeteria getrieben. Das ist ein Vorteil von Ferien an der Uni: Man kommt bedeutend schneller zu einem Kaffee. Der Nachteil: Ich trinke ihn alleine, meine Kommilitierenden (wie war das gleich mit der Geschlechtsneutralität?) sind nicht da. Viele Tische in der Cafeteria sind unbesetzt. Es gibt nicht regelmässig zwischen Punkt und Viertelnach einen Ansturm, sondern es verteilt sich besser. Anders in der Mensa – da steht man um zwölf trotzdem Schlange. Die Angestellten der Uni und die Studierenden aus den Bibliotheken legen pünktlich wie immer Mittagspause ein. Die Bibliotheken sind wohl der einzige Ort an der Uni, an dem zwischen den Semestern mehr los ist als während der Vorlesungszeit. Sonst hält sich die Uni geschäftig ruhig – fast wie meine Wohnung.