Auch an der Uni gibt es sie, die einfach zu wiederholenden Vorurteile: Studierende der Geisteswissenschaften sind nach dem Studium arbeitslos und solche der Medienwissenschaft jahrelang in unterbezahlten Praktika; das Medizinstudium kostet den Staat zu viel und so viele Anwälte, wie es Jus-Studierende gibt, braucht ja wohl kein Land. Oder?
Text: Gioja Weibel / Illustration: Clarisse Aeschlimann
Eine Studie des Bundes zeigt zwar, dass Personen mit einem Abschluss in Wirtschaft, Medizin oder im Bereich der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) überdurchschnittlich oft in einer erfolgreichen Berufssituation sind, während sich Absolvierende der Geistes-, Sozial und Erziehungswissenschaften am anderen Ende des Spektrums befinden. Dies heisst jedoch nicht zwangsläufig, dass man als Wirtschaftswissenschafter einfach per se ausgesorgt hat oder sich umgekehrt als Geisteswissenschafter von einer Temporärstelle zur nächsten hangeln muss. Auffällig ist nämlich, dass die ersten drei Fachbereichsgruppen nach dem Studium einen sehr viel vordefinierteren Weg vor sich haben: Mit einem Abschluss in der Medizin bleibt beispielsweise die Frage, wie es nach dem Studium weitergehen soll, kaum je offen: Man entscheidet sich für eine Fachrichtung und geht in die Forschung oder sucht sich eine Stelle als Assistenzarzt. Abschlüsse in den Geisteswissenschaften eröffnen hingegen oft ein viel breiteres Berufsspektrum, weshalb die Zeit nach dem Studium auch als eine Orientierungs- und Spezialisierungsphase angesehen werden kann.
Das ist ein Erklärungsansatz für die berufliche Unsicherheit, in der sich diese Absolvierenden ein Jahr nach dem Studium befinden können. Dafür spricht auch eine Längsschnittbefragung des Bundes aus dem Jahr 2013, welche seit 1977 alle zwei Jahre durchgeführt wird. Dafür werden Hochschulabsolvierende jeweils ein Jahr und fünf Jahre nach ihrem Abschluss zu ihrer Berufssituation befragt. Fünf Jahre nach Studienabschluss verringert sich die Erwerbslosenquote der Absolvierenden der Geisteswissenschaften massiv, was sie im Vergleich zu Absolvierenden anderer Fachbereiche von der Position des Spitzenreiters ins Mittelfeld katapultiert. Laut derselben Statistik sehen sich ausserdem auch Jus-Absolvierende noch ein Jahr nach Abschluss nicht in einer erfolgreichen Berufssituation. Dass Recht aber kein unnützes Studium ist, ist auch in der allgemeinen Volksmeinung bekannt. So hängen diese Ergebnisse hauptsächlich damit zusammen, dass rund die Hälfte der Rechtsabsolvierenden ein Jahr nach dem Abschluss noch eine Praktikumsstelle absitzt und sich eventuell bereits auf die Anwaltsprüfung vorbereitet.
Viele Vorurteile und die Statistiken, welche sie belegen sollen, lassen sich in ähnlicher Art und Weise aufschlüsseln und widerlegen. Dass ein einzelner Medizinstudent den Staat zum Beispiel über eine Million Franken kostet, stimmt, wenn man die gesamten Kosten der medizinischen Fakultäten auf die Studierenden herunterrechnet, wobei die medizinische Forschung natürlich nur schon auf Grund der Geräte eine sehr kostspielige Disziplin ist. Auch die Arbeiten an der pädagogischen Hochschule haben selbstverständlich nicht das Sortieren von Neocolor zum Thema, und tatsächlich enden nicht alle Kunststudierenden hinter der Theke eines Fastfoodrestaurants. Bestimmte Berufe geniessen dennoch einen besseren Ruf als andere, womit sich ein Teil dieser Vorurteile erklären lässt. Für die Studienwahl sollte man sich davon aber dennoch nicht beeinflussen lassen, denn schlussendlich gilt: Auf den ersten Blick machen Vorurteile Sinn, wenn sie uns in unseren vorgefestigten Meinungen bestätigen. Bemüht man sich aber, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, erweisen sich viele von ihnen als haltlos.