In letzter Zeit stand die Berner Reitschule wieder vermehrt in der Kritik: Gewaltsame Ausschreitungen und Angriffe gegen die Polizei rund um das Reitschul-Areal führten zu Diskussionen über fehlende Sicherheitsvorkehrungen und verschleuderte Steuergelder.
Häufig geht dabei vergessen, dass die Reitschule viel mehr zu bieten hat als flaschenwerfende Chaoten und feuerwerkszündende Krawallmacher. Das autonome Kultur- und Begegnungszentrum bietet Freiraum und Zündstoff für alle, die sich auf ein geistiges Feuerwerk einlassen wollen: Kultur macht (Reit-)Schule.
Isabelle Huber
Für die einen ist es ein Schandfleck, für die anderen ein Wahrzeichen: Ursprünglich war das heute reich verzierte bzw. verschmierte Gebäude unweit des Berner Bahnhofs nichts weiter als eine Halle, in der geritten wurde. Spätestens in den Achtzigerjahren folgte auf das Reiten dann aber das Streiten: Im Herbst 1987 besetzten rund tausend Jugendliche die unterdessen leer stehende Reithalle und forderten ihre Wiedereröffnung als Autonomes Jugendzentrum (AJZ). Als kurz darauf das im Gaswerkareal errichtete Hüttendorf der Zaffaraya-Bewegung von der Polizei geräumt wurde, gingen immer mehr Menschen auf die Strasse und der Druck auf die Stadtregierung nahm zu. Am 24. Dezember 1987 öffnete die Reitschule als AJZ ihre Türen.
5:0 für die Reitschule
Auch heute noch, fast dreissig Jahre später, steht die Reitschule beinahe täglich in der Kritik. „Selbst wenn es sich meist um negative Schlagzeilen handelt, so hat sich in den letzten Jahren doch gezeigt, dass die Mehrheit der Stadtberner hinter dem Kulturzentrum steht“, sagt Jürg Lüdi vom Förderverein der Reitschule. Fünfmal wurde in der Bundeshauptstadt in den vergangenen 26 Jahren über die Reitschule abgestimmt, fünfmal sprach sich eine Mehrheit der städtischen Bevölkerung für die Unterstützung des Kulturzentrums aus. Eine weitere Initiative gegen die Reitschule – dieses Mal auf kantonaler Ebene – wurde von der Jungen SVP gerade erst lanciert.
Kultur pur
Dass die Reitschule in der Stadt Bern durchaus positiv wahrgenommen wird, liegt wohl nicht zuletzt an ihrem vielfältigen kulturellen Angebot. Über zweihundert Freiwillige engagieren sich in den verschiedenen Arbeitsgruppen und organisieren Konzertveranstaltungen im Dachstock, Poetry Slams in der Rössli-Bar, Film- und Theatervorführungen im hauseigenen Kino bzw. Tojo-Theater und vieles mehr. Letztes Jahr wurde in der Grossen Halle gar Béla Bartóks Oper Herzog Blaubarts Burg aufgeführt. Juerg Luedi zufolge ist die Reitschule im Vergleich zu anderen Kulturzentren wie der Roten Fabrik in Zürich oder der Kaserne in Basel nicht nur weniger kommerziell, sondern funktioniert auch weitgehend ohne hierarchische Strukturen. Selbst in der Küche des Reitschul-Restaurants Sous le Pont gibt es keine Chefköche, alle sind einander gleichgestellt.
Anders denken, anders handeln
Obwohl nicht alles, was in der Reitschule geboten wird, offenkundig gesellschaftskritischer Natur ist, sollte man doch besser in ein kommerzielles Kino gehen, wenn man sich etwa den neusten James-Bond- oder Star-Wars-Film ansehen will. Denn das Angebot der Reitschule ist anders – alternativ, wenn man so will – und bietet uns die Möglichkeit, die Welt aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und die eigene Einstellung dabei kritisch zu hinterfragen. Es lohnt sich also in jedem Fall, sich die Reitschule auch einmal von innen anzusehen.