Wie unsere Welt in ein paar Jahrzehnten aussehen wird, ist und bleibt ungewiss. Oder doch nicht? Sozialwissenschaften gehen auf unterschiedliche Arten mit Zukunftsvorhersagen um.

Setzt man sich mit Forschung auseinander, die sich mit der Zukunft beschäftigt, steht man erst einmal vor einer Irritation: Wie ist es möglich, dass empirische Wissenschaften sich mit einem Forschungsobjekt beschäftigen, das es per Definition (noch) nicht gibt?

Vorsicht bei fixen Vorhersagen

Natürlich muss nuanciert werden. Naturwissenschaften entwerfen schliesslich dauernd auf Grundlage von Daten Szenarien, auf die wir uns mehr oder weniger verlassen können. Man denke nur einmal an die Klimaforschung, die uns derzeit keine rosige Zukunft prophezeit.

Darüber hat Spectrum mit der Sozialanthropologin Julia Eckert gesprochen. Ihre Einschätzung: «Wenn Ernährungswissenschaftler*innen aufgrund des zunehmenden Zuckerverzehrs Prognosen zu steigenden Diabetes-Raten machen, ist das sinnvoll.» In sozialwissenschaftlichen Disziplinen könne aber mit dem Blick in die Zukunft eine falsche Kausalität aufgemacht werden: «Wenn Islamwissenschaftler*innen wegen vermehrter hoher Bildungsabschlüsse unter Muslim*innen in Europa mehr Terror vorhersagen, weil viele der bisherigen Täter*innen einen hohen Bildungsabschluss hatten, ist das problematisch.»

Aber: «Sozialwissenschaftler*innen sollen durchaus ihre Einsichten in Zusammenhänge und Dynamiken für politische Maßnahmen nützlich machen», sagt Eckert. Im Stil von «Wenn wir dies tun, wird wahrscheinlich jenes passieren». Seriöse Forschung weise aber immer auf die Vorläufigkeit solcher Vermutungen hin und zeige alternative Szenarien auf.

Zwei Grundsatzfragen

David Bozzini, Professor für Sozialanthropologie an der Universität Freiburg, vertritt eine ähnliche Auffassung, mahnt aber zur Vorsicht. Möchte man als Sozialwissenschaftler*in Aussagen über die Zukunft einer untersuchten Bevölkerungsgruppe treffen, würden sich zwei Fragen stellen: Erstens, ob das Fach überhaupt in der Lage dazu ist, Daten zu liefern, aufgrund derer Vorhersagen getroffen werden können. Und zweitens, was für ethische Herausforderungen mit Aussagen über die Zukunft einhergehen. «Wie die Menschen ihr Verhalten aufgrund einer Vorhersage anpassen, steht in den Sternen. Wenn ich sage, das politische Regime in Eritrea wird in den nächsten fünf Jahren fallen, kann ich Menschen damit in Gefahr bringen», sagt Bozzini. Auch sei ungewiss, was politische Autoritäten mit solchem Wissen anstellen würden. Man würde unter Umständen aktiv in politische Prozesse eingreifen.

Auch der ersten Frage gegenüber ist Bozzini kritisch eingestellt. «Wir sind nicht in der Lage, Messinstrumente in der gesellschaftlichen Atmosphäre aufzustellen, um gesellschaftlichen Wandel wie das Wetter vorherzusagen.» Dafür sei die soziale Realität schlicht zu komplex.

Wie Bevölkerungsgruppen in der Gegenwart mit der Zukunft umgehen, welche Sicherheitsvorkehrungen sie beispielsweise treffen, um sich vor politischer Repression zu schützen, sei allerdings fester Bestandteil der Forschung.

Nachdenken, aber nicht Prophezeien

In diesem Selbstverständnis könnte man wohl auch das Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) verorten. Im Sammelband «Zukunftsforschung und Zukunftsgestaltung» distanzieren sich die Forschenden von einem «prognostischen Umgang mit der Zukunft» wie er noch im positivistischen Verständnis der 1960er Jahre gang und gäbe war. Stattdessen streben sie unverbindliche Szenarien an. Gegenstand der Forschung könne nie die Zukunft selbst sein, sondern nur «die Bilder, die wir uns heute von ihr machen», wie der Philosoph und Technikfolgenabschätzer Armin Grunwald in seinem Beitrag schreibt.

Hypothesen zur Zukunft zu formulieren, scheint Denker*innen legitim und der Forschung von heute ein Bedürfnis zu sein. Konkrete Vorhersagen über gesellschaftliche Entwicklungen sind aber nicht nur heikel. Sie können sich auch selbst zum Stolperstein werden, wie der Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch «Homo Deus» schreibt. Fangen wir an, über die Zukunft unserer Gesellschaft zu sprechen, beeinflussen wir damit das Verhalten von uns Menschen. Harari nennt dieses Phänomen das «Paradox of Knowledge»: «Marx vergass, dass Kapitalisten lesen können.»


Prof. Dr. Julia Eckert hat den Lehrstuhl für Politische Anthropologie am Institut für Sozialanthropologie an der Universität Bern inne. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in Fragen nach dem Wandel politischer Institutionen wie der Demokratie und des Rechts.

Prof. Dr. David Manuel Bozzini lehrt an der Universität Freiburg am Departement für Sozialwissenschaften. In seiner Forschung hat er sich lange mit sozialen Phänomenen im Kontext der Militarisierung in Eritrea beschäftigt, bevor er sich der Sicherheit und Überwachung im Internet widmete.

Text: Katharina Schatton
Illustration: Johanna Schatton
Bild: Pixabay