Superbia wird mitunter als schlimmste aller Todsünden betitelt – Gedanken aus der Sicht einer Anfang-Zwanzigerin im 21. Jahrhundert.

Ich habe mir zu Beginn meiner bislang dreijährigen journalistischen Karriere geschworen, niemals einen Artikel mit dem Wort „Ich“ anzufangen. Nun tue ich es entgegen all meinen Prinzipien trotzdem. Sei es drum – in diesem Artikel geht es ja um die Todsünde ‚Superbia’, um Hochmut, Stolz, um das dadurch vermittelte Gefühl, super zu sein und damit letztendlich auch um Ich-Bezogenheit.

„Ich bin stolz, ein Teil dieses Redaktionsteams gewesen zu sein.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich vor kurzem ein allseits geschätzter Kollege aus eben diesem Redaktionsteam, welches in einer Solothurner Kleinstadt sein Unwesen treibt. Und damit sind wir schon mitten drin in der Thematik derjenigen Sünde, die die Liste als schlimmste aller Todsünden anführt: Superbia. Auch Hybris genannt. Ersterer ist der lateinische Begriff, letzterer der Griechische. Übersetzt heissen sie beide das Gleiche: Hochmut.

Superbi…Was?

Mit diesem Terminus kann ich persönlich nicht viel anfangen. Nach einer kurzen Recherche finde ich heraus, dass Hochmut vom mittelhochdeutschen Wort ‚Hoffart’ abstammt und mitunter auch Stolz und Arroganz meint. Das sagt mir schon mehr. Stolz. Natürlich bin ich stolz auf Dinge, die ich in meinem bisherigen, zugegebenermassen noch nicht allzu langen Leben, erreicht habe. Mann, war ich stolz, als ich damals den Sprung von der Bezirksschule in die Kantonsschule geschafft habe. Oder als ich meine fertige Maturaarbeit in den Händen hielt. Oder als ich die Autoprüfung nach nur wenigen Fahrstunden bestand. Stolz bin ich auch, und sämtliche Mitglieder meines Freundeskreises würden an dieser Stelle bloss spotten, auf meine Wurzeln, die tief in einem kleinen solothurnischen Grenzdorf liegen. Die Liste der Dinge, worauf ich stolz bin, liesse sich wohl bis ins Unendliche fortsetzen. Ich bin auch stolz auf mich, darauf, was aus dem nörgelnden, stets schlechtgelaunten Teenager geworden ist. Ich erachte den Stolz als ‚Zufriedenheit mit sich selbst’, als Belohnung meiner Arbeit, fast ein wenig als Lohn für das Geleistete. Hier kann der Stolz nicht als Sünde gemeint sein. Weder damals, als die sieben Todsünden zum ersten Mal erwähnt wurden noch heute.

Blindheit für die eigenen Schwächen

Der Inbegriff von Stolz ist für mich Jane Austens „Pride and Prejudice“. Der Roman beschreibt wie kein zweiter, auf welche Weise Stolz (Pride) und Vorurteil (Prejudice) einen blenden können. Unvergessen die Szene, als der stolze Fitzwilliam Darcy der Protagonistin Elisabeth „Lizzie“ Bennet in strömendem Regen seine Liebe gesteht und sie seinen Heiratsantrag einfach ablehnt. Dies obwohl der neutrale Betrachter bereits seit längerem ahnt, dass ihre Abneigung gegenüber „Mr. Darcy“ wohl doch nicht so tief sitzt, wie von ihr vorgegeben. Nur eines lässt sie den Antrag ablehnen: ihren Stolz. Die intelligente und kecke Lizzie fühlt sich in ihrem Stolz zu stark verletzt, um einen Heiratsantrag von einem Mann anzunehmen, der ihr zuerst ihren niederen Stand vor Augen führt, um ihr im Anschluss seine Liebe zu gestehen.

Stolz kann auch schnell ins Negative überschwappen. Dann nämlich, wenn der Stolz die Schwelle zur Hochmut überschreitet. Und dann, so finde ich, ist Superbia als Sünde zu verstehen. „Hochmut ist die Weigerung, sich in seiner eigenen Menschlichkeit anzunehmen“, schrieb einmal der deutsche Benediktinerpater Anselm Grün. Also quasi die Blindheit für die eigenen Schwächen. Sowohl auf Lizzie als auch auf Darcy trifft diese Bezeichnung zweifellos zu. Beide sind so sehr von sich selbst überzeugt, dass sie die eigenen Fehler nicht sehen und auch die positiven Seiten des Gegenübers ignorieren.

Früher hatte der Hochmut einen starken Bezug zur Religion. Erstmals erwähnt werden die Todsünden im Alten Testament. Dort heisst es, nur Gott sei gross genug, um stolz und hochmütig zu sein. Der Mensch hat dazu demnach keine Befugnis. Und heute? Der religiöse Bezug scheint verloren gegangen zu sein. Auch wüsste ich nicht, wann ich den Begriff zum letzten Mal gebraucht hätte, geschweige denn, ob ich ihn jemals verwendete. Das Einzige, was mir zum Begriff ‚Hochmut’ vor dem Schreiben dieses Artikels in den Sinn kam, war folgendes Sprichwort: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ Hochmütige fallen – früher oder später. Die Wörter ‚Stolz’ und ‚Arroganz’ hingegen, sind im Volksmund viel geläufiger.

Schlimmste aller Sünden

Die Heilung des Hochmuts ist die Demut. Sie bezeichnet die Verabschiedung der eigenen Idealbilder. „Sie ist der Mut, hinabzusteigen in die Abgründe meiner Seele, in die Schattenseiten, die mein Menschsein verdunkeln“, schreibt Benediktinerpater Grün. Superbia wird in der Literatur als die schlimmste aller Sünden beschrieben. Hochmut sei der Anfang aller Sünde, habe ich irgendwo gelesen. Ich würde den Stolz und den Hochmut als nicht ganz so dramatisch betiteln. Zu viel Hochmut tut einem Individuum nicht gut, denn er lässt das eigene Wesen als wichtiger erscheinen, als es ist. Zu viel Demut lässt das Ich schrumpfen. Eine Mischung der Beiden macht es wohl aus. Ja, ich bin stolz auf mich und das, was ich geleistet habe. Das darf ich auch. Manchmal bin ich hingegen auch zu stolz. Aber, sind wir das nicht alle? Steckt nicht in uns allen ein kleiner Darcy, eine kleine Elisabeth? Ich meine schon – und das ist menschlich.