Fast alle Schweizer Zeitungen gehören heute zu einem grossen Verlagshaus wie Ringier oder Tamedia. Diese Zusammenschlüsse führen zu einer Diskussion über die redaktionelle Unabhängigkeit der Schweizerischen Presse.  Serge Gumy, Chefradakteur von La Liberté, erklärt Spectrum, in welcher Situation sich sein Medium momentan befindet.

Text: Guillaume Babey

Herr Gumy, wer sind die Besitzer der Liberté?

Historisch gesehen gehört die Liberté der Ordensgemeinschaft der Paulusschwestern an. Seit 2015 können sich aber auch externe Aktionäre Anteile erkaufen. Seither besitzt die Kongregation zwei Drittel der Aktienanteile der Tageszeitung. Das letzte Drittel gehört zu gleichen Teilen der Freiburger Kantonalbank und der Groupe E.

Warum wurde das Aktienkapital geöffnet?

Das Durchschnittsalter in der Kongregation stieg stetig an. Die Gemeinschaft verlor innert kurzer Zeit viele Mitglieder und es fehlte an Nachwuchs. Indem wir finanzielle Beteiligungen grosser Freiburger Unternehmen zulassen, schützen wir uns gegen eine Übernahme durch einen grossen Medienkonzern aus Zürich, Paris oder Berlin.

Wie schätzen Sie die Situation jener Zeitungen ein, die zu grossen Medienhäusern gehören?

Le Temps gehört heute hauptsächlich zu Ringier Axel Springer, seit Tamedia seine Aktienanteile verkauft hat. Wichtige Entscheidungen über die Schweizer Zeitung werden heute in Berlin getroffen. Das ist das Risiko: Chefs zu haben, die weit weg sind vom Alltag der betreffenden Zeitung und Entscheidungen aus rein wirtschaftlichen Gründen treffen. Erst kürzlich wurden bei La Tribune de Genève und 24 Heures Journalisten entlassen. Für die Betroffenen war es sehr schwierig, sich zu wehren, weil die Entscheidung in Zürich getroffen worden war. Je weiter weg die Verantwortlichen sind, desto mehr zählen nur die nackten Zahlen. Man sieht nur den Umsatz und vergisst, wie viel eine Zeitung zum alltäglichen Leben einer Region beitragen kann. Wir bei der Liberté haben das Glück, dass unser gesamtes Kapital in Freiburg liegt. Die Verantwortlichen wissen, wie wichtig wir für die Region sind.

Bleibt die Liberté von ihren Aktionären unabhängig?

Wir haben eine Redaktions-Charta, die vertraglich festhält, dass die Liberté von allen Interessensverbänden unabhängig bleibt. Beim Kauf ihrer Wertpapiere haben beide Aktionäre diese Charta unterschrieben. Sie anerkennen die Unabhängigkeit der Zeitung von jeder anderen Firma, sie selbst eingeschlossen. Die Aktionäre haben zu keinem Zeitpunkt einen Einfluss auf die redaktionelle Arbeit unserer Journalisten.

Können grosse Verbände für die Zukunft der Medien eine Gefahr darstellen?

Ich bin mir nicht sicher, ob wirklich die Verbände schuld sind. Grund für die aktuelle Krise sind die Digitalisierung und die Gratiszeitungen. Unsere Gesellschaft ist es gewohnt, Information gratis zu bekommen – wie also soll man sie zum Zahlen bewegen? Tamedia wollte die Erträge aus dem Digital-Geschäft nicht für die Unterstützung seiner Print-Medien verwenden. Das Problem ist, dass die Zeitungen bisher keine wirtschaftlich rentierende Möglichkeit gefunden haben, mit der sie das Print-Geschäft ganz aufgeben könnten. Ich befürchte, dass diese unsichere finanzielle Situation dazu führt, dass die Medien finanziell lohnenswerte Deals eingehen, die gegen die journalistische Ethik verstossen. In einigen Zeitungen gibt es rein kommerzielle Rubriken, die aussehen wie herkömmliche Artikel. Und es gibt die Basler Zeitung, die eine regelrechte Kampagne für die SVP geführt hat.

Riskiert die Liberté, in Zukunft auf ähnliche Abwege zu gelangen?

Ich hoffe nicht. Ich denke, wir haben ein Wertesystem, das stark genug ist, um dies zu verhindern. Aber glaubt mir: Wenn das passieren sollte, kündige ich.

übersetzt von Melanie Bösiger