Nova Friburgo ist ein Dokumentarfilm der den Blick auf das weitere Schicksal der Fribourger Auswanderer von 1819 und deren heutigen Nachfahren richtet, dabei aber leider völlig sein kritisches Potenzial verspielt. Das Ergebnis ist stattdessen nostalgischer Kitsch.
Dokumentarfilme sind informativ, objektiv und ermöglichen oft einen veränderten Blickwinkel. So hat der Dokumentarfilm Blackfish (2013) dazu geführt, dass die Meeres-Themepark-Kette „Sea world“ sämtliche Orca-Shows aus dem Programm genommen hat und von nun an auch darauf verzichtet, Schwertwale in Gefangenschaft zu züchten.
Viele Dokumentarfilme haben also kritisches Potenzial, das gesellschaftliche Veränderungen, wenn auch im Kleinen, bewirken kann. Anders Nova Friburgo, der dem Wirken des Westschweizer Journalisten Jean-Jacques Fontaine entstammt und auf dem FiFF 2018 zum ersten Mal öffentlich gezeigt wurde.
Der Film handelt von den Nachfahren der Freiburger Auswanderer von 1819, die sich damals nach Brasilien aufmachten und eine neue Kolonie, Nova Friburgo, gründeten. Im Verlaufe des Films lernt man ein bisschen etwas über die Geschichte dieser Leute und wie es ihnen heute geht. Dabei begleitet man vor allem einzelne Familien, die teilweise während des Filmes auch ihren Verwandten in Freiburg, die sie beziehungsweise ihre (Ur-gross-)Eltern vor zweihundert Jahren aus den Augen verloren haben, einen Besuch abstatten. Das „Wiedersehen“ ist rührend.
Auch zwei Auswanderinnen, die ihrerseits wieder den Rückweg von Nova Friburgo nach Freiburg geschafft haben, wo sie jetzt seit rund dreissig Jahren leben, dürfen erzählen, wie gut sie sich in der Schweiz integriert haben, wie wichtig ihnen aber auch ihre brasilianischen Wurzeln sind. Und ich glaube genau das ist der Grund, wieso der Film seine Möglichkeiten zur kritischen Auseinandersetzung nicht ausschöpft.
Nirgendwo werden mögliche Identitätsprobleme thematisiert, nirgendwo findet sich ein kleines Moment der Entfremdung, wenn man merkt, dass man sich trotz der eigentlich gemeinsamen Geschichte doch schon zu lange verloren hat. Auch wenn man sich anlässlich der Besuche nicht einmal richtig verständigen kann, weil man nun einmal kein portugiesisch, respektive französisch spricht, scheint das überhaupt kein Problem zu sein, man nimmt sich in den Arm als hätte man sich erst letzte Woche verlassen.
Neben so viel Kitsch dürfen natürlich auch billige Moralismen nicht fehlen, und so wird in einigen Nebensätzen darauf hingewiesen, dass die damaligen Schweizer Auswanderer in einer ähnlichen Situation gewesen seien, wie heutige Flüchtlinge.
Im Film darf dann auch ein ehemaliger Freiburger Stadtrat zeigen, wo er eine Flüchtlingsfamilie eine Zeitlang beherbergt hat. Seine gute Tat wurde ausgelöst, so meint er, durch die Geschichte der Auswanderer nach Nova Friburgo. Auch hier fehlt jegliches kritische Moment, es wird getan, als ob die Probleme der Globalisierung gelöst seien, wenn wir nur etwas guten Willen aufbringen würden.
Dabei blendet aber dieses Herumkriechen auf der Individualebene schlussendlich die ganze strukturelle Problematik aus, die der Film wunderbar hätte betonen können. Nicht nur in der Vergangenheit, auch in der Gegenwart.
Mit ein bisschen gutem Willen ist’s getan, das ist die Message des Filmes. Und schlussendlich können alle nach Hause gehen und sich denken, dass, wenn alle nur so gute und vernünftige Menschen wie sie oder diese netten Einwanderinnen aus Brasilien oder der Freiburger Stadtrat wären, dann wäre die Welt ein viel besserer Ort.
Ein Dokumentarfilm, bei dem man sich wohlfühlen, gut fühlen und den man dann vergessen kann.