Für Bewohner einer schnelllebigen und von Aktualität geprägten Welt mag die Vorstellung schon fast selbstverständlich sein, dass auf dem Fiff nur brandneue Filme gezeigt würden. Umso mehr erstaunter ist man, wenn man sich als ein solcher Bewohner in die Vorstellung von „Yol“ verirrt. Ein Film aus dem Jahre 1982, der damals die Goldene Palme auf dem Internationalen Filmfestival in Cannes gewann. 

Doch nicht nur die Zeit der Entstehung des Filmes, auch die, die er beschreibt, kam mir anachronistisch vor. Er spielt in der Türkei der 1980er Jahre, nach dem dortigen Militärputsch, und zeigt einen Ausschnitt aus dem Leben von fünf kurdischen Häftlingen, die für eine Woche Urlaub bekommen und zu ihren Familien zurückkehren können. Doch der Alltag draussen scheint keineswegs freier zu sein als derjenige hinter Gittern. Die strikte Reglementierung ihrer Lebenswelt in der Haft reproduziert sich in der Gesellschaft durch eine religiöse und staatliche Ordnung. Eine Gesellschaft, die für sie ehedem noch ihr Sehnsuchtsort und, vor der Haft, Ort ihres familiären Glücks war. So erscheint nun auch den Häftlingen ihre Zeit anachronistisch, als wären sie während der Haft von ihr abgehängt worden. Was sie vorfinden ist aber keine schöne neue Welt, sondern Geschehnisse, die ihr altes Leben endgültig zerrüttet zu haben scheinen:

Die Frau des Einen geht während des Gefängnisaufenthaltes ihres Ehemannes fremd und soll deswegen hingerichtet werden, um die Ehre der Familie wiederherzustellen. Der Mann zwingt sie schliesslich zu einer mehrstündigen Wanderung durch den Schnee und hofft dabei auf ihren Kältetod. Als dieser dann wirklich einzutreten droht, packt ihn das Mitleid und er trägt sie den Rest des langen Weges. Doch bei ihrer Ankunft ist sie schon lange tot. Ein Anderer hat mit seiner Freundin auf der Zugtoilette Sex, was die übrigen Fahrgäste fast dazu veranlasst die Beiden aus religiöser Entrüstung heraus in Stücke zu reissen. Selbiges Paar wird einige Minuten später vom Schwager des Mannes erschossen, aus Rache für eine Familiengeschichte.

Solche Beispiele könnten zu Hauf genannt werden, und es sin möglicherweise solche Szenen, die den Film so verstörend machen. Nicht auf diese philosophisch-intellektuelle Art verstörend, die uns nach einem Beckett-Theater ergreifen könnte, sondern wirklich verstörend, auf eine Art, die uns das Leben als etwas Abstossendes und Aussichtsloses präsentiert. Deswegen weiss ich auch nicht, wie man über dieses Werk urteilen sollte, das man im Übrigen mehrmals sehen sollte und von dem man sich auch Wissen um den politischen Hintergrund aneignen sollte, um es wirklich zu verstehen. Meine Einschätzung schwankt zwischen der Lobpreisung dieses Filmes als grossen politischen Klassiker oder dem angegriffenen Zurückweichen ob einer Kunst, die so wenig Raum für Hoffnung lässt und der Darstellung des weltlichen Schreckens so viel davon gibt.

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