Was macht Musik mit uns? Was passiert, wenn wir zu Musik mitsingen oder Gänsehaut bekommen? Auf der Suche nach Antworten begegnen wir Glückshormonen und Lustzentren und stellen fest: Unser Gehirn ist eine Musik-Diva.
Anfang April im Bogen F in Zürich. Auf der Bühne: Büne Huber, Frontmann der Berner Band Patent Ochsner, im weissen Hemd und Gilet, Mikrofon in der einen, Weinglas in der anderen Hand. Zusammen mit dem Musikjournalisten Dominic Dillier tut er das, was Musikerinnen und Musiker nach dem Musikmachen wohl am zweitliebsten tun: Musik hören und darüber reden. Gegen Ende des Gesprächs resümiert Büne in gewohnt bildhafter Sprache und breitem Berndeutsch: „Musik ist noch immer etwas, das uns zutiefst aufwühlt, das uns Trost spendet in traurigen Momenten, das uns Schub gibt in den besten Momenten, in denen wir uns vielleicht begatten und Kinder zeugen.“ Der Satz bleibt, weil er stimmt. Musik ist fester Bestandteil der Menschheitsgeschichte. Seit der Homo Sapiens existiert, werden Instrumente gefertigt und eingesetzt zur Unterhaltung, Kommunikation, bei der Jagd und später, im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, gar als Kriegsinstrument. Aber weshalb schafft es die Musik, uns so zu berühren? Warum stimmt der Satz von Büne Huber?
Unser Gehirn, die Musik-Diva
Entscheidend ist dabei das Gehirn. Der renommierte Neuropsychologe Lutz Jäncke, der an den Universitäten Zürich und Freiburg lehrt, zählt zu den führenden Forschern, wenn es um die Wirkung von Musik auf unser Gehirn geht. Gegenüber der NZZ am Sonntag erklärte er dereinst, dass unser Gehirn beim Musikhören stets vorherzusagen versucht, wie das Stück weitergeht. Gelingt dies, wird das Lustzentrum aktiviert und es werden das Glückshormon Dopamin und das sogenannte „Kuschelhormon“ Oxytocin ausgeschüttet. Wir fühlen uns gut. Weil diese Wirkung bei allen Menschen gleichermassen eintritt, kann Musik ein sehr starkes Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen. Wer bereits in einer bebenden Fankurve gestanden, in einem Chor gesungen oder einfach an wirklich guten Konzerten oder im Opernhaus war, kennt das. Genau wegen dieses Effekts, Jäncke nennt ihn „Synchronisation“, funktioniert Marschmusik auch als Kriegsinstrument, sie schafft Einheit, Zusammengehörigkeit, Vertrauen. Aber unser Gehirn ist anspruchsvoll, eine Diva. Zwar hat es sehr gerne recht beim Voraussagen von Musik, zu gleichförmig darf diese dann aber doch nicht sein, sonst verleidet sie. Deshalb funktionieren wohl einfache Popsongs, die auf vier simplen Akkorden aufbauen, so gut. Und aus demselben Grund verweilen sie dann meist doch nur kurz auf den Spitzenplätzen der Hitparade.
Musik macht Gefühle
Wie die Neuropsychologie, spricht auch Büne Huber im Bogen F einen weiteren wichtigen Effekt der Musik auf uns Menschen an: der Einfluss auf unsere Gefühlswelt. In Zeiten von Spotify und Smartphone, in denen Musik meist nebenbei und nur noch selten bewusst oder in Gesellschaft konsumiert wird, ist diese Wirkung wohl umso wichtiger. Wir lassen die Musik unsere Gefühlswelt mitbestimmen, suchen mit der Wahl der Playlist bewusst nach Ausgleich, nach Bestätigung, nach Verstärkung. Wir hören Musik, die uns im Stau bei Laune hält, die uns beim Sport antreibt, die uns in Partylaune bringt oder – um auf Büne Hubers Aussage zurückzukommen – Musik, die uns tröstet oder Schub verleiht beim Sex.
Geschmack braucht Zeit
Obwohl wir rein neurologisch gesehen alle gleich funktionieren, wenn wir Musik hören, ist und bleibt der Musikgeschmack individuell. Die Forschung zeigt, dass wir in der Regel im Alter von rund zwanzig Jahren zu unserem Musikgeschmack gefunden haben. Dann bleibt er meist ein Leben lang. Schon als Kleinkinder beginnen wir, Musik als solche wahrzunehmen und sie selbst zu reproduzieren, zu singen, Rhythmen zu klopfen. Das Gefühl für Harmonien eignen wir uns noch vor dem zehnten Lebensjahr an. Alle, auch die vermeintlich Unmusikalischen. Als Jugendliche – und hier sind wir wieder bei Lutz Jänckes „Synchronisation“ – hören wir bestimmte Musikstile, um uns von den Eltern abzugrenzen, um uns einer anderen Gruppe zugehörig zu fühlen, ehe wir dann unsere wirklichen stilistischen Vorlieben entdecken. Und darin findet man dann das, was die Musik so schön und so mächtig macht. Sie ist da für einen. Immer. Hört auf Büne Hubers Worte, profitiert von eurem zerebralen Lustzentrum: Lasst euch auf die Musik ein, lasst euch aufwühlen, Trost spenden, Schub verleihen von ihr.