In der Zeit, in der die Autorin diesen Artikel verfasst hat, verspeiste sie folgende Dinge: zwei Äpfel; einen Pfirsich; zwei Bananen; eine Packung Paprikachips; vier grosse Tassen Schwarztee; ein Brötchen mit Frischkäse und Gurke; ein Muffin; ein Meringue. Nicht aus Hunger. Sondern einfach so. Stolz darauf ist sie übrigens nicht, die Autorin. Aber stoppen konnte sie sich auch nicht.

Worüber soll ich nochmal schreiben? „Gula“ steht auf dem Plan, und daneben mein Name. Völlerei also. „[Ü]ppiges und unmässiges Essen und Trinken“ sei das, informiert mich das allwissende Wikipedia. Weiter weiss die Enzyklopädie, dass Gula die fünfte der sieben Todsünden sei und der „christlichen Tugend der Mässigung“ gegenüberstehe. Ich bin unsicher, was ich mit diesen Informationen anfangen soll, und tippe versuchshalber „Völler“ in die Google-Bildersuche ein. Halb hoffe ich, auf ein Bild zu stossen, mit dem ich mich identifizieren kann, damit es mir leichter fällt, über einen einigermassen abstrakten Begriff zu schreiben. Stattdessen erscheint auf dem Bildschirm tausendfach das Gesicht eines ehemaligen deutschen Fussballers, Rudi Völler. Ich frage mich, woher dieser Nachname stammt und was Rudis Vorfahren wohl angestellt haben, dass die ganze Familie nach einer Todsünde benannt wurde. Leider will mir das Internet bezüglich der Namensherkunft partout nicht weiterhelfen.

Dafür stosse ich auf ein Bild von Georg Emanuel Opiz. Es heisst „Der Völler“, stammt aus dem Jahr 1804 und zeigt einen beleibten Mann, der vor einem gedeckten Tisch mit halbleeren Tellern sitzt. Seine linke Hand greift nach einem Pastetchen (oder Schweinefuss?), das ihm gerade serviert wird; dazu trinkt er Wein aus einer bauchigen Flasche. Unter dem Tisch sitzt ein Hund mit Fliege und gepuderter Perücke, vor sich ein Teller mit Knochen. Hund und Herrchen haben dasselbe Grinsen auf dem Gesicht. Links im Bild stehen zwei ernst dreinblickende Herren sowie ein ernst dreinblickender Hund; sie versuchen wohl gerade, den beleibten Mann zur Arbeit zu bewegen (natürlich erfolglos). Opiz schien also zu glauben, dass das übermässige Interesse an Gaumenfreuden von wichtigeren Dingen ablenkte. „Nach katholischer Lehre lässt das [die Völlerei] den Menschen undankbar gegenüber Gott […] werden.“ Das macht schon Sinn: Wer immer zu viel von allem hat, weiss es möglicherweise nicht mehr richtig zu schätzen. Ach, und: „Die Strafe für diese Todsünde ist danach die Verbannung in die Hölle und das Erleiden ewiger Schmerzen.“ Das ist dann natürlich schon blöd.

Der Begriff „Völlerei“ lässt sich auf alles ausweiten, was masslos konsumiert wird. Sobald es nicht mehr nur um Genuss oder die Befriedigung der Bedürfnisse geht, gibt man sich der Völlerei hin. Das bedeutet: Weiteressen, obwohl man doch eigentlich schon lange satt ist. Weitertrinken einfach wegen lustig. Im Sale das vierundzwanzigste schwarze Kleid kaufen, weil man es irgendwie will. Schlussendlich ist Völlerei also ein Luxusproblem: Während grosse Teile der Weltbevölkerung um das Überleben kämpfen, weil sie nicht genug zu essen haben, sind unsere Supermarktregale immer gut gefüllt, alles ist im Überfluss vorhanden. Dass von diesen Mengen an Lebensmitteln längst nicht alles verkauft und deshalb weggeworfen wird, ist eine Tatsache, die scheinbar alle akzeptiert haben. Supermärkte achten darauf, dass es immer von allem ein bisschen zu viel hat: Erstens will man ja gerüstet sein, wenn jemand spontan vierzehn Kilo Cherry-Tomaten kaufen möchte, und zweitens spricht ein (zu) gut gefülltes Regal den Kunden eher an. Das sieht dann nämlich schöner aus und gaukelt dem Konsumenten vor, dass hier alles ganz frisch sei. Die sogenannten „Restposten“ werden meist nur verkauft, wenn der Preis sehr stark gesenkt wird. Und die nicht ganz perfekten Früchte will sowieso niemand. Gerade für Studierende ist dies natürlich auch ganz praktisch: Wer eine halbe Stunde vor Ladenschluss einkaufen geht, findet Auberginen für vierzig Rappen und Schwarzwäldertorten für 1.20 Franken.

Eine Lösung für das Problem habe ich übrigens auch nicht. Ich kann nur wiederholen, was wir eh alle schon wissen (und dann doch nur halbherzig befolgen): Grosskonzerne sind böse und sollten nicht unterstützt werden. Ich soll nur kaufen, was ich auch wirklich brauche. Secondhandkleider, -möbel und -bücher sind dope. Essensreste mischen und mit Käse überbacken geht immer.

Vermutlich ist die Völlerei heute ein grösseres Problem denn je. Zu biblischen Zeiten konnte wohl noch niemand ahnen, dass sich dereinst Leute am Black Friday bis aufs Blut bekämpfen würden, um das letzte Paar Sneakers zu ergattern. Und die Hölle wurde bestimmt auch ausgebaut seither.