Neulich folgendes Telefonat:

„Grüezi Herr Tobler, hier Frau Meier. Sind Sie gut gegen Brandstiftung und andere Feuerschäden versichert? Unsere Firma bietet interessante Versicherungslösu-‟

„Frau Meier, danke für Ihr Angebot, aber gegen Zündeleien aller Art bin ich als ehemaliger Pfadfinder gut gewappnet. Ausserdem besitze ich kaum Wertgegenstände, die es zu versichern lohnen würde.“

„Aber geschätzter Herr Tobler, haben Sie denn keine Angst, dass eine monströse Feuersbrunst alles zerstört, was Ihnen lieb und teuer ist?“

„Was mich im Moment eigentlich mehr umtreibt, ist der Vormarsch von Brandstifterinnen und Brandstiftern geistiger Natur. Seit Jahren spalten verschiedene Kräfte mit demagogischen Methoden unsere Gesellschaft und ich fühle mich komplett machtlos dagegen. Natürlich bin ich entschieden dagegen, Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder sexuellen Orientierung auseinanderzudividieren und gegeneinander auszuspielen. Es fallen mir die besten Gründe ein, wieso wir uns in der Schweiz vorurteilsfrei begegnen sollten. Wenn ich im Internet Kommentare lese, die ebensolche Vorurteile befeuern, formuliere ich in Gedanken sofort eine Replik mit exzellenten Argumenten und massiven Beleidigungen. Nichts einfacher als das!

Sobald ich aber in der Realität etwas gegen Alltagsrassismus, Homophobie oder Sexismus unternehmen soll, verfliegt meine Souveränität. Plötzlich geht es nicht mehr um anonyme Wichser. Plötzlich ist es ein Verwandter, der zwischen zwei Anekdoten aus der Firma grenzwertige Sprüche über Asylsuchende macht. Plötzlich überhöre ich beim Arbeiten, beim Pendeln oder im Ausgang bewusst abwertende Bemerkungen über Schwarze. Plötzlich machen meine Freundinnen und Freunde pauschalisierende Aussagen über alle Albaner, sämtliche Serbinnen, jeden Juden und jede Jüdin.

Und genau damit öffnen wir dem Hass die Tür zu unserem Haus. In dem Moment, in dem sich Leute wie ich aus Furcht, allenfalls unsympathisch oder besserwisserisch zu wirken, nur innerlich einnässen und die geistigen Brandstifter gewähren lassen, macht sich das Misstrauen breit. Wenn der Hetze nichts entgegengehalten wird, verschiebt sich die Grenze des Denk- und Sagbaren. Sobald harmoniesüchtige Feiglinge wie ich, die eigentlich nichts zu befürchten haben bis auf ein paar Schulterklopfer weniger an der nächsten Fasnacht, den Gesellschaftsspaltern mit beklemmten Visagen zuhören. Dann beginnen die Brandstifter und Brandstifterinnen damit, die metaphorischen Benzinfässer in Position zu bringen.

Diese schweren Geschütze, diese Benzinfässer, sind dann Volksinitiativen, die in aller Selbstverständlichkeit die Rechte von Minderheiten noch mehr beschneiden wollen, als sie es ohnehin schon sind. Diese Fässer sind Politikerinnen und Politiker, die ohne Nachkontrolle jede noch so lächerliche Falschmeldung über ausländische Straftäter twittern, solange es ihrer provokativen Agenda entspricht. Diese Fässer stehen längst bereit, wenn schon seriöse Kommentatoren und Kommentatorinnen von Asyltourismus, Abschiebeindustrie und Genderwahnsinn schreiben. Die Fässer sind die im Untergrund gelagerte Grundstimmung, die für den grossen Knall nötig ist.

Und dann, liebe Frau Meier, dann kommt der perfide Teil. Wenn die Tür für die geistigen Brandstifterinnen und Brandstifter erst einmal geöffnet ist, die Benzinfässer platziert sind, dann fehlt eigentlich nur noch jemand, der den Brandstiftern und -stifterinnen die Legitimation gibt, das ganze Gebilde tatsächlich in die Luft zu jagen. Jemand, der die sexistischen Alben kauft. Jemand, der den rassistischen Leserbrief unkommentiert abdruckt. Jemand, der menschenverachtende Gesetze anwendet, weil es halt sein Job ist. Und wir, die trotz allem Bewusstsein für die kulturelle Vielfalt unserer Schweiz eben am Ende des Tages dennoch zu einer privilegierten, homogenen Mehrheitsgesellschaft gehören, lassen uns gerne korrumpieren, solange es uns selbst nicht betrifft. Schliesslich ist es bequem und einfach, auf das weinende Mobbingopfer am Boden zu zeigen, vor allem wenn alle mitmachen. Summiert man all diese Verhaltensweisen, explodiert das Ganze und es werden tatsächlich wieder Nichtweisse gejagt, Homosexuelle bespuckt und sinkende Flüchtlingsschiffe ihrem Schicksal überlassen.

Manchmal frage ich mich, wie ich mich wohl im dritten Reich verhalten hätte. Ich bezweifle je länger je mehr, dass ich mich der allgemeinen Demagogie mutig widersetzt hätte. Bestenfalls hätte ich wohl meine Menschlichkeit zumindest in Gedanken beibehalten und den Hitlergruss nicht ganz so kraftvoll und stolz ausgeführt. Nach Kriegsende hätte ich mich bis an mein Lebensende händeringend gerechtfertigt: Ich hätte schliesslich nur aus Rücksicht auf die lockere Stimmung in der Wehrmacht und bei der Schutzstaffel keine unbequemen Gegenpositionen aussprechen wollen.

Es sollte doch nicht so schwer sein, etwas an Beliebtheit zu opfern. Und dafür mehr unangenehme Diskussionen gegen das stille Ermöglichen eines Systems, das eventuell wieder ganz Europa in Schutt und Asche legen wird, führen. Die geistigen Brandstifter und Brandstifterinnen sind eine riesige Gefahr für unsere Gesellschaft, gegen die wir alle versichert sein sollten. Aber das sind wir nur, wenn wir im täglichen Leben aktiv eingreifen, wenn wir Ausgrenzung erleben und beobachten! Oder, Frau Meier?“

Doch Frau Meier hat den Hörer schon längst aufgelegt und versucht, die nächste Brandversicherung zu verkaufen. Und ich frage mich, ob dieser feurige Monolog gegen Hass nicht doch etwas unhöflich war.

 

Bild: Gravure de l’ouvrage D. Stolcius von Stolcenberg, 1624, Viridarium chymicum, Francfort-sur-le-Main Représentation des 4 éléments. De gauche à droite : la terre, l’eau, l’air et le feu