Lieber Lo, lieber Leduc
Was ihr nicht alles erfindet in euren Songtexten: aussagekräftige Wortspiele, gekonnte Reime, fast schon legendäre Zahlenkombinationen. Wir Studierende sind auch sehr innovative Erfinderinnen und Erfinder. Beispielsweise wenn es darum geht, den Eltern beizubringen, dass die „bubi einfache“ Medienrechts-Prüfung leider Gottes doch in die Hose ging. Oder wenn im Kühlschrank – abgesehen von einem halben Liter Dosenbier, einem „Mödeli Anke“ und einer angefangenen Senftube gähnende Leere herrscht. Wir Studierende beziehungsweise angehende Journalistinnen und Journalisten erfinden noch etwas anderes, nämlich Texte. Nicht Songtexte, wie ihr beide, aber Texte für Online-Magazine, Studierendenzeitschriften oder Lokalzeitungen. Dieser hier handelt von etwas, dass niemand sehen kann, aber doch für jedes Lebewesen überlebenswichtig ist: die Luft.
Wenn das einer eurer Songtexte wäre, dann würdet ihr jetzt in breitem Berndeutsch zum Beispiel „Luftisch nur es Wort, wo mir hei erfunde“ singen. Wenn wir uns in diesem Moment an einem Festival befänden und man riefe dir, lieber Lo, das Stichwort „Luft“ zu, würdest du spontan drauflosrappen und das Publikum käme ob deinen Worten, die viel mehr sind als heisse Luft, aus dem Staunen nicht mehr raus. Ihr singt es schon richtig, „Wörter sind nur Worte, die wir erfunden haben. So wie eure Songtexte oder dieser Artikel.
Aber die Luft hat es leider nicht in eure Songtexte geschafft. Falls ihr es dennoch einmal in Erwägung ziehen solltet, einen eurer Songs diesem Thema zu widmen, hier fändet ihr vielleicht ein bisschen Inspiration. (Ansonsten dürft ihr diesen Brief getrost wie Luft behandeln.)
L-U-F-T. Luft. Vier Buchstaben, ein von uns Menschen erfundenes Wort mit weit mehr als einer Bedeutung. Eine Google-Suche zum Begriff „Luft“ ergibt binnen weniger als einer halben Sekunde circa 31 Millionen Ergebnisse. Auch Sprichwörter, die das Wort enthalten, fallen mir spontan gefühlte zwanzig ein. Aber mal von vorne: Gemäss chemischer Formel ist Luft CO2, gemäss Wikipedia-Definition „das Gasgemisch der Erdatmosphäre“, gemäss Naturgesetz das Lebenselixier der Menschheit und eines grossen Teils der Tier- und Pflanzenwelt. Doch man kann mit Luft so viel mehr machen, als sie einfach nur einzuatmen.
Als Erstes muss ich zugeben: Die Inspiration für diesen Artikel, beziehungsweise dessen Form, ist nicht einfach aus der Luft gegriffen. Gespickt habe ich beim Journalisten Max Küng, der für die Zeitschrift Das Magazinin einer eigenen Rubrik jeweils einen Brief an eine mehr oder minder berühmte Schweizer Persönlichkeit schreibt. Manchmal etwas willkürlich und zusammenhangslos. Da hab‘ ich mir gedacht, einen Brief schreiben, das will ich auch. Macht Frau heutzutage ohnehin viel zu selten.
Von Luft und Liebe allein lässt es sich bekanntlich nicht leben. Etwas, um den knurrenden Magen zu beruhigen, braucht es trotzdem. Das lässt sich kombinieren: Im Entlebuch, ganz weit hinten, gibt es eine Beiz namens Chämeriboden Bad, die die beste „Merängge“ auf der ganzen Welt macht. Wieso? Weil sie nur drei Zutaten enthält: Zucker, Luft und Liebe. Im Gegensatz zu Ottonormalverbraucher ernähren sich Frischverliebte bloss von Luft und Liebe und schlägt das Pendel um, so nimmt der Partner oder die Partnerin einem die Luft zum Atmen.
Ihr seid ja Musiker, ihr zwei. Da liegt es nahe, sich in eurer Branche nach Luft umzusehen. Tatsächlich, gibt es mindestens eine Band, die sich mit der Luft beschäftigen – und sie ist erst noch aus Bern: Patent Ochsner widmen in „21 Gramm“ mehrere Zeilen der Luft und ich muss ein weiteres Geständnis ablegen: Beim Hören von „W.Nuss vo Bümpliz“ habe ich stets das Gefühl, es gehe darin nicht um eine Person, sondern viel mehr um Luft. Oder Marihuana.
Und sonst? Wir können in die Luft starren und Luftschlösser bauen. Wir können uns in luftige Höhen begeben und uns ob der frischen Bergluft beglücken. Und dabei den Wolken zuschauen. Die entstehen übrigens durch die Kondensation von Wasser aus der Luft, genau wie Tau und Nebel.
Zum Glück erfand der Mensch das Wort und die Natur die Luft. Sonst könnten wir nicht überleben und hätten, oh Schreck, auch nichts zu schreiben. Nun, lieber Lo, lieber Leduc, wie wärs mal mit einem Song zum Thema Luft? Falls dann ein Chanson zum Thema Reisen draus wird – mir solls recht sein. Denn womit fliegen wir alljährlich in den Familien-, Freunde- oder Pärchenurlaub? Genau, mit Air France, British Airways, Ryanair. Früher mit Air Berlin und ganz früher mit Swissair. Na dann, schöne Ferien!
Mit luftigen Grüssen,
Rahel Bühler
Bild: Gravure de l’ouvrage D. Stolcius von Stolcenberg, 1624, Viridarium chymicum, Francfort-sur-le-Main Représentation des 4 éléments. De gauche à droite : la terre, l’eau, l’air et le feu