Eine Rede anlässlich des Frauenstreiks* vom 14. Juni 2019

Ich känn kei Frau wo sich no nie für ihre Körper gschämt het.
Ich känn kei Frau wo sich no nie all ihri Kurve- ihri glänzige Auge, und ihri rote Lippe wäggwünscht het.
Ich känn kei Frau wo no nie glache oder gschwige het zum gfalle.

Ich känn kei Frau wo no nie ufgrund vo ihrem Üssere kritisiert worde isch.
Ich känn kei Frau wo sich no nie weg so Kommentär gschämt het.
Und ich känn kei Frau wo sich jeh hett muässä für ihres Üssere schäme.

Ich känn kei Frau wo no nie berüährt worde isch obwohl sis nid het wellä.
Ich känn kei Frau wo denn nid denkt het: „Ich übertribs.“
Und ich känn kei Frau wos übertribe het.

Ich känn kei Frau wo nid dezue erzoge worde isch, d’Konsequenze vo ihrem Handle abzschätze.
Ich känn kei Frau wo no nie de Spruch: „Ez bis mal chli locker!“ ghört het.
Und ich känn kei Frau wo denn locker worde isch.

Ich känn kei Frau wo sich eifach so het chönä dezue entscheide sich nüm z’rasiere.
Ich känn kei Frau wo denn nid 1000 Glegeheite duregspilt, sich 1000 Gedanke gmacht und mit all ihrne Fründinne drüber gredt het.
Und ich känn kei Frau wo findt: „Bikini Zone wachse- ja du moll, das machi uh gärn.“

Ich känn kei Frau wo nid schomal s’Gfühl gha het si isch sexuell zu freizügig oder zu prüde.
Ich känn kei Frau wo denn nid gege s’einte oder s’andere Extrem akämpft het.
Und ich känn kei Frau wo hetti müässä gege sich kämpfe.

Ich känn kei Frau wo no nie Angst gha het bim ällei heilaufe.
Ich känn kei Frau wo denn nid denkt het: „Ich het mi hald andersch müässä aleggä.“
Und ich känn kei Frau wo sich het müässä andersch aleggä.

Ich känn kei Frau wo no nie mit andere Fraue vergliche worde isch.
Ich känn kei Frau wo sich denn denkt het: „Moll da chani mithebä.“
Und ich känn kei Frau wo mer chan vergliche.

Ich känn kei Frau wo sich no nie fürn rote Fleck uf de Hose gschämt het.
Ich känn kei Frau wo denn gseit het: „Ja voll isch grad Tag 1 vo minre Periode, denn hanis ebä immer mega starch so mit Chrämpf und Chlümpli und so- und ich han ja scho die extra starche Binde gno- aso die mit de Flügäli- aber mängisch nützed au die nüt.“
Und ich känn kei Frau wo sich het müässä schämä.

Ich känn kei Frau wo sich vo Afang ah unbefange het chönä selber befridigä.
Ich känn kei Frau wo sich denn nid gfröget het: „Dörfi das?“
Und ich känn kei Frau wo het müässä gfange sii.

Ich känn Fraue wo glaubed- mer müänd Powerfraue sii und zwar 24/7.
Ich känn Fraue wo glaubed- mer münd alles under ein Huet und de Huet isch eigentli es Zält bringe.

Ich känn Fraue wo sich verstelled- Ich känn Fraue wo sich verstecked- Ich känn Fraue wo stumm worde sind- Ich känn Fraue wo ushaltet- Ich känn Fraue wo verdränged- Ich känn Fraue wo sich dra gwöhnt hend- Ich känn Fraue wo Angst hend.

Und ich känn Fraue wo unglaublich muetig sind- Ich känn Fraue wo kämpfed- Ich känn Fraue wo fürenand da sind- Ich känn Fraue wo täglich andere hälfed sich z’erchänä.

Und ich erchän mich i allne Fraue- woni känn und woni nid känn.

Ich erchän die Gfühl- de Schmerz- die Scham- die Stille und die Ohmacht.
Und ich erchän drin de Stolz- die Amuet- die Wuet und die Schönheit.
Ich erchän die Chraft wiiterzgah- z’verzellä wies isch und gsi isch und nüt meh schön zredä.

Ich känn ä Frau wo mängisch gern wiider es Meitli wär.
Ich känn ä Frau wo denn findt: „Gopf ez hör doch mal uf- bisch doch öppä gnuäg alt.“
Und ich känn ä Frau wo denn seit: „ Guet denn bisch du ez no s’Meitli und ich- ich stahn d’Frau und zwar für eus beidi.“

Ich känn ä Frau wo sich mängisch viil z’männlich fühlt.
Ich känn ä Frau wo findt: „Villicht bisch hald kei richtigi Frau.“
Und ich känn ä Frau wo denn seit: „ Guet denn gsesch du ez erst ei Siite- und ich- ich blib bi dir und zeig dir di nächsti.“

Ich känn ä Frau wo sich selber nid erchänt.
Ich känn ä Frau wo findt: „Ez gsehsch es immer nonig?“
Und ich känn ä Frau wo denn seit: „Guet, denn bisch du ez no blind und ich- ich gsehn dich und mich- ich gsehn eus beidi.“

Und ich erchän mich i allne Fraue- woni känn und woni nid känn.
Und ich erchän all Fraue- woni känn und woni nid känn.

Text und Bild: Alessandra Willi

Porträt der Rednerin

Alessandra Willi ist 27 Jahre alt und würde an dieser Stelle gerne schreiben, dass sie schreibt, seit sie einen Stift halten konnte. Die Wahrheit entspricht aber eher folgendem:

Alessandra hat gar keinen Schreibtisch und deshalb auch keine vollen Schubladen und wollte lange Zeit gar nicht schreiben. Denn alles was man einmal geschrieben hat, wirkt dann unglaublich definitiv – was, wenn sie ihre Meinung ändert und sich dann gar widerspricht? Vor ungefähr drei Jahren hat sie bemerkt, dass sie sich sowieso ständig widerspricht und ob länger nur mündlich oder auch schriftlich, spielte dann plötzlich keine Rolle mehr.

Wieso Frauenstreik*?
Am 14. Juni 1991 war der letzte Frauenstreik* – ich kam erst im Dezember zur Welt. Seitdem ist in meinem Leben viel passiert und was die Gleichstellung betrifft leider eher wenig. Daher war der 14. Juni 2019 ein wichtiger Tag für mich. Ich glaube fest, dass durch das Vernetzen und Verbinden, das an diesem Tag schweizweit geschah, die Stärke und der Wille in die Gleichstellungsbewegung zurückfinden werden.

 

Schau dir zum gleichen Thema auch den Kommentar unserer Redakteurin Alea Sutter an: Jetzt geht’s erst richtig los!