Ein CO2-Gesetz für die Schweiz: Totalrevision 2020
In der Herbstsession erarbeitete der Ständerat einen neuen Vorschlag zur Revision des CO2-Gesetzes. Dies nachdem ein Entwurf des Nationalrates letzten Dezember kläglich scheiterte. Eine Debatte mit Sergio Rossi und Ivo Wallimann-Helmer.
Demonstrantinnen und Demonstranten fordern eine Steuer auf Flugtickets und ein Vorschlag vom Ständerat will dies ins neue CO2-Gesetz aufnehmen. Eine sinnvolle Massnahme?
WH: Im Allgemeinen können Steuern in einem liberalen Staat durch erhöhte Kosten für bestimmtes Verhalten einen sinnvollen Hinweis darstellen, wie wir uns klimafreundlicher verhalten können. Die Belastung der einzelnen Personen darf aber nicht so ausfallen, dass weniger finanzstarke Menschen stärker belastet sind als Besserverdienende. Im Rahmen der Flugsteuer müsste also eine Umverteilung stattfinden, um soziale Ungleichheiten auszugleichen. Trotzdem muss eine Steuer wehtun, sonst bewirkt sie nichts.
R: Dieser Vorschlag basiert auf dem Verursacherprinzip: Wer die Umwelt belastet, muss auch dafür bezahlen. Konkret wird die Steuer wahrscheinlich kaum Auswirkungen haben, abgesehen von einem Transfer im Haushaltsbudget. Ich glaube nicht, dass sie Auswirkungen auf die Nachfrage nach Flugtickets haben wird oder unsere Mobilität nachhaltig verändern wird. Die Massnahme ist ein Wassertropfen im Meer und bleibt ein symbolischer Akt, um zu zeigen, dass wir besorgt um unsere Umwelt sind.
Warum fordern dann viele Demonstrantinnen und Demonstranten die Flugsteuer?
Ri: Die Massnahme ist scheinbar wirksam, unkompliziert und in ihrer Umsetzung gerecht. Doch wie auch bei der Mehrwertsteuer würde eine Abgabe auf Flugtickets nicht alle in gleicher Weise treffen, sondern disproportional auf der Mittelschicht lasten. Wirksam ist die Steuer wahrscheinlich auch nicht, schliesslich trennen sich viele Raucherinnen und Raucher auch nicht von ihren Zigaretten, nur weil eine Steuer darauf erhoben wird. Ausserdem haben hohe Preise haben nicht immer eine sinkende Nachfrage zur Folge, dies ist zum Beispiel bei Luxusgütern der Fall.
WH: Die Flugsteuer ist eine Massnahme, die sich sehr bildlich verkaufen lässt. Dabei vergisst man andere Bereiche der Klimapolitik wie Anpassungsmassahmen oder die technische Manipulation des Klimas, die genauso wichtig sind. Grundsätzlich ist jeder Schritt in Richtung Emissionsreduktion ein Schritt in die richtige Richtung. Ich denke, dass eine Flugsteuer auch dann Auswirkungen auf unsere Emissionen haben wird, wenn sie nicht allzu hoch angesetzt ist. Wenn sie gegenüber der Bevölkerung dementsprechend kommuniziert wird, dann trägt sie zumindest zur Bewusstseinsbildung bei und ist kein blosser PR-Gag.
Wie schon von Ihnen erwähnt, Herr Rossi, basiert das CO2-Gesetz 2020 auf dem Verursacherprinzip. Was halten Sie davon?
R: Es ist ein schlechtes Prinzip. Implizit gibt es Menschen, deren Verhalten umweltschädlich ist, das Recht, nichts daran zu ändern, sofern sie es sich leisten können. Ein Beispiel aus Frankreich illustriert dies gut: Eine neue Regelung in Kinderkrippen hat Eltern zu einem festgelegten Bussgeld verpflichtet, sofern sie ihr Kind nicht pünktlich abholen. Daraufhin stieg die Anzahl der Eltern, die ihr Kind zu spät abgeholt haben. Wenn wir das Verursacherprinzip auf die Umwelt anwenden, dann kommerzialisieren wir die Natur. Unser Motto sollte stattdessen lauten: Wir verschmutzen die Umwelt nicht. Punkt. Dafür müssen wir unsere Einstellung zur Natur grundlegend ändern. Das ist allerdings schwierig, denn Besitz ist zum Prestigesymbol geworden. Dass die Auswirkungen des Klimawandels in unserer Region noch kaum merkbar sind, erschwert ein verändertes Bewusstsein gegenüber der Umwelt zusätzlich.
WH: Wenn es um unsere Emissionen geht, ist das Verursacherprinzip ein plausibles Gerechtigkeitsprinzip. Gleichzeitig muss die Politik zu Emissionsreduktionen aber auch an andere Gerechtigkeitsfragen gekoppelt bleiben. Wir dürfen niemanden mit Steuern belasten, die oder der unterhalb des Existenzminimums lebt. Ein gutes CO2-Gesetz berücksichtigt also auch Fragen wie soziale Ungerechtigkeiten und Umverteilung.
Die Wahlen fanden am 20. Oktober statt, kurz nach dem Gesetzesentwurf vom Ständerat im September. Inwiefern beeinflusste dies den Gesetzesentwurf?
WH: Die Frage ist, wie nachhaltig die Klimaschutz-Parolen die zukünftige Parteipolitik beeinflussen werden. Die Präsidentin der FDP bekannte sich kürzlich in einem Interview klar zum Umweltschutz. Das musste die Partei vor den Wahlen machen; ich hoffe, diese Aussage gilt auch noch in zwei Jahren. Spätestens dann müssen die Parteien vor ihre Wähler zu stehen und zu sagen: Ihr habt uns mit diesem Programm gewählt, jetzt müsst ihr auch bereit sein, die Kosten für den Umweltschutz zu tragen.
R: Je näher wir den Wahlen kamen, desto stärker versuchten einige Parteien, sich Themen wie den Umweltschutz zunutze zu machen. Vor allem die FDP hat eine grüne Wende hingelegt, wohl hauptsächlich aus Marketinggründen. Das Problem dabei ist, dass falsche Massnahmen in Bezug auf den Klimawandel auch Auswirkungen auf die nächsten Generationen haben. Sind aber Politiker und Politikerinnen einmal im Ruhestand, so müssen sie sich vor niemandem mehr rechtfertigen.
Sergio Rossi: Sergio Rossi ist Professor für Makroökonomie, Geldtheorie und Geldpolitik an der Universität Freiburg. Er ist überzeugt davon, dass die Wirtschaft im Dienste der menschlichen Bedürfnisse stehen soll und nicht umgekehrt. Zur Umwelt sollen wir Sorge tragen, weil wir sie intakt an unsere Nachfahren weitergeben müsssen.