Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie spricht mit Spectrum über das Schreiben, Rassismus und ihren Widerwillen, als Aktivistin bezeichnet zu werden.

Ihre Stimme ist sanft und doch sehr bestimmt. Millionen von Menschen hat sie mit ihren Geschichten und Reden erreicht, ihre Bücher sind fester Bestandteil des Syllabus vieler Englischstudiengänge. Die Rede ist von Chimamanda Ngozi Adichie. Am 15. November dieses Jahres erhielt sie für ihr Werk einen Ehrendoktortitel der Universität Freiburg verliehen und stellte sich am selben Abend in einer bis auf den letzten Platz besetzten Aula Magna den Fragen des Publikums.

Unfreiwillige Aktivistin

Bekannt wurde die Autorin unter anderem durch ihren Auftritt im Video zu Beyoncés Song «Flawless» und zwei virale TED-Talks. Sie sehe sich aber nicht als Aktivistin, sondern als Geschichtenerzählerin: «Echte Aktivistinnen und Aktivisten sind ernste Menschen. Ich bin Schriftstellerin und schreibe einfach über Dinge, die mir wichtig sind.» Sie habe dementsprechend auch nie geplant, zu einer feministischen Ikone zu werden. «Plötzlich dachten die Leute, ich hätte alle Antworten zum Thema Feminismus und für gefühlte zwei Tage dachte ich das vielleicht auch», sagt Adichie mit einem verschmitzten Lächeln. Mitten in Diskussionen über Feminismus denke sie manchmal, dass sie lieber nach Hause gehen würde, um zu schreiben. Die Reaktionen auf ihren TED-Talk mit dem Titel «We Should All Be Feminists» hätten ihr aber gezeigt, dass sie wenigstens zu einem Teil mithelfen könne, Feminismus zugänglicher zu machen – auch ohne eine «klassische» Aktivistin zu sein.

Geboren, um zu schreiben

 «Ich bin überzeugt, dass meine Vorfahren mich auf die Welt gebracht haben, um Geschichten zu erzählen», sagt Chimamanda Ngozi Adichie. So habe sie bereits im Alter von vier Jahren angefangen, zu schreiben. «Wenn der Schreibprozess gut läuft, dann ist es, als ob ich in eine andere Welt transportiert würde und ich fühle mich tief glücklich.» Neben ihrer Tätigkeit als Autorin leitet Adichie auch Schreibworkshops für junge Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Sie möchte ihnen damit das bieten, was sie selbst nicht hatte: eine Community. «Für junge kreative Menschen kann es unglaublich bestätigend sein, sich mit anderen Leuten auszutauschen, die den Traum vom Autoren- oder Autorinnendasein nicht als verrückt erachten.»

Zwar bezeichnet sich Adichie selbst nicht als Aktivistin, doch die Schauplätze ihrer Geschichten widerspiegeln gesellschaftliche Brennpunkte. Das zeigt sich auch in ihren Workshops: Dort lehrt sie nicht nur das Handwerk des Schreibens, sondern spricht auch über Politik, Soziologie und Psychologie. Es sei wichtig, ehrlich mit sich selbst zu sein und die Höhen und Tiefen des Menschseins zu kennen. «Man muss sich selbst eingestehen, dass man kein perfekter Mensch ist. Ansonsten schreibt man nur Unsinn».

Verwurzelte Literatur 

«Geschichtenerzählen ist in unseren politischen, sozialen und emotionalen Realitäten verwurzelt», sagt Chimamanda Ngozi Adichie. So schreibt sie in ihren Romanen und Kurzgeschichten auch über anspruchsvolle Themen wie Rassismus und Sexismus und taucht in die Geschichte(n) Nigerias ein. «Wenn es keinen Rassismus gäbe, müsste ich nicht über die Ethnizität sprechen.» Adichie kritisiert aber die gegenwärtige Definition von Rassismus, weil diese zu extrem sei. «Ein Rassist oder eine Rassistin ist kein Teufel mit Hörnern.» Es bedeute lediglich, dass man sich an Strukturen beteilige, die Menschen bestimmter Ethnizitäten unterdrücken.

Geschichten gegen Stereotypen

Sowohl Rassismus wie auch Sexismus beruhen auf Stereotypen, denen Chimamanda Ngozi Adichie mit ihren Geschichten den Kampf angesagt hat, als ganz persönlichen Beitrag für die Gesellschaft, die sie sich wünscht. «Stereotypen sind nicht problematisch, weil sie falsch sind, sondern weil sie nur einen kleinen Teil der Geschichten erzählen.» Adichie plädiert deshalb dafür, dass wir Geschichten über die Welt und Menschen lesen sollen, denn «Literatur ist vielleicht der beste Weg, um Menschen zu humanisieren.» Diese sei nämlich an der Motivation von Individuen interessiert und zwinge uns dazu, über Stereotypen hinauszuschauen.

Text: Selina Grossrieder

Fotos: Thomas Delley