Als Resonanz bezeichnet man das Mitschwingen eines Klangkörpers als Reaktion auf eine eingegangene Vibration. Für den Zeitsoziologen Hartmut Rosa wird sie zur Metapher unserer erfüllendsten Weltbeziehung, wenn wir diese mit leuchtenden Augen betrachten. Doch allzu oft erfahren wir nur ihr Gegenteil: Entfremdung. Spectrum hat Hartmut Rosa in Freiburg im Breisgau getroffen, um sich erklären zu lassen, woran das liegt.

 

Herr Rosa, wie haben Sie ihr eigenes Studium erlebt, eher resonant oder als Hort der Entfremdung?

 Ich glaube, man neigt dazu, die Dinge in der Retrospektive zu verklären. Ich kann mich an einige öde Seminare erinnern und auch daran, dass ich dachte, die wirklichen interessanten Dinge neben den Seminaren zu lesen oder während der Hausarbeiten.

Glauben Sie, dass „stabiles Wissen“ heutzutage keine Legitimation mehr hat, anders als noch zu Zeiten der Entstehung des Humboldt’schen Bildungsideals?

 Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man hat, was ich Weltwissen nenne, also ein stabiles Wissen bezüglich der eigenen Identität, den Gründen für das eigene Handeln und um den richtigen Umgang mit Neuerungen. Aber es ist nicht das, was Sie an der Uni lernen.

Sind die Dinge, zu denen wir eine Resonanz-Beziehung aufbauen können, gesellschaftlich vorgeformt oder eher universeller Natur?

Ich glaube, es gibt da ein Mischverhältnis. Resonanzbeziehungen haben auch immer eine leibliche Seite, die von Kultur unabhängig sein sollte. Andererseits sind unsere zentralen Resonanzsphären, Familie, Liebe, Arbeit, nicht einfach naturgegeben. Weiter müssen diese Dinge für eine erfolgreiche Resonanzbeziehung mit starken Wertungen aufgeladen werden. Wir müssen lernen, dass diese Dinge an sich wertvoll sind und das tun wir nur in kulturellen Kontexten.

Was ist mit dem roten Ferrari, der vor allem für junge Männer ein grosses Resonanzversprechen zu bergen scheint? Kann dieses eingelöst werden?

Ich versuche, Resonanzsimulation von echter Resonanz abzugrenzen. Man ist zwar beeindruckt von etwas, doch es fehlt das transformierende Element, das so fundamental für Resonanzbeziehungen ist. Meine These bezüglich solcher Konsumgüter lautet, dass es eine Kommodifizierung von Resonanzversprechen gibt: Kaufe dir dieses Ding und du wirst in Resonanz zur Welt treten. Damit wird das Prinzip der Unverfügbarkeit von Resonanz unterlaufen. Es ist nun einmal weder steuer- noch vorhersehbar, womit und wann wir in Resonanz treten. Das birgt Entfremdungsgefahr.

Trotzdem scheinen solche Resonanzversprechen auch in einer motivierenden Art und Weise wirksam zu sein. Lernen wir denn nicht, dass das, was uns versprochen wurde, nicht eingelöst wurde und ändern dementsprechend unser Verhalten?

Ich glaube, weil Resonanz so unverfügbar ist, ist das so schwierig. Eine gute Analogie ist das Einschlafen: Je mehr man es versucht und erzwingen will, desto weniger klappt es. Ähnlich ist es mit der Resonanz. Die Leute sehnen sich nach ihr, aber es gibt keinen direkten Weg zu ihr. Und das verführt uns oft dazu, an solche Versprechen zu glauben. Ich denke aber, dass wir hier im Westen die Resonanzqualität von Objekten systematisch überwerten. Sie finden sicher auch empirische Hinweise in der Glücksforschung darauf. Seit Jahrzehnten glauben die Leute, dass sie, wenn sie sich dieses oder jenes kaufen, ein glücklicheres Leben haben werden und das stimmt einfach nicht.

Gibt es Praktiken und Verhaltensweisen, die das Auftreten von Resonanzerlebnissen erhöhen können?

Eigentlich würde ich sagen, nein. Aber was man tun kann, und die Achtsamkeitsbewegung hat viel damit zu tun, ist, die Welt nicht als Angriffsfläche zu erfahren, sondern als lebendiges Gegenüber. Sie können also die dispositionale Seite von Resonanz beeinflussen und versuchen, sich ihr gegenüber anrufbar und offen zu verhalten. Resonanz erzwingen oder kontrollieren können Sie allerdings nicht.

Glauben Sie, dass das Potenzial für Resonanzerfahrungen ungleich verteilt ist?

Ja, es gibt sicherlich einen deutlichen Klassen-Bias bezüglich der klassischen Resonanzsphären unserer Gesellschaft: Wandern, im Chor singen, an Konzerte gehen – all das sind eher bildungsbürgerliche Aktivitäten, für die es erstens das Geld braucht und zweitens auch eine bestimmte Art der Weltbeziehung. Wenn es wirklich so ist, dass unsere Bildungsinstitutionen und -prozesse die Resonanzfähigkeit für einen bestimmten Bevölkerungsteil für immer verschütten, dann ist das schon ein gravierendes Problem. Ich glaube, dass das Bestehen dieser Problematik auch soziale Ungleichheit erklären könnte. Um sich beispielsweise Wissen anzueignen, brauchen Sie eine bestimmte Begeisterung, ein intrinsisches Interesse für die Sache.

Waren die Menschen früher resonanzfähiger?

Das würde ich ganz bestimmt nicht sagen. Manchmal klinge ich zwar so, aber ich denke mir die kritische Theorie der Soziologie als eine Kritik der Resonanzverhältnisse. Und so eine Kritik können und sollte man zu allen Zeiten üben.

Selbst wenn das Bildungsbürgertum am resonanzfähigsten sein sollte, ist es nicht gerade auch diese Schicht, die strukturell am meisten durch „Resonanzkiller“ wie Zeitnot und Überarbeitung bedroht ist?

Nein, das ist sicherlich grundfalsch. Schon bei der Erscheinung meines Beschleunigungsbuchs haben die Leute gesagt, dass ich vielleicht Probleme von Managern und Professorinnen beschreibe, aber dass der Grossteil der Gesellschaft davon unbehelligt sei. Dabei stehen auch Fernfahrer oder Bäckereifachverkäuferinnen unter einem enormen Zeitdruck, wenn sie in knappen Fristen Pakete verteilen oder in einem Stehcafé gleichzeitig die Theke und die Tische bedienen müssen. Leute, die prekarisiert sind, haben hingegen ein anderes Zeitproblem. Wenn sie immer nur in Zeithorizonten von wenigen Monaten planen können, weil sie nicht wissen, ob sie ihre Arbeit behalten können oder nicht, haben sie keine Chance, sich Welt anzuverwandeln. Sollten sie gar keine Arbeit haben, haben sie vielleicht kein Zeitproblem, aber dafür verschliesst sich die Möglichkeit, sich selbstwirksam in die Gesellschaft einzubringen. Da Arbeit eine fundamentale Resonanzsphäre ist, birgt auch diese Situation ein enormes Entfremdungspotenzial.

Sie betonen den strukturellen Charakter des Steigerungsdrucks. Gibt es auch eine individuelle Komponente? Wieso haben wir keine Musse mehr?

Ich glaube, es liegt daran, dass die To-Do Listen explodieren. Daran sind wir nicht selbst Schuld, sondern es ist die Anzahl an gesellschaftlich legitimen Erwartungen, die gestiegen ist. Legitime Erwartungen sind Erwartungen, die irgendjemand in einem Kontext an Sie geltend macht. Mit Fragen wie beispielsweise: Haben Sie schon einmal einen längeren Auslandsaufenthalt gemacht? Sprechen Sie Latein? Machen Sie regelmässig Sport, zehntausend Schritte am Tag, Yoga? Bei all diesen Fragen haben Sie ein schlechtes Gewissen und Sie haben somit für jeden Moment eigentlich eine kleine Aufgabe – E-Mails, Sport-Übungen, News – der Sie nachgehen können, um diesen imaginären Schuldenberg zu verkleinern.

Können Sie noch einmal den Zusammenhang zwischen Zeitlichkeit und Resonanz erläutern? Sie glauben, für eine Resonanzbeziehung brauche es viel Zeit…

 …oder zumindest eine Kontinuität in den zeitlichen Verhältnissen. Wenn jemand beispielsweise sagt, er sei mit Beethoven fertig, nachdem er einmal seine Werke durchgehört hat, dann ist das einfach keine Resonanzachse für ihn.

Es gibt auch Gegenbewegungen zu den von Ihnen beschriebenen Phänomenen. Ist der neue Trend des Minimalismus Ihrer Meinung nach nur ein scheinbares Unterlaufen des Steigerungszwanges?

Als „alter Sack“ möchte ich mich zuallererst davor hüten, allen neuen Bewegungen ihr Potential abzusprechen. Den Minimalismus halte ich in erster Linie für eine Art Protestbewegung zumindest gegen den kommodifizierten Steigerungszwang. Ich glaube aber sowieso, dass wir an einem Punkt angekommen sind, an dem es nicht mehr die Objekte sind, die Weltoptionen verfügbar machen sollen, die Bücher und CDs, die in meinem Haus rumstehen, oder das Auto, das davor parkt. Ich brauche nur noch die Zugänge. Die Objekte sind ein Klotz am Bein und teuer im Unterhalt und in der Anschaffung. Durch das Rein- und Rauszappen durch die Zugänge wird, der Steigerungslogik konform, viel mehr Welt verfügbar gemacht.

Man ist also noch leichter, um noch schneller voranzukommen?

 Ja genau, denn die moderne Flexibilität besteht darin, dass man schnell vom Flugzeug ins Taxi, in die Strassenbahn und weiter hüpfen kann. Das Privatauto ist unter diesen Gesichtspunkten nur noch wenig attraktiv.

Wie beschleunigt ist denn Ihr Leben? Was sind Ihre persönlichen Resonanzoasen?

Ich habe sicherlich kein entschleunigtes Leben als Professor an zwei Universitäten mit zusätzlich anfallenden Direktionsaufgaben. Ich möchte deswegen auch auf keinen Fall als Guru oder Ratgeber auftreten, der behauptet, er habe alle Probleme gelöst. Aber der Schwarzwald hier in Freiburg ist sicherlich eine Resonanzoase für mich. Ich halte auch sonst sehr eigensinnig an bestimmten Sachen fest, die ich als Resonanzquellen empfinde, wie beispielsweise an meinem Heimatdorf, wo ich eine Sternwarte habe und Orgel spiele in einer kleinen Kirchengemeinde. Manche Leute raten mir dann: „Ach, lass’ das doch, diese Zeit kannst du anderswo viel nützlicher investieren.“

Auch wenn Sie nicht als Guru gesehen werden möchten, hätten Sie Ratschläge für Studierende, wie diese mit dem Steigerungsdruck und der Zeitnot umgehen sollten?

Meinen Studierenden sage ich immer, dass sie sich die Universität anverwandeln müssen –  sie nicht als eine Dienstleistungsorganisation betrachten, wo man ein Recht auf bestimmte Dinge hat oder wo man bestimmte Erwartungen erfüllen muss. Sondern sie zur Lebenswelt machen, einschliesslich der baulichen Gestaltung des Unterrichts. Und so ist es auch mit allem, was man stofflich lernt. Nicht versuchen, alles richtig zu wissen und richtig zu können, sondern so verinnerlichen und anverwandeln, dass man kreativ etwas damit tun kann. Weiter nicht versuchen, nichts zu verpassen. Das gilt fürs Lernen wie für alles andere. Man verpasst immer etwas, man hat nun einmal nicht alles unter Kontrolle. So ist halt das Leben. Und ich glaube, das zu akzeptieren, ist die richtige Art des Lebens in der Spätmoderne.

Also priorisieren?

Nein, nein, diese ganzen Zeitratgeber sagen das immer, man solle Prioritäten setzen. Wählen, was das Wichtigste sei und dann sei alles gut. Das regt mich immer fürchterlich auf, denn das geht gar nicht. Manches ist persönlich wichtig, manches ist Ihren Dozierenden wichtig, manches ist im Hinblick auf die Zukunft wichtig, manches im Hinblick auf morgen. Man braucht einen flexiblen Sinn dafür, was gerade wichtig ist, aber man kann das nicht durchtakten und komplett durchplanen. Das ist Verdinglichung des Lebens. Manchmal ist das Bauchgefühl wirklich wichtiger als der Zeitplan. (Zögert) Das ist natürlich ein gefährlicher Rat, wenn Sie jetzt durchfallen, werde ich verklagt (lacht).

Um abzuschliessen: Hat Ihre Resonanztheorie auch ein politisch-utopisches Potential? Kann Ihre Theorie der Politik neuen Zündstoff geben nach der postmodernen Ernüchterung, in der wir uns immer noch befinden?

Ich glaube, Zündstoff haben wir schon genug, wenn wir uns die Welt so anschauen. Aber meine Theorie kann vielleicht einen Ausweg aus der jetzigen Situation bieten. Ich glaube nämlich, man kann Demokratie, verstanden nach der Konzeption von Hannah Arendt, als ein Instrument zur Anverwandlung von Welt begreifen. Denn die Welt, in der wir hier leben, ist nicht nur die institutionelle Welt, die uns tot gegenübersteht und Forderungen an uns stellt. Wir können zu ihr in eine lebendige Antwortbeziehung treten. Meine These ist, dass Demokratie nur funktioniert, wenn wir in der Disposition des Hörens und Antwortens sind. Wenn wir hören, dass da andere Stimmen sind, andere Menschen, die anderes wollen, und wenn wir bereit sind, zu antworten. Ich glaube. heutzutage haben wir das Problem, dass genau das zum Erliegen gekommen ist, dass die anderen jeweils die Deppen, Vaterlandsverräterinnen und -verräter, Rassistinnen oder Faschisten sind, die still sein sollen. Das ist eigentlich ein Indiz für ein prekäres Weltverhältnis, genauso wie unser Bauen von Zäunen und Mauern. Wir glauben nicht mehr, dass wir auch antworten können, wenn etwas Neues kommt, wie die Minarette in der Schweiz. Wir fühlen uns dann bedroht und blocken ab. Ich glaube, das ist unser Grundproblem des Scheiterns von Demokratie.

Text: Timothy Klaffke

Fotocredit: Bundesfraktion Bündnis 90/Die Grünen