Während obdachlose Menschen Schwierigkeiten haben sich in der Gesellschaft zu integrieren, verweilen andere zu Hause. Die Coronakrise bringt nicht nur die soziale Integration von Obdachlosen an die Grenzen, sondern auch das Einhalten der Sicherheitsmassnahmen.
«Durch die Coronakrise ist die soziale Integration obdachloser Menschen noch viel mehr gefährdet als vorher», sagt Julie Bernet. Sie ist Studentin an der Universität Freiburg und macht zurzeit ein Praktikum bei La Cloche in Paris. La Cloche ist eine französische Organisation, die sich für eine Reintegration von Obdachlosen in die Gesellschaft engagiert und Anwohner*innen auf ihre Situation sensibilisiert. Dafür arbeitet die Organisation mit Restaurants, Friseursalons, Wäschereien und anderen Dienstleistungsstellen zusammen. Diese stellen Gutscheine für die Obdachlosen aus oder bieten ihnen kostenlose Dienstleistungen an. Doch aufgrund des Coronavirus sind diese Geschäfte jetzt geschlossen. Es gibt keine Restaurants, Wäschereien oder Kaffees mehr, in denen die obdachlosen Menschen mit der restlichen Gesellschaft verweilen und sich integrieren können.
«Sie fühlen sich durchsichtig.»
Bereits in normalen Zeiten bewegen sich Obdachlose am Rande der Gesellschaft. Die Coronakrise verstärkt dies zusätzlich. So schliessen Städte beispielsweise öffentliche Toiletten, da es sich nicht lohnt, diese für wenige Menschen offen zu lassen. Gleichzeitig werden Turnhallen als Schlafstätten für obdachlose Menschen umfunktioniert. Das sei aber ziemlich kontraproduktiv betont Bernet: «Es macht keinen Sinn, fünfzig Menschen in einer Turnhalle übernachten zu lassen, in der man mit einem Abstand von einem Meter zur nächsten Person schläft.» Frankreich schützt den grössten Teil der Gesellschaft mit einer Ausgangssperre vor dem Virus, doch für Menschen ohne Zuhause sieht der Schutz anders aus – es gibt keinen. Wenn alle Betriebe und öffentlichen Einrichtungen in der Stadt geschlossen sind, können sie sich die Hände nicht oft waschen. Wenn sie krank sind, dann können sie sich nicht einfach zuhause isolieren und andere vor der Erkrankung schützen. Für diese Menschen gibt es also kaum Schutz oder Massnahmen. Sie können die Hilfsangebote nicht wahrnehmen und werden von der Regierung vergessen. Die Integration in die Gesellschaft ist fast unmöglich ohne Menschen auf der Strasse. «Sie fühlen sich durchsichtig und alleine gelassen», so Bernet.
«Obdachloser wird nach Hause geschickt.»
Durch das Virus muss sich La Cloche reorganisieren. Sie sensibilisieren Anwohner*innen vermehrt für die Wichtigkeit, Obdachlose gerade in der Krisenzeit zu integrieren, ihnen Mut zu machen und Vertrauen zu schenken. Ausserdem stehen freiwillige Helfer*innen obdachlosen Menschen für Telefongespräche zur Verfügung. «Es wird oft vergessen, wie wichtig es sein kann, einfach mit jemanden zu reden», sagt Bernet. Die Integration der Obdachlosen in die Gesellschaft sei mit dem neuen Virus sehr viel schwieriger geworden. La Cloche setzt sich weiterhin für die Integration obdachloser Menschen ein, musste jedoch alle Events und Programme einstellen. Der persönliche Kontakt ist Teil der Integration und wird jetzt per Telefon durchgeführt. Julie Bernet erzählt, dass nicht selten die Obdachlosen am Telefon fragen, was der Grund sei, dass es keine Menschen auf der Strasse gibt. Auch ist die Erkrankung selbst eine Gefahr für obdachlose Menschen, so Bernet: «Ein obdachloser Mann, den ich kenne, litt unter den typischen Symptomen von Covid-19. Als er ins Krankenhaus ging, wurde er aber wieder nach Hause geschickt, da seine Symptome nicht lebensbedrohlich waren. Der Mann wohnte in einem Zelt auf der Strasse, daher boten sie ihm an, in einer Turnhalle zu schlafen.» Das sei völlig absurd und verantwortungslos. Jemand mit Covid-19 Symptomen sollte nicht in einer Turnhalle mit anderen schlafen und sich die Toiletten teilen müssen. Es gäbe aber auch positive Aspekte. Beispielsweise werden online Workshops organisiert, um den Anwohner*innen zu zeigen, wie Menschen in prekären Situationen trotz der Coronakrise geholfen werden kann. «Wir versuchen unsere Arbeit so gut wie möglich weiter zu praktizieren. Technisch gesehen sind wir aber arbeitslos», sagt Bernet.
Freiburg verschärft die Massnahmen
Das Virus löste auch in der Schweiz grosse Veränderungen aus, da der grösste Teil der öffentlichen Organisationen geschlossen bleiben. Auf der Strasse sind kaum Menschen zu sehen. Die Ausnahme sind diejenigen, die kein zu Hause haben. La Tuile ist eine Notschlafstelle in Freiburg, die dreissig Schlafplätze für obdachlose Menschen anbietet. Auch während der Coronakrise bleibt sie offen. Jedoch gelten stärkere Sicherheitsmassnahmen. So darf nur noch eine Person pro Zimmer dort übernachten. Folglich gibt es in der Notschlafstelle viel weniger Platz als vor der Krise. Eric Mullener, Direktor von der Notschlafstelle, sagt gegenüber SRF, dass Hotelzimmer als Zwischenlösung gemietet werden. So wollen sie sicherstellen, dass den Obdachlosen in Freiburg auch mit den Sicherheitsvorschriften genügend Schlafplätze zur Verfügung stehen. Die öffentlichen Toiletten bleiben in Freiburg weiterhin geöffnet. Somit haben Menschen ohne Dach über dem Kopf, die Möglichkeit, sich regelmässig Hände und Gesicht zu waschen.