Mit «Frieden» lanciert SRF eine aufwendige Historienserie. Der Produktion gelingt es, komplexe Zusammenhänge zu beleuchten und wunde Punkte der Schweizer Geschichte anzusprechen.

Als am 8. Mai 1945 in Europa die Waffen schwiegen, strömten die Menschen auf die Strassen und wollten feiern. Obwohl der halbe Kontinent in Schutt und Asche lag, hatten sie allen Grund dazu: Sie hatten überlebt. Auch in der Schweiz schien die Erleichterung gross. Das Intro von «Frieden» zeigt Menschen, die sich an den Händen halten und in langen Schlangen über Strassen und Plätze schaukeln. Kräftige Männer läuten euphorisch die Kirchenglocken und Schweizer Fahnen werden stolz über den Köpfen geschwenkt. Ein Ausruf der Erleichterung. Doch war es nur Erleichterung?

Das Intro liefert einen Hinweis. Eine Banknote wird zu einer Friedenstaube gefaltet. Mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands war die Gefahr einer Invasion zwar endgültig gebannt, doch die Schweiz verlor mit dem verbrecherischen NS-Regime auch ihren wichtigsten Handelspartner. Fünf Jahre lang haben viele mit deutschen Devisen gutes Geld verdient. Nun etablierte sich in Europa ein neues Machtgefüge.

«Frieden» beleuchtet ein wenig ruhmreiches Kapitel der Schweizer Geschichte auf unterhaltende Art und Weise.

Die Alliierten haben ihren Sieg teuer bezahlt. Mit Geld, Ressourcen und vor allem mit dem Blut von Millionen. Währenddessen blieb die Schweiz mit ihrer Strategie von weitgehender Anpassung und verhaltenem Widerstand nahezu unversehrt. Als sich Westeuropa auf den Strassen in den Armen lag, war die Schweiz politisch isoliert wie nie zuvor. Erst als die Niederlage Deutschlands bereits unabänderlich feststand, brach die Schweiz mit ihrer Kuschelpolitik mit dem NS-Staat. Entsprechend fielen die Reaktionen der Siegermächte aus. Ein fiktiver Nationalrat bringt es in der Serie auf den Punkt: «Für die Schweiz beginnt der Krieg erst jetzt.»

 Faktuale Fiktion

Die Schweiz tut sich bis heute schwer mit ihrer Geschichte während der NS-Diktatur. Die eigene Schuld, der schonungslose Pragmatismus wurden lange von einem übersteigerten Hurra-Patriotismus überdeckt. Die Neutralität, die Armee, vereinzelt der Hl. Bruder Klaus selbst, habe das Land vor den deutschen Panzern gerettet. So wirkte es lange in den Köpfen nach. Auf internationalen Druck in den 1990er Jahren setzte der Bundesrat die sogenannte «Bergier-Komission» ein. Sie sollte klären, inwieweit die Schweiz mit Nazideutschland verflochten gewesen war. Schon 1970 hatte sich der Historiker Edgar Bonjour mit der schweizerischen Aussenpolitik während des Nationalsozialismus beschäftigt. Was Historiker*innen schon vor Jahrzehnten publik machten, bereitet «Frieden» nun für eine breite Öffentlichkeit auf. Der Inhalt ist nicht neu. Doch der Erfolg der Produktion zeigt: Die Botschaft ist noch lange nicht im kollektiven Gedächtnis angekommen. Beerdigt die Serie den Mythos der makellosen Geschichte nun endgültig?

Egon Leutenegger (stehend) sucht in feinen Zürcher Salons nach Kriegsverbrechern.

Effektvolle Kameraeinstellungen, abwechslungsreiche Dialoge mit altväterischem Mundart-Einschlag und detailgetreue Requisiten. «Frieden» ist keine schwerfällige Strafpredigt an die eigene Vergangenheit, sondern ein mitreissendes Fernseherlebnis. Die eigentliche Qualität der Serie liegt jedoch in ihrem Plot. Anhand weniger und eng verbandelter Protagonisten gelingt es, die wesentlichen Punkte aus der Geschichte herauszuarbeiten, den Finger in die Wunde zu legen.

So stehen die ungleichen Brüder Leutenegger für Mitschuld an der Shoa und Vertuschung von Blutgeld. Egon Leutenegger stand während des Krieges an der Grenze. Er verkörpert damit die Aktivdienstgeneration. Monatelang standen Soldaten an den Grenzen. Einen Erwerbsersatz gab es nicht. Ihre Familien lebten oft von der Hand in den Mund. In der Nachkriegszeit wurde die Aktivdienstgeneration zu Schweizer Helden des 2. Weltkriegs stilisiert. Egon Leutenegger sieht sich selbst allerdings nicht als Held. Er musste jüdische Flüchtlinge an der Grenze abweisen und wird nun von tiefen Schuldgefühlen geplagt. Deshalb will er nun Kriegsverbrecher jagen, die sich in der Schweiz verstecken. Er wird feststellen: Sie tun es mit einigem Erfolg und erhalten die nötige Schützenhilfe.

Die Aktivdienstgeneration genoss auch nach dem Krieg hohes Ansehen. Ihr entbehrungsreicher Einsatz täuschte über die Verstrickungen der politischen Schweiz mit dem Nazi-Regime hinweg.

Sein Bruder Johann scheint hingegen das grosse Los gezogen zu haben. Die Heirat mit der wohlhabenden Fabrikantentochter Klara Tobler bringt ihm nicht nur eine Textilfabrik ein, sondern bedeutet den gesellschaftlichen Aufstieg. Als die Firma jedoch in Schieflage gerät, bietet sich ein unverhoffter Ausweg. Über den Zürcher Anwalt Carl Frei kommt er in Kontakt mit einem deutschen Financier und einem gefragten Chemiker. Beide suchen in der Schweiz Zuflucht vor der «Siegerjustiz» der Alliierten. Johann wird sich entscheiden müssen, was er wissen will und wo er wegschaut; zum Wohle der Firma und zur eigenen Profitsteigerung.

 «Ihr Schweizer seid eben auch nicht anders.»

Doch nicht nur Täter fanden in der Schweiz Zuflucht, sondern auch Opfer. In der Serie werden Jungen aus dem KZ-Buchenwald zur Erholung in die Schweiz gebracht. Klara Tobler-Leutenegger, die Frau des Fabrikerben kümmert sich um die traumatisierten Kinder. Die Schrecken der Shoa machen sie betroffen. Bald muss sie allerdings feststellen, dass nicht alle ihre Mitbürger*innen Solidarität gegenüber den überlebenden Juden empfinden. Sie sollen so bald wie möglich weiterreisen. Doch wohin? Antisemitismus war den Schweizer*innen keineswegs so fremd, wie die deutschen Weltherrschaftsfantasien. Ernüchterung macht sich zudem breit, als klar wird, dass die KZ-Überlebenden ein Prestigeprojekt sind. Die Schweiz musste sich reinwaschen, das angekratzte Ansehen aufpolieren. Das Land pflegte also seine humanitäre Tradition, nachdem es zwölf Jahre weggeschaut hat.

Von der Sträflingskleidung in den feinen Zwirn: Die Schweizer Gastfreundschaft wird medienwirksam inszeniert.

Der Alltag im Flüchtlingsheim ist geprägt von Zucht und Ordnung. Kollektivstrafen und verringerte Essensrationen sind keine Unbekannten. Das zeitgenössiche Publikum dürfte sich aber vor allem durch die Anklage eines jüdischen Flüchtlings getroffen fühlen: «Ihr Schweizer seid eben auch nicht anders!» Das nagt am Selbstbild des Landes. Die Schweiz sah und sieht sich vor allem selbst gerne als Hort der Humanität. Während ringsum in Europa die Armeen tausendfachen Tod brachten, hielt sich die Schweiz doch stets aus Kriegen heraus. War sie etwa doch kein Sonderfall in der europäischen Geschichte? «Frieden» stellt dieses Selbstbild arg in Frage.

Fast ein Vierteljahrhundert nach der «Bergier-Komission» beschäftigt sich wieder eine breite Öffentlichkeit mit der eigenen Geschichte. Bleibt zu hoffen, dass daraus ein reflektiertes Geschichtsverständnis und ein analytischer Umgang mit der eigenen Geschichte erwächst.

Die Serie kann gratis auf Play SRF gestreamet werden.

 

Text: Matthias Venetz
Bilder: Ausschnitte «Frieden» SRF