Kaum eine Rechtsfrage ist so umstritten, wie die nach der Legalität von Schwangerschaftsabbrüchen. Durch das Bangen um Roe v. Wade in den USA ist das Thema aktueller als je zuvor.  Schwangerschaftsabbruch: legal oder illegal?

 

Laut der World Health Organization (WHO) werden weltweit jährlich 74 Millionen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Dabei werden 6 in 10 aller ungewollten Schwangerschaften und 3 in 10 aller Schwangerschaften durch eine medizinisch induzierte Abtreibung beendet. Laut dem Bundesamt für Statistik wurden in der Schweiz im Jahr 2020 rund 1100 medizinische Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Seit 2020 erkennt die WHO den Schwangerschaftsabbruch ausserdem als eine grundlegende Gesundheitsdienstleistung an. Trotz dieser Anerkennung werden weltweit jährlich rund 25 Millionen unsichere und illegale Abtreibungen durchgeführt. 4.7 bis 13.2 % aller Todesfälle bei Müttern kann auf einen unsicheren Schwangerschaftsabbruch zurückgeführt werden. Aber nicht nur unsichere Abtreibungen haben gesundheitliche Folgen für schwangere Personen. Eine Schwangerschaft bis zum Ende auszutragen, kann vielerlei gefährliche oder auch tödliche Gesundheitsfolgen haben. Der Zugang zu einer sicheren Abtreibung kann demnach überlebensnotwendig sein. Trotzdem ist der Schwangerschaftsabbruch in 24 von insgesamt 193 Staaten der Welt komplett verboten und in vielen weiteren Staaten nur unter gewissen Voraussetzungen möglich. Mit dem Entwurf des Supreme Courts der USA vom 3. Mai wird wieder heftig um die – je nach Bundesstaat schon sehr geringen – Rechte in Bezug auf Fortpflanzung und Abtreibung gestritten. Wieso sind Schwangerschaftsabbrüche so kontrovers und wie sieht es eigentlich in der Schweiz aus?

 

Moral- oder Gesundheitsfrage?

„You’re killing babies“ oder „My body, my choice“ sind Argumente, denen wir seit ein paar Wochen in den sozialen Medien kaum entkommen. Beide werden erwähnt, weil die Möglichkeit besteht, dass das Recht auf eine Abtreibung in den USA aufgehoben werden könnte (mehr dazu im nächsten Abschnitt). Die Diskussion rund um das Recht auf Abtreibung polarisiert. Dies, obwohl es dabei um eine medizinische Frage geht. Kaum ein anderer medizinischer Eingriff wird so oft diskutiert wie die Abtreibung. Dies vor allem auch, da praktisch jede Diskussion darüber in einem Moralargument endet. Bei einem Schwangerschaftsabbruch wird ein potenzielles Leben mit einem medizinischen Eingriff beendet. Dies ist, nach Argumentationen von Abtreibungsgegner*innen, klar unmoralisch oder sogar bösartig und egoistisch. Ist Abtreibung nun eine medizinische Angelegenheit, oder eine moralische? Eine umstrittene Frage ohne eindeutige Antwort.

Schwangerschaftsabbrüche sind medizinische Eingriffe, obwohl nicht jeder auf chirurgische Art durchgeführt wird. Bis zur 7. Schwangerschaftswoche (ortsabhängig auch bis zur 9. Schwangerschaftswoche) kann ein medikamentöser Abbruch durchgeführt werden. Die schwangere Person muss dabei zwei Medikamente im Abstand von 36 bis 48 Stunden einnehmen. Dies kann je nach örtlichen Vorgaben in einer Arztpraxis, im Spital oder sogar Zuhause geschehen. In der Schweiz wird ein Viertel der Schwangerschaftsabbrüche mit dieser Methode vollzogen. Abtreibung kann ausserdem lebensrettend sein. Eileiterschwangerschaften bei denen sich das befruchtete Embryo nicht in der Gebärmutter, sondern im Eileiter einnistet, können, falls das Embryo nicht von selbst stirbt, für die schwangere Person tödlich enden. In diesen Fällen muss ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden, um das Leben der betroffenen Person zu retten.

Dem medizinischen Argument gegenüber steht die Ansicht, dass Abtreibung eine Frage der Moral ist. Das Argument, dass ein Leben bei der Befruchtung beginnt und Abtreibung demnach Mord ist, wird dabei häufig eingesetzt. Viele Abtreibungsgegner*innen berufen sich dabei auf religiöse Argumente, obwohl die Bibel Abtreibungen nicht erwähnt. Dies nicht nur im Christentum. Auch der Islam und das Judentum kennen keine textliche Grundlage, die besagt, dass Abtreibung gegen die Religion verstossen würde. Doch religiöse Texte lassen sich offen interpretieren und je nach persönlichen Einstellungen, kann Religion und die davon abgeleitete Idee von Moral, dazu genutzt werden, diese Einstellungen zu rechtfertigen. Diese Argumente setzen manche ein, um Menschen, die eine Abtreibung hatten oder wollen, als Egoist*innen oder sogar bösartige Mörder*innen darzustellen. Die Frage nach der Moral von Schwangerschaftsabbrüchen wird daher immer wieder relevant. Doch die wohl bedeutendere Frage ist, inwiefern persönliche Einstellungen, ob religiös oder nicht, die gesundheitlichen Rechte anderer Personen einschränken dürfen.

 

Roe v. Wade

Am 3. Mai veröffentlichte der amerikanische Mediendienst Politico einen Entwurf des Supreme Courts der USA, in dem die Möglichkeit einer Aufhebung des Entscheids Roe v. Wade behandelt wird. Das Dokument gelangte durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit und löste sofortige Empörung aus. In den sozialen Medien finden sich seit dem 3. Mai allerlei Aufrufe zum Widerstand und Erklärungen, was dieser Entscheid für Frauen und alle US-Amerikaner*innen, die schwanger werden können, bedeuten könnte. Doch was ist Roe v. Wade eigentlich? Und wie hängt dies mit dem Recht auf Abtreibung zusammen?

Roe v. Wade war ein Rechtsfall, welcher 1973 beim Supreme Court der USA landete. Dabei wurde gegen das restriktive Abtreibungsrecht des Bundesstaates Texas geklagt. Die Bezeichnung Roe v. Wade kommt von Klägerin Jane Roe, Pseudonym für Norma McCorvey, die damals anonym bleiben wollte, und Henry Wade, der dem Fall zugeteilter Staatsanwalt. Der Mehrheitsentscheid des höchsten Gerichtes (7:2) besagt, dass restriktive Regelungen von Schwangerschaftsabbrüchen durch einen Bundestaat gegen die Verfassung verstossen. Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen verstösst, laut des Entscheids, gegen das Recht auf Privatsphäre der schwangeren Personen.

Da die Verfassung die Gesetze der Bundesstaaten übertrumpft, führte Roe v. Wade dazu, dass in den 30 Bundesstaaten in denen 1973 Schwangerschaftsabbrüche noch illegal waren, dies nicht mehr rechtmässig war. Allein Einschränkungen der Bundestaaten waren teils noch möglich. Seit 1973 wurde Roe v. Wade in seiner Bedeutung eingeschränkt. Andere Fälle, wie zum Beispiel Planned Parenthood v. Casey von 1992, führten dazu, dass Restriktionen auf Schwangerschaftsabbrüche durch die Regierung eines Bundesstaates wieder vermehrt möglich waren.

Der Entscheidungsentwurf, welcher ungewollt an die Öffentlichkeit gelangte, besagt nun, dass der Supreme Court eine Aufhebung von Roe v. Wade erwägt. Dies würde bedeuten, dass von jeder Bundesstaat selbst entscheidet, ob Schwangerschaftsabbrüche legal oder illegal sind. Laut dem Center for Reproductive Rights würde diese Entscheidung bedeuten, dass in 23 Bundesstaaten Abtreibungen sofort verboten und in 8 Bundesstaaten Restriktionen in Kraft treten würden. Obwohl der Senat in der USA schon Versuche unternommen hatte, Abtreibungsrechte durch Gesetzgebung zu schützen, waren diese bis zum Zeit Punkt der Veröffentlichung dieses Artikels ohne Erfolg. Dies vor allem, da die dazu nötige Mehrheit aufgrund der Zusammensetzung des Senats nicht möglich ist. Die Entscheidung des Supreme Courts, Roe v. Wade zu überstimmen, ist zwar noch nicht offiziell –es handelt sich nur um einen Entwurf– doch sie ist nicht unwahrscheinlich. Da im Supreme Court momentan eine konservative Mehrheit von 5 Richtern gegen 3 führt, ist die Aufhebung von Roe v. Wade in Bezug auf seine Bedeutung für Schwangerschaftsabbrüche eine klare Möglichkeit. Eine offizielle Entscheidung wird im Juni erwartet.

 

Update vom 24. Juni: Der Supreme Court der USA hat heute bekannt gegeben, dass er das Grundurteil Roe v. Wade aufhebt. Das Recht auf Abtreibung in der USA ist dadurch nicht mehr auf nationaler Ebene geschützt.

 

 

Die Situation in der Schweiz

Das Recht auf Abtreibung ist in den USA nicht über Gesetze, sondern über Rechtsprechungen geregelt und daher nicht garantiert. In der Schweiz sieht dies anders aus. Schwangerschaftsabbrüche sind hierzulande im schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. In den 1940er Jahren wurde der Schwangerschaftsabbruch im Schweizer Gesetz zunächst als illegal erklärt. Seit der Einführung des Frauenstimmrechts, gab es jedoch immer wieder Vorstösse, dieses Verbot aufzuheben und den entsprechenden Paragraphen zu streichen. Die Entscheidung für eine Fristenlösung auf nationaler Ebene fiel 2002. Bei einer Abstimmung wurde mit 72.2% Ja-Stimmen klar für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs entschieden. Seit 2002 ist der Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz nun straflos unter den Bedingungen der Fristenlösung.

Artikel 119 des StGB besagt, dass ein Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz straflos ist, wenn „er nach ärztlichem Urteil notwendig ist“ oder „er innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode auf schriftliches Verlangen der schwangeren Frau“ durchgeführt wird.

Nach Ablauf dieser Frist entscheidet ein*e Ärzt*in, ob eine Schwangerschaft abgebrochen werden kann. Dabei gilt, je weiter die Schwangerschaft fortgeschritten ist, desto höher muss der Risikograd sein, um eine Abtreibung zu rechtfertigen. Weiter wird im StGB Artikel 120 auch geregelt, dass jede schwangere Person unter 16 Jahren zuerst bei einer auf Jugendliche spezialisierte Beratungsstelle zu einem obligatorischen Gespräch gehen muss. Die Fristenregelung des Schweizer Rechts macht es möglich für eine schwangere Person in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft selbst zu entscheiden, ob die Schwangerschaft ausgetragen wird oder durch eine Abtreibung beendet werden soll. Das Recht auf Beratung im Bundesgesetz spricht ausserdem der schwangeren Person und dem Umfeld kostenlose Beratung durch eine Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit und Familienplanung zu. Auch finanziell sieht die Lage in der Schweiz eher vorteilhaft aus. Im Bundesgesetz ist festgelegt, dass die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch von der obligatorischen Krankenkasse übernommen werden, nach Abzug der Franchise und Selbstbehalt. Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch können je nach Kanton variieren und sich auf zwischen 500 bis 3000 Franken belaufen.

Doch auch in der Schweiz ist die Abtreibung nicht unumstritten: Ende letztes Jahr wurden zwei verschiedene Initiativen lanciert, welche die Rechte in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche einschränken würden.

 

Mehr als nur Gesetz notwendig

Das Gesetz in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz ist somit eher liberal. Obwohl es durch den Föderalismus von Kanton zu Kanton kleinere Unterschiede geben kann, sind die oben genannten Gesetzgebungen Standard. Trotzdem gibt es in der Schweiz ein Problem, wenn es um den Schwangerschaftsabbruch geht. Lernt man überhaupt etwas darüber? Weiss man wo die wichtigen Informationen zu finden sind? Oftmals ist dies leider nicht der Fall. Der Aufklärungsunterricht in der Schule bespricht Schwangerschaftsabbrüche nur am Rande. Und wenn er sie thematisiert, dann meist nur auf rein biologischer Ebene. Die Geschlechtertrennung in diesen Unterrichtseinheiten schafft noch ein weiteres Problem. Während im Unterricht mit den Mädchen die Lehrperson auf die biologischen Aspekte von Schwangerschaft eingehen mag, bleibt dieses Thema bei den Jungs unerwähnt. Im Fall einer ungewollten Schwangerschaft müssen die betroffenen Personen die praktischen Informationen selbst finden. Diese Tabuisierung des Themas ist wohl auch mitverantwortlich, dass es zu häufigen Diskussionen und Missverständnissen kommen kann. Zu einem umfangreichen gesetzlichen Schutz für Abtreibung sollte auch dazugehören, dass über diese Gesetze aufgeklärt wird. Jede Person sollte sich ihrer Rechte beim Entscheid über eine Schwangerschaft bewusst sein. So kann die psychische Belastung, welche bei einer ungeplanten Schwangerschaft entsteht, verkleinert werden, so dass die betroffen Person eine informierte und für sich richtige Entscheidung treffen kann.

 

Schwangerschaftsabbrüche sind umstritten und werden wohl immer zu Diskussionen führen. Die Tatsache, dass Abtreibungsrechte in den USA in Gefahr sind, machen solche Diskussionen momentan zu einer häufigen Erscheinung. Es stellt sich wieder die Frage, ob Schwangerschaftsabbrüche nun legal oder illegal sind. In Bezug auf die Schweiz entscheidet das Gesetz darüber, wann eine Abtreibung legal ist. In anderen Ländern hängt die Entscheidung entweder vom Gesetz ab oder – wie in den USA – von der Rechtsprechung. Doch die Frage nach der Legalität von Abtreibung sollte nicht an erster Stelle stehen. Nur weil Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert sind, werden sie nicht weniger, sie werden nur gefährlicher. Solange schwangere Personen nicht die Autorität haben, selbst über den Verlauf ihrer Schwangerschaft zu entscheiden, werden die 25 Millionen Menschen, welche jährlich an den Folgen von unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen sterben, nicht weniger, sondern tendenziell eher mehr.

 


World Health Organisation, Abortion:

https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/abortion

 

Politico, 3. Mai 2022, „Supreme Court has voted to overturn abortion rights, draft opinion shows“

https://www.politico.com/news/2022/05/02/supreme-court-abortion-draft-opinion-00029473

 

Hilfreiche Informationen rund um den Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz:

https://www.sexuelle-gesundheit.ch/themen/schwangerschaft-gewollt-ungewollt/abbrechen

– Sexuelle Gesundheit Schweiz, Allgemeine Informationen zum Schwangerschaftsabbruch

– genaue Erklärung der Fristenregelung

– Liste von Ärzt*innen, welche Schwangerschaftsabbrüche durchführen

– Liste von Beratungsstellen

– und mehr…

 

Beratungsstelle in Freiburg:

Freiburger Fachstelle für sexuelle Gesundheit

Grand-Fontaine 50

1700 Fribourg

Tel.: +41 26 305 29 55

E-Mail: sante.sexuelle@fr.ch

https://www.fr.ch/dsas/cfss

 

 

 

Text: Franziska Schwarz

Illustration: Alyna Reading