Fragt der Primarschullehrer gelangweilt eine Gruppe von Schülern, die gerade dabei sind, einen anderen Schüler zu beleidigen. Als Antwort erhält er Gekicher. Damit gibt er sich zufrieden.

Kinder können grausam zueinander sein. Dies zeigt sich besonders in Schulklassen. Das Problem: Mobbing. Frau Dr. Julie Baumer, Kinderpsychologin in Freiburg, weiss aus Praxiserfahrung, dass jahrelanges Mobbing schwere Folgen für das Selbstbewusstsein haben kann. Wenn man jahrelang hört, dass man minderwertig ist, dann hinterlässt das Spuren. Es ist ein Trauma, aus dem sich das Opfer nicht leicht lösen kann.

Ein Machtspiel

Dass Kinder und Jugendliche streiten, ist normal. Mobbing geht aber viel weiter als ein einfacher Streit. Es handelt sich um ein Machtspiel. Den Unterschied erklärt mir Dr. Baumer: «Von Mobbing spricht man, wenn die Beziehungen ungleich sind.» Wenn zwei Kinder häufig streiten, so handelt es sich nicht um Mobbing, da beide Kinder gleich häufig den Konflikt suchen. Bei Mobbing hingegen ist die Beziehung einseitig. Eine Person oder eine Gruppe geht vermehrt verbal oder körperlich gegen eine andere Person vor. Die Aktionen sind oftmals entwertend. So installiere sich eine gewisse Hierarchie, in der sich klar ein Opfer herauskristallisiert.

Die Ursachen für Mobbing sind unterschiedlich. Zu Mobben sei keine rationale Entscheidung. Es entstehe aus einer einfachen Antipathie, die ein Kind für ein anderes verspürt. Diese Antipathie kann auf einem spezifischen Merkmal gründen. Eine Haarfarbe oder eine Einschränkung, die in der Gruppe auffällt. «Kinder sind noch unreif und können nicht gut mit ihren Emotionen umgehen», meint Dr. Baumer. Deshalb wird diese Spannung von den Tätern durch Mobbing herausgelassen. Es sei eine Art Impuls. Zudem zeigt sich beim Täterprofil häufig eine gewisse Empathielosigkeit.

 

«Die Lehrperson muss den Kindern beibringen: Es ist okay, ein anderes Kind nicht zu mögen. Aber man muss es respektieren.»

Julie Baumer, Kinderpsychologin in Freiburg

 

Sensibilisierung und Prävention

Eine Lehrperson, die eine Schulklasse führt und unterrichtet, kann eine entscheidende Rolle spielen. Im Gespräch mit Frau Sandra Rosser, Lektorin an der Universität Freiburg, erfahre ich, worauf es ankommt. Sie ist Dozentin für allgemeine Didaktik im Zentrum für Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Freiburg und bildet Studierende zur Lehrperson für die Sekundarstufe 1 aus. Sie alle könnten in Zukunft in ihrem Beruf mit Mobbing konfrontiert sein. Frau Rosser bestätigt: «Bereits im ersten Semester im Bachelor an der Universität Freiburg werden die Studierenden im Rahmen einer Didaktik-Vorlesung für diese Thematik sensibilisiert. Dabei wird vor allem auf die Bedeutung des Klimas innerhalb einer Klasse verwiesen.» Insbesondere in der Prävention von Mobbing werde geschult. Mobbing müsse früh in der Schule thematisiert werden. Dr. Baumer meint, die erste Primarschulklasse wäre dafür ideal. So könne man das Bewusstsein für Mobbing und dessen Konsequenzen bei den Kindern selbst erhöhen.

Nicht wegschauen!

Trotz Prävention kann es zu Mobbing kommen. In der Ausbildung werden die Studierenden über Warnsignale informiert. Ein Kind, das in Gruppenarbeiten häufig gemieden wird, ein Kind, das ängstlich wirkt und nicht gerne in die Schule kommt oder ein Kind, das einen starken Leistungsabfall aufweist. Frau Rosser zufolge sind dies alles Signale, bei denen es sich um Mobbing handeln könnte. Die Lehrperson muss nun unbedingt genauer hinschauen und versuchen zu verstehen, wie die Dynamik in der Klasse ist. Dafür braucht es viel Sensibilität. «Wir sagen unseren Studierenden immer: Hinschauen! Oder anders gesagt: Nicht wegschauen!» Sie müssen klar und mit Nachdruck definieren, dass ein solches Verhalten nicht toleriert wird.

 

Einen neuen Rahmen schaffen

Konkret gibt es verschiedene Ansätze, wie eine Lehrperson Mobbing begegnen sollte. Bei Mobbing handelt es sich um ein Gruppenphänomen. Deshalb ist klar, dass das Problem dementsprechend auch in der Gruppe gelöst werden muss. Aktuell werde der No-Blame-Approach gelehrt. Kennzeichnend für diese Methode ist, dass die gemobbte Person unterstützt wird und die Mobber in den Veränderungsprozess eingebunden und nicht bestraft werden. «Es wird versucht, einen neuen Rahmen zu schaffen, in dem alle ihre Verhaltensweise ändern können. Täter, Mitläufer, Opfer und Kinder, die für das Opfer einstehen, werden miteinbezogen», so Frau Rosser.

Mit dem stimmt auch Dr. Baumer überein: «Die Lehrperson muss den Kindern beibringen: Es ist okay, ein anderes Kind nicht zu mögen. Aber man muss es respektieren.» Die Schulung der Lehrpersonen von Morgen gibt Hoffnung, dass die obig beschriebene – zwar fiktive, aber leider allzu realistische – Situation in Schulen zukünftig besser gelöst wird.

 

Text: Pauline Anne Meyer

Illustration: Emanuel Hänsenberger