Ehrlichgesagt waren meine Erwartungen an diesen Film «über Depressionen» (Zitat meiner Freundin) nicht sehr hoch. Ich hatte mental health awareness à la 13 Reasons Why oder das «am Ende wird alles gut» Muster erwartet. Vielleicht hat mich dieser Film genau deswegen so umgehauen.
Die erwachsene Sophie versucht krampfhaft das Schicksal ihres Vaters Calum (Paul Mescal) zu verstehen und nimmt dafür alte Videoaufzeichnungen eines Türkeiurlaubs hervor, den sie als 11-jährige mit ihrem Vater verbracht hatte. Während den Rückblicken wird den Zuschauer:innen schnell klar, dass Calum mit psychischen Belastungen ausserhalb des Vaterseins zu kämpfen hat. Sophie scheint nichts zu ahnen; vor ihr lächelt und tanzt er. Diese Ambivalenz führt bei ihr im Erwachsenenalter zu einer grossen Verwirrung.
Ist Calum alleine, kommt sein Leiden an die Oberfläche. Er hat Depressionen, wie viele Betroffene sie kennen: Leere, Hoffnungslosigkeit, Monotonie. Ich erwischte mich oft, wie ich auf DEN Moment wartete, der Calums Zustand erklären würde, doch entgegen meiner Erwartungen kam dieser nicht. Diese «Anti-Plot-Twist» Stimmung zieht sich durch den ganzen Film und lässt sich durch folgende Szene hervorragend veranschaulichen: Calum steht rauchend auf dem Balkon, Sophie schläft. Meine Gedanken: «springt er?», «fackelt er das Hotel ab?». Doch es passiert eben Nichts, jedenfalls nichts Beobachtbares.
Dieses Nichts, Menschen die an Depressionen leiden kennen das, steht im Kontrast zu der sonnigen Türkei und den gut gelaunten Feriengästen. Und wer hätte es gedacht: Calums Depressionen verschwinden nicht automatisch durch das Vitamin D und die Ferienstimmung. Sie ziehen sich durch den ganzen Film und kommen durch diverse Emotionen Calums an die Oberfläche: durch Trauer, Wut, Melancholie und Letzen Endes spürt man sie als Zuschauer:in, anders als die 11-jährige Sophie, auch durch seine Freude.
Mein Fazit: Eine realitätsnahe Darstellung von Depressionen, die nicht auf eine Zustandsverbesserung beharrt, sondern die Wirklichkeit der Krankheit reflektiert.
Gut gemacht, Charlotte Wells!
Text: Maria Papantuono
Aftersun
Regie/Drehbuch: Charlotte Wells
Jahr: 2022
Cast: Paul Mescal (Nomination für bester Schauspieler Oscars 2023), Frankie Corio, Celia Rowlson-Hall, Kayleigh Coleman, Sally Messham
Genre: Drama
Länge: 1h 36 Minuten