Glaub nicht alles, was du im Internet liest. Aber was, wenn Falschinformationen alles sind, was da ist? Eine kurze Erklärung über Echokammern, Algorithmen und Verschwörungstheorien.

 

Falsche Fakten, fragwürdige Aussagen und Verschwörungstheorien prägen das Erscheinungsbild des Internets. Vor allem die sozialen Medien geraten dabei immer wieder in Kritik. Wieso siegt in den sozialen Menschen oftmals eine Verschwörung und nicht der gesunde Menschenverstand?

 

Ein Echo aus dem Internet

«Du hast davon wirklich noch nie gehört?» «Nein. Noch nie»

Man liest einen Beitrag aus den sozialen Medien und will mit eine*r*m Freund*in darüber reden, doch die andere Person hat keine Ahnung, wovon man spricht. Ein häufiges Phänomen, das durch Echokammern (engl. echo chambers) erklärt werden kann. Die Idee von Echokammern wurde 2001 vom US-Rechtswissenschaftler Cass Sunstein, der an der Harvard Universität lehrt, popularisiert. Heute ist der Begriff vielen Menschen auch ausserhalb der Wissenschaft bekannt. Laut Journalistikon beschreiben diese in den Kommunikationswissenschaften den Prozess, dass sich die öffentliche Kommunikation immer mehr in isolierte Räume verschiebt. Gerade in den sozialen Medien spielt dieses Phänomen eine Rolle. Das übermässige und teilweise unsichtbare Fragmentieren der öffentlichen Diskussion in diese Echokammern hat einerseits zur Folge, dass der eigenen Meinung ständig mehr Bedeutung zugesprochen wird. Andererseits werden abweichende Meinungen teilweise als nicht einmal mehr existierend wahrgenommen. Diese Fragmentierung ist nicht per se schlecht. In ihr wird auch die Chance auf eine starke Meinungsbildung und Meinungsvielfalt gesehen. Jedoch können Echokammern sich rapide ins Extreme entwickeln. Die zunehmende Polarisierung von Meinungen und damit auch der gesamten Gesellschaft werden als eine solche negative Folgen von Echokammern gesehen.

Der in den 1960er Jahren vom Psychologen Peter Warson beschriebene Bestätigungsfehler (eng. confirmation bias) ist für dieses Phänomen zentral. Dieser beschreibt die Neigung von Menschen, Inhalte, Informationen und Meinungen zu suchen, die die eigenen Einstellungen nur noch bestärken. Wenn man immer bestätigt wird in seinem Glauben, fällt es schwer, andere Meinungen wahrzunehmen. In extremen Fällen werden selbst Fakten und Tatsachen nicht mehr als glaubwürdig und wahrheitsgetreu wahrgenommen. Dieser Bestätigungsfehler kann im Alltag auftreten und auch den Medienkonsum beeinflussen. Umstritten hingegen ist, wie stark sich Menschen in ihrem Denken wirklich von dem confirmation bias leiten lassen.

 

Der allmächtige Algorithmus

Die Algorithmen der sozialen Medien mögen vielen bekannt sein, doch wie sie funktionieren, bleibt rätselhaft. Algorithmen sind der Grund wieso ein*e Katzenliebhaber*in auf Instagram Katzenfotos sieht und nicht Beiträge über schnelle Autos. Der Algorithmus einer Social-Media-App bestimmt unser Internetleben aber stärker als wir meinen. Was ein Algorithmus genau ist, kann nicht klar gesagt werden, da es keine zufriedenstellende und einheitliche Definition für den Begriff und erst recht nicht für seine Funktionsweise gibt. Ausserdem werden ihre genauen Funktionsweisen streng geheim gehalten. Instagram beispielsweise gibt aus unterschiedlichen Gründen nicht bekannt, wie ihr Algorithmus genau funktioniert. Ein Punkt, welcher eine klare Definition praktisch unmöglich macht. Stark vereinfacht gesagt: Algorithmen bestimmen, was wir im Internet sehen. Sie sammeln Daten, um festzustellen, was uns wieder zurück auf ihre Webseite oder App bringt, und zeigen uns mehr Inhalte dieser Art. Dies geschieht jedoch nicht nur in den sozialen Medien, auch bei Suchmaschinen wie Google oder Online-Dating-Apps wie Tinder oder Bumble werden Algorithmen verwendet, um Inhalte auf den User auf die Interessen des Users masszuschneidern. Ausserdem sind Algorithmen nicht zwingend etwas Schlechtes. Es ist auch ein Algorithmus, der Rechtschreibfehler auf einem Word-Dokument erkennt und verbessert. Und dieser verbreitet dabei wohl kaum Falschinformationen.

Algorithmen filtern die zahlreichen Inhalte des Internets und präsentieren jede*r*m Nutzer*in nur einen kleinen Teil, perfekt auf uns zugeschnitten. Gezeigt wird schlussendlich das, was als das Interessensgebiet des Users wahrgenommen wird. Je mehr mit gewissen Inhalten interagiert wird, desto mehr sieht man diese oder ihnen ähnliche Inhalte auf seinen sozialen Medien. Jedes Like, jeder Kommentar und jedes Teilen bildet in den Augen des Algorithmus unser Internetprofil weiter aus.  Davon lernt er, was uns dazu bringt, Zeit auf den jeweiligen Apps zu verbringen. Im Prinzip soll ein Algorithmus also dafür sorgen, dass Nutzer*innen immer wieder zurückkommen. Hierbei müssen aber zwei Sachen nicht vergessen werden. Erstens, dem Algorithmus ist gleichgültig, ob die Inhalte, die einen User interessieren, der Wahrheit entsprechen oder nicht. Zweitens, dass das Erleben von den sozialen Medien dadurch stark individualisiert wird und nicht zwingend die gesellschaftliche Realität widerspiegelt. Die starke Verbreitung von Fake News und Verschwörungstheorien auf sozialen Netzwerken ist daher wohl nicht ein grosses Rätsel. Vor allem, wenn auch noch in Betracht gezogen wird, dass Algorithmen die Verstärkung und grössere Abgrenzung von Echokammern fördern. So kann die gleiche Social-Media-App für jeden Menschen komplett anders sein und von süssen Tierfotos bis Verschwörungstheorien alles beinhalten und eben auch verbreiten.

 

 

Grosses Ereignis = grosser Ursprung

Die Existenz von Echokammern und Algorithmen allein ist noch nicht problematisch. Leider kursieren aber auch Falschinformationen in den sozialen Medien, die durch Echokammern und Algorithmen bestärkt werden. Falsche Namen oder Zahlen, bis hin zu Verschwörungstheorien lassen sich mit nur wenigen Klicks finden. Ein Erklärungsversuch, wieso Verschwörungstheorien so standhaft sind, ist, dass Menschen grosse Erklärungen für einschneidende Ereignisse wollen. Das heisst, wenn eine Erklärung für ein grosses Unglück zu simpel scheint, sucht sich der Mensch eine umfangreichere. Der Tod einer bekannten Person, wie die Ermordung von John F. Kennedy (JFK) ist ein solches Beispiel. Ein so grosses und für eine gesamte Generation einschneidendes Ereignis braucht für die Menschen eine gleich monumentale Erklärung. Ein alleiniger Schütze ist daher nicht eine zufriedenstellende Erklärung für dieses Beispiel. Eine Verschwörungstheorie, dass die US-Regierung JFK’s Ermordung beauftragt hat, stillt dieses Verlangen nach einer monumentalen Erklärung. Mit diesem Mechanismus kann sich der Mensch besser in der Welt zurechtfinden. Verschwörungstheorien müssen daher nicht einleuchtend sein, sondern vielmehr das Verlangen auf eine «bessere» Erklärung stillen. In einer immer komplizierter werdenden Welt verspüren viele Menschen eine gewisse Unsicherheit. Das Kennen einer Verschwörungstheorie kann jemandem den Eindruck von Macht und Sicherheit verleihen. Dies vor allem, weil ein zentraler Punkt von Verschwörungstheorien ist, dass sie sich selbst abdichten. Das heisst, jeder Versuch sie zu widerlegen, wird als Zeichen für das Existieren der Verschwörung gedeutet. Es entsteht ein gefährlicher Teufelskreis.

Jeder kann einer Verschwörung verfallen. Es gibt Verschwörungstheoretiker*innen aus jeder Altersgruppe, mit unterschiedlichem Bildungsstand und Geschlecht. Was eine Rolle spielt, ist, was in der Wissenschaft Verschwörungsmentalität genannt wird. Menschen, die solch eine Mentalität haben, zeichnen sich mit der Tendenz aus, gegenüber den Gruppierungen und Personen mit hohem gesellschaftlichem Status misstrauisch zu sein. Diese können Politiker*innen, berühmte Persönlichkeiten oder Wissenschaftler*innen sein. Mit dem Misstrauen gegenüber diesen Personen geht dann oftmals auch das Misstrauen in ihren Aufgabenbereich Hand in Hand. Je grösser dieses Misstrauen ist, desto anfälliger ist jemand, eine Verschwörungstheorie zu glauben. Gerade während der Corona-Pandemie konnte dies erkannt werden. Wenn jemand schon ein gewisses Misstrauen gegenüber der Wissenschaft hatte, war diese Person eher dafür ausgelegt, Corona-Verschwörungen zu glauben. Hier kommen auch wieder Echokammern und Algorithmen ins Spiel. Die Corona-Pandemie geschah in einer Zeit, in der sich die politische Welt international stark polarisierte. Echokammern verstärkten sich und viele Menschen pflegten praktisch nur noch Austausch mit Gleichgesinnten. Ausserdem spielt sich das öffentliche Leben immer mehr im Internet ab, wo Algorithmen bestimmen, was für uns sehenswert ist. Das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft machte sich in vergangenen Jahren breit, ein Beispiel dafür ist die Idee, dass der Klimawandel erfunden ist. All dies bildete die Grundlage für Verschwörungstheorien rund um die Corona-Pandemie, eine grosse Wirkung zu haben.

 

Und jetzt?

Und was ist jetzt die Lösung? Nie wieder eine Social-Media-App öffnen oder das Internet benutzen? Ein wohl nicht sehr realistischer Ansatz. Wenn man regelmässig das Internet nutzt und vor allem, wie es heute immer häufiger vorkommt, Informationen daraus gewinnt, sollte man immer kritisch bleiben. Eine Frage, die man sich selbst stellen kann, wenn man etwas liest, ist zum Beispiel, berichten andere Quellen dasselbe? Ausserdem kann es auch vorteilhaft sein, die einzelnen Quellen selbst näher zu betrachten. Gerade bei Behauptungen zu wissenschaftlichen Beiträgen ist es wichtig, dass hinterfragt wird, welche Forschung zu den Resultaten geführt hat. Mehr Informationen über wie man mit Verschwörungstheorie umgehen kann und lernt, das eigene Denken zu hinterfragen, findet ihr in The Conspiracy Theory Handbook von Stephan Lewandowsky und John Cook.

 

Deshalb Augen auf und Gehirn an im World Wide Web.

 

Text: Franziska Schwarz

Illustration: Emanuel Hänsenberger


Weitere Infos und Ressourcen rund um Echokammern, Algorithmen und Verschwörungstheorien

 

The Conspiracy Theory Handbook, Stephan Lewandowsky & John Cook

 

Youtube: What is an Echo Chamber?

 

Business Insider: How TikToks algorithm enables far-right self-radicalization

 

Last Week Tonight: Coronavirus Conspiracy Theories

 

Bayerischer Rundfunk: Wie rede ich mit Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben?