Ein neuer Trend kursiert in den sozialen Medien: das «Lucky Girl Syndrome». Nur positive Gedanken sind erwünscht! Hat es Konsequenzen, negative Gedanken auszublenden?

 

Als du das letzte Mal frustriert warst, hat dir da jemand geraten: «Sieh es doch einfach positiv!»? Viele von uns haben diesen Satz schon mit einem Augenverdrehen hingenommen oder ihn als gut gemeinten Rat an jemand anderen gerichtet. Aber ist uns bewusst, was wir mit diesem Satz auslösen können?

Wenn es uns mies geht, verspüren wir unangenehme Emotionen. Fordert uns jemand dazu auf, unsere Sicht auf diese Gefühle zu ändern, kann das zu toxischer Positivität führen. Denn wenn wir versuchen, jedes negative Gefühl positiv zu sehen oder auszublenden, kann das dazu führen, dass wir verkrampft versuchen, positiv zu denken. «Wenn man als Person einen Verlust erlebt und dann nur gesagt bekommt, man solle an etwas Positives denken, ist das nicht hilfreich. In den sozialen Medien und im Umfeld findet da eine unglaubliche Vereinfachung und Übergeneralisierung von optimistischer Lebenshaltung statt», so erklärt Dr. Britte Renner, Professorin am Psychologischen Institut der Universität Konstanz, Toxic Positivity.

Problematische Positivität?

Emotionen, wie beispielsweise Wut, Traurigkeit oder Frustration zu unterdrücken, ist nicht gesund. Die Emotionen bleiben im Körper. Tut man dies für längere Zeit, können daraus stressbedingte Krankheiten, Depressionen oder Angstzustände werden, sagt Dr. med. Claudia M. Elsig, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Wenn wir uns nicht mit diesen Emotionen auseinandersetzen, stauen sie sich noch mehr in uns an. Schieben wir beispielsweise ein Gespräch mit eine:r Freund:in über ein Problem hinaus, kann irgendwann der Zeitpunkt kommen, an welchem wir platzen und all unsere angestaute Wut an diese:r Freund:in auslassen. Durch so eine Wut-Lawine kann eine Freundschaft unter anderem kaputt gehen. Deshalb ist es wichtig, über seine Emotionen zu sprechen, sie aufzuschreiben, sich zu bewegen, einfach zu weinen oder laut zu schreien. Schliesslich fühlt sich an einem persönlichen Engpass jede:r mies – und das ist völlig menschlich!

 

 

Diagnose in den sozialen Medien: «Lucky Girl Syndrome»

«Du willst nichts Negatives in deinem Leben, also musst du negative Gedanken vermeiden!» So ungefähr könnte das Motto eines Lucky Girls lauten. Personen, die nach diesem Motto leben, glauben daran, dass sie deshalb schlechte Erfahrungen in ihrem Leben machen, weil ihre Gedanken in Bezug auf Dinge, die in ihrem Leben passieren, negativ sind. Wenn wir zum Beispiel traurig wegen einer Trennung von eine:r Partner:in sind, drückt sich diese Trauer in negativer Energie aus. Dies zeigt sich auch in unserer Aura und unseren Schwingungen, wodurch wir dann, wie ein Magnet, schlechte Erfahrungen anziehen. Wir geraten in eine toxische Beziehung, weil wir pessimistisch über unsere Emotionen denken und somit schlechte Energie ausstrahlen. Um dieser Abwärtsspirale entgegenzuwirken, gehört zum Beispiel das tägliche Aufsagen von positiven Affirmationen zum Lucky-Girl-Lebensstil.

Es gibt Menschen, welche die sogenannte «Lucky Girl Aestehtic» befolgen, welche folgendermassen aussieht: Jeden Morgen früh aufstehen, in sein Tagebuch positive Affirmationen aufschreiben, Sport machen, sich gesund ernähren, viel lesen, lernen und Geld verdienen. Dabei soll online alles schön ästhetisch in Szene gesetzt werden. Und natürlich muss alles positiv sein! An sich ist an einem gesunden Lebensstil nichts auszusetzen, doch negative Gefühle zuzulassen, gehört auch dazu.

An den negativen Dingen in deinem Leben bist du selbst schuld!

Wenn man sich solche Lucky-Girl-TikToks oder -YouTube-Videos anschaut, kann man leicht ein schlechtes Gewissen bekommen. «Warum sieht mein Leben nicht so aus?», «ist mein Leben langweilig?», «wäre ich glücklicher, wenn ich ein Lucky Girl wäre?» Solche Gedanken können einem beim Schauen der Videos durch den Kopf gehen. Doch diesem Trend nachzueifern, kann problematisch sein.

Denn er vermittelt Zuschauer:innen das Gefühl, dass sie an den negativen Dingen in ihrem Leben selbst schuld sind. Doch nur weil man vor 6 Uhr ins Sportstudio rennt, dabei einen Smoothie schlürft und sich positive Affirmationen aufsagt, heisst es nicht, dass das Leben automatisch brillant wird. Schliesslich gibt es auch Dinge im Leben, die man nicht selbst kontrollieren kann. Das Leben verläuft nicht immer nur steil nach oben und das ist vollkommen normal.

 

Text und Illustration Aliyah-Sophie Manzke